# taz.de -- Neues Album von Matmos: Ein Fisch namens Plastik | |
> Anlässlich ihres 25-Jährigen Jubiläums nennt das Duo Matmos ihr Album | |
> „Plastic Anniversary“. Alle Sounds wurden mit Kunststoff erzeugt. | |
Bild: „Unser Verhältnis zu Plastik ist zutiefst ambivalent“, sagt das Duo … | |
An dem Abend vor 25 Jahren, als M. C. Schmidt und Drew Daniel sich | |
erstmals begegneten, trat Daniel in einem Schwulenclub als Go-go-Tänzer | |
auf. Er trug ein Suspensorium in Form eines Plastikfisches. Bald darauf | |
sollten sich die beiden US-Musiker zum Duo Matmos zusammenschließen, einem | |
Elektronikprojekt, dessen unermüdlicher Experimentierwille sich dadurch | |
auszeichnet, dass die Musiker für jedes ihrer Alben einen neuen | |
konzeptuellen Rahmen wählten. | |
Beim Vorgänger „Ultimate Care II“ (2016) fungierte eine Waschmaschine als | |
Lieferant der Sounds. Auch von US-Folkmusik des 19. Jahrhunderts hatten sie | |
sich schon inspirieren lassen, für das Album „The Civil War“, | |
veröffentlicht 2003. Doch zurück zum Plastikfisch: Der hat für die beiden | |
sentimentalen Wert, schließlich machen sie nicht nur zusammen Musik, | |
sondern wurden auch ein Paar. | |
Beim Skype-Interview, das sie während des Frühstücks im Wohnzimmer führen, | |
müssen sie darüber lachen. Dieses Stück Billigplastik zerfällt nun | |
allmählich. Was auch immer das für ihre private und kreative Partnerschaft | |
bedeutet, ihren 25-jährigen Jahrestag nannten sie kurzerhand nicht | |
Silberjubiläum, sondern machten ihn zum „Plastic Anniversary“ – so auch … | |
Titel ihres am Freitag veröffentlichten neuen Albums. | |
Auf dem geht es auch um dieses Material – im ganz unmittelbaren Sinne, denn | |
jeder Sound, der zu hören ist, ist mithilfe von Kunststoff erzeugt: aus | |
Styropor, mit dem man trotz der Quietschgeräusche, die man mit dem Material | |
assoziiert, auch beeindruckende Bassfrequenzen erzeugen kann, oder aus | |
Luftpolsterfolie. Auch Brustimplantate aus Silikongel und ein | |
Polizei-Schutzschild dienten als Soundquellen. | |
## Ambivalentes Verhältnis zu Plastik | |
Wer erwartet, dass aus dieser Klangcollage ein dystopischer Kommentar auf | |
die Abgründe des Lebens im 21. Jahrhundert geworden ist, sieht sich | |
getäuscht. Obwohl das Modernitätsversprechen, das mit Kunststoff früher | |
einherging, längst zur Geisel der Menschheit geworden ist, schon [1][wegen | |
des Mülls, der auf den Ozeanen schwimmt,] sollte man den Kunstwillen von | |
Matmos nie unterschätzen. „Wir schlachten das Thema nicht wegen der | |
Schattenseiten aus“, erklärt Schmidt lapidar. | |
Den beiden Musikern, die ihre Brötchen an der Johns-Hopkins-Universität | |
verdienen – Daniel ist Literaturprofessor, Schmidt unterrichtet an der | |
Kunsthochschule – geht es eher um das Problem, „dass wir uns mit | |
Gegenständen umgeben, für die wir uns schämen. Unser Verhältnis zu Plastik | |
ist zutiefst ambivalent. Das ist ein idealer Ausgangspunkt für Kunst.“ Mit | |
ihrer verspielten Herangehensweise kitzeln Schmidt und Daniel diese | |
Ambivalenzen auf eine Weise heraus, die munter und zugleich etwas nervös | |
klingt. | |
Auch wenn sich „Thermoplastic Riot Shield“, der Track, für den der | |
Polizeischild bearbeitet wurde, gehetzter als die anderen Tracks anhört, | |
stellt Daniel fest „Es wäre anmaßend, wenn wir versuchen, mit dem Song das | |
Gewaltmonopol zu kommentieren, das dieser Schild repräsentiert, und den | |
[2][Rassismus, der auch darin steckt]. Was uns auch klanglich am | |
interessantesten schien, den Schild einfach zu streicheln – schon allein, | |
weil es in der Realität nie so sein wird, dass man sich einem solchen | |
Gegenstand behutsam annähert.“ Letztlich gehe es auch darum, neue | |
Erfahrungen mit Gegenständen zu machen, die im Alltag als langweilig | |
gelten. | |
Einer der Schwierigkeiten, mit der sie bei ihrem von der Musique concrète | |
beeinflussten konzeptionellen Ansatz umgehen, ist, dass ihr | |
Auseinandersetzung inhaltlich stets banal zu werden droht. „Die Gefahr beim | |
Collagieren“, erklärt Daniel, „ist, zusammenzuwerfen, was gerade zu passen | |
scheint: hier das Trommeln des Regens und da ein James-Brown-Sample. So | |
landet man schnell bei TripHop, wie er in Cafés läuft, die auf Baumhaus | |
machen. Da droht Kolonialismus.“ Matmos suchen dagegen nach dem Sinnlichen | |
im Profanen. Und bauen eigenwillige, durchaus hörenswerte Tracks – eine | |
ziemlich gelungene Zusammenführung von Avantgarde und Alltag. | |
15 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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