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# taz.de -- Neues Album von Solange Knowles: Sie ist das Superhirn
> Zeitgemäßes Rollenverständnis: Die afroamerikanische Künstlerin Solange
> Knowles brilliert auf ihrem neuen Album „When I get home“.
Bild: Musikalisches Superhirn: Solange Knowles
Machen wir ein Gedankenspiel. Keine Angst, es ist leicht und geht ganz
schnell: Stellen Sie sich ein Musik-Superhirn vor. Eine Person, die alles
selbst macht, alle Fäden zusammenhält, produziert, komponiert, singt und
rappt; eine Figur, die eine Staraura umgibt, daher die begehrtesten
MitmusikerInnen einlädt, nur um sie Backing-Vocals einsingen zu lassen. Wen
sehen Sie vor sich?
Womöglich denken Sie zuerst an einen Künstler. An Kanye West, der mit
seinem „Make America Great Again“-Basecap auf dem Kopf grinst, an Pharrell
Williams, der „Happy“ singt und hinter dem Mischpult sitzt. Doch hier geht
es jetzt nicht um Männer. Die Rede ist von Solange Knowles.
Sie ist ein Musik-Superhirn, denn Musik-Superhirne sind eben nicht nur
männlich, das sollte klar sein. Solange Knowles liefert den Beweis dafür
mit ihrem neuen Album „When I Get Home“, auf dem sie alle Sounds lenkt, die
Fäden der Produktion in der Hand hat, vieles selbst macht und es außerdem
schafft, mit den Erwartungen an sie als Künstlerin zu brechen.
## Radikal im Zarten
Radikalität kann im Zarten stecken. Überforderung kann im Ruhigen stecken.
Große Geschichten können in kleinen Beobachtungen stecken. Solange Knowles
hat all das bewiesen, als sie 2016 ihre drittes Album, „A Seat at the
table“, veröffentlichte. Die Musik hatte eine Wucht, sie war perfekt im
Klang, perfekt in ihren Erzählungen. Und dieses Album sorgte dafür, dass
Solange (Schwester von Beyoncé, ehemals zweite Garde bei Destiny’s Child)
als Solokünstlerin endlich die verdiente Anerkennung und einen Grammy
bekam.
Zu jener Zeit führte Donald Trump seinen berüchtigten
Präsidentschaftswahlkampf, aber Solange erhob gleichzeitig ihre Stimme,
kämpfte gegen Trump, blieb dabei ruhig und gelassen. Ihre Stärke lag darin,
nah reinzuzoomen in ihr Inneres und nah ranzuzoomen an den Alltag von
afroamerikanischen Frauen. Ihre Songs zeigten: In den USA gibt es
strukturellen Rassismus, Benachteiligung von Afroamerikanerinnen. In
Solange-Songs konnte man Verletzlichkeit spüren, gleichzeitig blieb sie
stark. „Don’t Touch my hair“, keine Widerrede!
Nun hat sich seit „A Seat at the table“ doch einiges geändert.
Unglücklicherweise ist Donald Trump mittlerweile schon zwei Jahre im Amt
und verschiebt täglich die Grenzen des Sagbaren, äußert sich offen misogyn
und rassistisch. Gleichzeitig gibt es mit #MeToo seit 2017 eine Bewegung,
die Stars im Showgeschäft wie R. Kelly ernsthaft hinterfragt, sexuellen
Missbrauch und ihren Machtmissbrauch gegenüber Frauen öffentlich macht und
Frauen stärkt.
## Die Skizze als Chance
In dieser Gemengelage hat Solange Knowles ihr viertes Album, „When I Get
Home“, veröffentlicht. 40 Minuten Musik, viele Skits, die Songs klingen wie
Skizzen, dauern weniger als zwei Minuten. Es ist das Gegenteil vom
konzeptionierten, ernst anmutenden Vorgängeralbum. Die neue Solange wirkt
leichter, verspielter, gewitzter – reines Understatement.
Solange macht weiterhin eine amtliche Form von R&B, der so sehr mit Jazz-,
Soul- und HipHop-Fragmenten verwoben ist, dass er ein neues, noch
namenloses Genre bildet. Vor allem ist [1][„When I Get Home“] ein weiteres
wichtiges popmusikalisches Moment. Die wichtigen Details offenbaren sich
erst auf den zweiten Blick.
[2][„Time (is)“] zum Beispiel, ein schöner Song, dessen Struktur sich immer
wieder verändert, auf dem sich ein reduzierter HipHop-Beat, ein funky
Basslauf, ein Piano und immer wieder hineinfließende Backingvocals
miteinander verbinden. Dieser Song wird getragen von der Präsenz der
Künstlerin, ihrem Gesang und, das fällt auf, wenn man genau hinhört, von
ihrem Talent als Musik-Superhirn.
Fast beiläufig bittet Solange auf dem Song auch die Künstlerkollegen
Sampha, Tyler the Creator und Panda Bear von Animal Collective hinzu. Und
deren Input stärkt den Song. Im darauffolgenden „My Skin My Logo“ duelliert
sich Solange plötzlich mit Trap-Urvater Gucci Mane, der auch für ein paar
Zeilen ins Studio gebeten wurde, ihre Reime stellen ihn in den Schatten,
sie lacht dabei zwischen den Zeilen. Es scheint ihr Spaß zu machen.
Auf „When I Get Home“ ordnen sich zahlreiche Kollegen dem Konzept von
Solange unter. Sie ist das Superhirn und bestimmt, wo es langgeht. Obwohl
die konkreten politischen Ansagen auf dem Album weitestgehend ausbleiben,
die Songs sich eher mit ihrer texanischen Heimatstadt Houston
auseinandersetzen und mit der eigenen Coolness, ist „When I get home“ ein
künstlerisches Statement. Solange schafft ein Rollenverständnis ab, das im
Pop seit Jahrzehnten existiert, und sie klingt dabei unglaublich lässig.
11 Mar 2019
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/playlist?list=PLSAIIKVY-KuQojh1y2GtpOKQ_poDx09tY
[2] https://www.youtube.com/watch?v=eclAWvVaO5Y
## AUTOREN
Johann Voigt
## TAGS
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