# taz.de -- Interview mit Musikerin Stella Sommer: „Magisches hat mich immer … | |
> Mit ihrer Band Die Heiterkeit ist Stella Sommer gerade auf Tour – hier | |
> spricht sie über ihre Landjugend, Hildegard Knef und MeToo. | |
Bild: Zwischen Berliner Birken: Stella Sommer | |
taz: Stella Sommer, Ihre Band Die Heiterkeit haben Sie in Hamburg | |
gegründet, vor einem Jahr zogen Sie nun nach Schöneberg. Ein Zufall, dass | |
Sie an diesem für die Popkultur mythischen Ort gelandet sind? | |
Stella Sommer: Zu Schöneberg hatte ich gar keinen Bezug. Berlin kannte ich | |
schon sehr gut, meine Eltern haben beide hier studiert, mein Vater ist in | |
Reinickendorf aufgewachsen und hat Familie hier. Wir waren als Kinder in | |
den Ferien oft in Berlin. Aber erst als ich nach Schöneberg zog, ist mir | |
aufgefallen, dass ich genau zwischen den Gedenktafeln für Marlene Dietrich | |
und Hildegard Knef wohne. | |
Haben Sie auch zu den Legenden der Schöneberger Achtziger-Szene – Bowie, | |
Iggy Pop, Nick Cave, Malaria! – einen Bezug? | |
Bedingt. Bowie fand ich immer faszinierend. Musikalisch gibt es vermutlich | |
am ehesten Schnittmengen zu Nick Cave, die Art des Songwritings ist mir | |
sehr vertraut. | |
Ihre Band klingt eher nach der dunkleren Seite der späten Sechziger, man | |
denkt an Nico & The Velvet Underground, Marianne Faithfull, Nick Drake. | |
Sollte es von Beginn an in diese Richtung gehen? | |
Dass sich diese dunkle Grundfarbe durch die Songs zieht, hat eher mit mir | |
selbst zu tun. Wenn ich Songs schreibe, schreibe ich die eigentlich immer | |
alleine in meinem Zimmer. Da herrscht wahrscheinlich eine bestimmte | |
Stimmung, die in den Liedern ist, weil sie halt alle vom gleichen Ort | |
kommen. Und egal, woher die Inspiration für ein Stück kommt, am Ende gehen | |
die Songs ja immer noch durch einen selber durch. Bestimmte Sachen kann ich | |
einfach nicht schreiben – selbst wenn ich’s versuchen würde, würde es nic… | |
gehen. Weil dann meine Stimme kommt, und die hat diesen Anstrich, den sie | |
nun mal hat. | |
Aber die Sechziger haben Sie schon musikalisch geprägt? | |
Ja. Der Pop und die Folksongs dieses Jahrzehnts haben mein Verständnis von | |
Songwriting geprägt. Ich glaube, das hört man deutlich. | |
Wenn Vergleiche wie Nico oder Hildegard Knef gezogen werden – nervt das | |
oder ehrt Sie das? | |
Die Vergleiche zu Nico und Hildegard Knef finde ich eigentlich okay, es | |
geht da ja vor allem um die Stimmfarbe. Andererseits mache ich auch das | |
jetzt schon zehn Jahre, da könnte man doch auch einfach sagen: „Das klingt, | |
als würde Stella Sommer ein Lied singen.“ Ab einem bestimmten Punkt wird es | |
auch langweilig. | |
Vor einem halben Jahr erschien Ihr Soloalbum „13 Kinds of Happiness“, acht | |
Monate davor die EP mit Die Mausis. Jetzt schon wieder ein neues Album mit | |
Ihrer Band. Sind Sie eine manische Songwriterin? | |
Ich habe ein wahnsinniges Polster an Stücken, weil ich bereits Lieder | |
schreibe, seit ich elf oder zwölf bin. Zu Hause habe ich eine Schublade | |
voller Kassetten, auf denen Songskizzen sind – einfach nur eine Strophe, | |
ein Refrain, maximal eine Minute. Bis ich 20 war, habe ich alles auf Tapes | |
aufgenommen, irgendwann bin ich auf Laptop und Handy umgestiegen. Meistens | |
gibt es zwar einen Grund dafür, dass man die Stücke nicht benutzt hat – | |
weil sie einfach nicht so gut sind wie andere. Aber manches verwerte ich | |
später doch noch. | |
Wie sind Sie als Kind zum Musikmachen gekommen? | |
Mit sechs Jahren begann ich mit dem Klavierunterricht, später hatte ich | |
Geigenunterricht. Darauf wurde zu Hause viel Wert gelegt. | |
Klingt nicht so begeistert. | |
Ich war zunächst extrem unmotiviert und vor allem auch sehr schlecht. Ich | |
hatte einen klassischen Klavierlehrer und ich hatte keine Lust auf Klassik. | |
Ich habe gelernt, nach Noten zu spielen, das war auch total wichtig, aber | |
wirklich Spaß gemacht hat es mir erst, nachdem ich vier, fünf Jahre Pause | |
gemacht habe und dann anfing, das Instrument neu zu lernen. Ich glaube, da | |
habe ich mir das Klavier erst richtig angeeignet. Da war ich 18. | |
Aber Songs haben Sie vorher schon geschrieben? | |
