# taz.de -- Komponistin Éliane Radigue wird 90: Der Zeit die Schwere nehmen | |
> Die französische Komponistin Éliane Radigue ist eine Pionierin der | |
> elektronischen Musik. Nun wird die Meisterin der Langsamkeit 90 Jahre | |
> alt. | |
Bild: Die Komponistin Éliane Radigue im Dokumentarfilm „Échos“ von Éleon… | |
Im Frühjahr 1970 kommt ein Werk von Éliane Radigue zur Aufführung, welches | |
das britische Musikmagazin Wire in einem gerade erschienen ausführlichen | |
Artikel zum 90. Geburtstag der Komponistin zu ihren Schlüsselwerken zählt. | |
Dass [1][das fünfteilige „Opus 17“] erst Jahrzehnte später, im Jahr 2013, | |
als Album veröffentlicht wurde, gehört auch zur Geschichte dieser Musik. | |
Man stelle sich einmal vor, „Opus 17“ wäre 1990 erschienen. Gut möglich, | |
dass findige Ohren [2][aus den pulsierenden 15 Minuten des dritten Teils | |
„Epure“] eine Blaupause für Techno herausgehört hätten, eine, die aus der | |
zeitgenössischen Musik der späten sechziger, frühen siebziger Jahre kommt, | |
was ein schönes Beispiel für die gelegentlichen Umwege der Musikgeschichte | |
ist. | |
Tatsache ist, [3][vieles von dem, was wir heute als elektronische und | |
experimentelle Musik wahrnehmen, hat Éliane Radigue mit angestoßen]. Am 24. | |
Januar 1932 kam sie in Paris im Quartier des Halles zur Welt, im | |
Markthallenviertel, das seinen Namen von dem ehemaligen Großmarkt hat. | |
Als Kind bekommt sie Klavierstunden und hört klassische Musik, [4][in ihrer | |
eigenen werden Langsamkeit und Stille] eine Rolle spielen. Radigue lernt | |
den Maler und Objektkünstler Arman kennen, 1951 kommt die erste Tochter, | |
1953, in dem Jahr, als die Eltern heiraten, die zweite und 1954 ein Sohn. | |
Arman wird 1971 ein zweites Mal heiraten. | |
## Hypnotische Bandschleifen | |
Ebenfalls in den 50er Jahren begegnet Radigue dem Musique-concrète-Pionier | |
Pierre Schaeffer und beginnt, bei ihm und seinem Partner Pierre Henry am | |
Studio d’Essai des französischen Rundfunks RTF elektroakustische | |
Komposition zu studieren. Wie jede gute Schülerin wird sie sich von ihren | |
Lehrern emanzipieren. Eine frühe Veröffentlichung Éliane Radigues unter | |
eigenem Namen ist „Vice – Versa, Etc …“ von 1970, das Faszinierende dar… | |
Man meint, Synthesizer zu hören, doch sind es Tapeloops und Feedbacks, mit | |
denen Radigue da hypnotisch-kristalline Sounds erarbeitet. | |
Tatsächlich wird Radigues erster Werkabschnitt als die Feedback-Phase | |
bezeichnet, sie beginnt in den 60er Jahren und geht bis in die frühen 70er | |
Jahre. „Opus 17“ gehört noch dazu. | |
Radigue verwendet in der „Étude“ unabhängig vom Komponisten [5][Alvin | |
Lucier] einen Kniff, der seinem Verfahren in „I am sitting a room“ ähnelt, | |
das Abspielen und wiederholte Aufnehmen von Sounds, bei Radigue ein | |
Klavierstück Chopins, bis sich allmählich die Raumfrequenzen als | |
Interpreten des Materials einschalten. „Opus 17“ endet mit „Number 17“,… | |
Minuten aus hypnotischen Bandschleifen und Basstönen, eine gute Einstimmung | |
auf die Klangwelt der Komponistin. | |
## Meditation und Trauer | |
Radigues zweiter Werkabschnitt ist die in den frühen 70er Jahren | |
einsetzende Synthesizer-Phase. Ihr war Mitte der 60er Jahre ein | |
ausgedehnter New York-Aufenthalt vorausgegangen; Radigue hatte in dieser | |
Zeit Komponisten wie John Cage, David Tudor und Steve Reich kennengelernt. | |
Reich ist es gewesen, über den Radigue Michael Czajkowski traf. | |
Der heute weniger bekannte Komponist, zu Hause an der New York University, | |
hatte Radigue einen Forschungsaufenthalt angeboten. 1970 nimmt sie ihn an | |
und arbeitet mit Laurie Spiegel und Rhys Chatham am Buchla-Synthesizer der | |
Universität. In diese Zeit fällt eine Komposition wie „Chry-Ptus“, die 20… | |
ein erstes Mal als Album erscheint. In die 70er Jahre fällt auch Radigues | |
Konversion zum Buddhismus, in den 80er Jahren entstehen Werke wie „Songs of | |
Milarepa“. | |
Radigues Musik hatte von jeher etwas Meditatives; interessant ist eine | |
Interviewantwort von ihr, dass ihr das selbst anfangs gar nicht so deutlich | |
gewesen sei. Die 90er Jahre sind für Radigue auch eine Zeit der Trauer, bis | |
zum Ende des Jahrzehnts arbeitet sie an der dreistündigen „Trilogie de la | |
Mort“ im Andenken an ihren Sohn Yves Armand (1954–1989) und ihren Lehrer | |
Pawlo Rinpoche Tsuglag Mawey Wangchuk (1912–1991). | |
Nach der Jahrtausendwende beginnt Éliane Radigues akustische Phase. Man | |
sollte darin keinen Widerspruch zu ihren früheren Kompositionen suchen. Die | |
mit dem Cellisten Charles Curtis begonnene „Naldjorlak I“-Trilogie oder | |
„Occam“-Serie schaffen das Kunststück, der Zeit die Schwere zu nehmen. Das | |
ist allerhand. | |
Das Berliner Festival MaerzMusik widmet Éliane Radigue ab 21. März einen | |
Schwerpunkt. | |
24 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://youtu.be/UKY87AGoY88 | |
[2] https://youtu.be/e8eu3BSLDYM | |
[3] /Musikdoku-Sisters-with-Transistors/!5742021 | |
[4] /Kunst-fuer-die-Komponistin-Eliane-Radigue/!5653721 | |
[5] /Komponist-Alvin-Lucier-gestorben/!5816046 | |
## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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