Ja, auf der Gitarre. In der Zwischenzeit hatte ich mir Gitarre spielen | |
beigebracht. | |
Sie sind in St. Peter-Ording aufgewachsen. Haben Sie eine typische | |
Kleinstadtjugend gehabt? | |
Eine typische Landjugend! Kleinstadt ist schon zu viel gesagt, das ist sehr | |
dörflich dort. | |
Was verbinden Sie heute mit dem Ort? | |
Ich bin dort eigentlich mittlerweile wieder gerne. Eine Zeit lang konnte | |
ich es nicht mehr so gut sehen, aber gerade im Sommer ist es total schön | |
da. Meine Eltern wohnen dort, die haben ein Waldgrundstück und zwei Hunde. | |
Ich kann da ewig rumhängen und spazieren gehen. | |
Welche Musik haben Sie in Ihrer Kindheit gehört? | |
Sehr viel Sechzigerjahre-Musik! Das begann, als ich den Film „A Hard Day’s | |
Night“ Film von den Beatles gesehen habe. Von da an war ich Beatles-Fan. | |
Später habe ich einen Bob-Dylan-Film gesehen, und es gab auch eine Serie | |
über The Monkees – dank der Sendungen und eines Oldie-Senders entdeckte ich | |
die Bands. | |
Gab es ein prägendes Konzert in Ihrer Jugendzeit? | |
Ja, das waren die Strokes. Da war ich so siebzehn, achtzehn. Da stellte ich | |
fest, dass es auch heutzutage Leute gibt, die Musik machen, die ich gut | |
finde. Das Konzert war hier in Berlin. | |
The Strokes haben ihr zweites Album auch mit „What Ever Happened“ eröffnet, | |
Ihr neues Album heißt „Was passiert ist“. Ist das ein Verweis? | |
Lustig. Nein, das ist mir nie aufgefallen, ich habe die Strokes nach deren | |
Debüt aber auch nicht mehr so viel gehört. | |
Kommen wir mal zu den Texten auf „Was passiert ist“. Der Song „Jeder Tag | |
ist ein kleines Jahrhundert“ hat ein bisschen was von „Everyday Is Like | |
Sunday“ von Morrissey. | |
Das Stück von Morrissey kenne ich natürlich, aber daran habe ich gar nicht | |
gedacht. Das Lied bezieht sich auf einen Aphorismus von Schopenhauer: | |
„Jeder Tag ist ein kleines Leben“ ist die erste Zeile. Das habe ich mal | |
aufgeschnappt und gedacht: Das kann ich verwenden. | |
Es gibt in dem Lied den Vers: „Ich versteck mich ganz hinter Bildern / die | |
nur ich sehen kann“. Spiegelt das wider, was Sie mit der eigenen Kunst | |
machen? | |
Wie meinen Sie das? | |
Dass sich in Ihren Songs vieles verbirgt, was rätselhaft bleibt. Wenn Sie | |
im Titelstück singen: „Was passiert ist, ist nicht komisch / Es ist | |
lachhaft, unironisch“, dann kann das alles und nichts bedeuten. Und was | |
wirklich passiert ist, wissen nur Sie. | |
Das Geheimnisvolle ist doch so reizvoll an Musik und Pop. Und das | |
interessiert mich natürlich beim Songwriting. Mich hat es immer gepackt, | |
wenn etwas Magisches in der Musik und in den Texten war, irgendetwas, das | |
man nicht verstanden hat. Wenn ich das Gefühl hatte: Der Sänger oder die | |
Sängerin weiß irgendetwas, was ich nicht weiß. Ob das wirklich so war, ist | |
mir eigentlich total egal gewesen, aber diese Illusion, der man sich | |
hingab, wenn da jemand mit einem Glitzern in den Augen auf die Bühne ging, | |
fand ich immer faszinierend. „Was passiert ist“ habe ich in dem | |
Albumkontext geschrieben, es sollte ein Opener für das Album sein. | |
Das heißt, Sie denken da sehr konzeptuell? | |
Man überlegt schon, welche Songs welches Puzzleteil auf dem Album sein | |
könnten. „Sterne am Himmel“ war etwa als Abschluss und Antwort auf „Was | |
passiert ist“ gedacht. Die abschließenden Verse des Albums – „Wo soll ich | |
sie suchen / irgendwer weiß es bestimmt / wie kann ich sie finden / wenn | |
die Sterne im Himmel / jetzt etwas anderes sind“ – sprechen für mich die | |
gleiche Orientierungslosigkeit und Desillusionierung an wie das erste | |
Stück. | |
Eine politische Desillusionierung? | |
Nicht unbedingt. Ich weiß nicht, ob Politik die gesellschaftlichen Probleme | |
überhaupt lösen kann, die wir im Moment haben. Es scheint ja alles ein | |
bisschen außer Kontrolle geraten zu sein, sich jenseits jeder Skala | |
abzuspielen. Ich habe das Gefühl, die Leute sind gar nicht mehr imstande, | |
Grautöne wahrzunehmen, alles ist Schwarz-Weiß. Als kürzlich zum Beispiel | |
Karl Lagerfeld starb, wurde er plötzlich auf einige wenige Aussagen | |
reduziert. Dabei stand doch gerade er dafür, dass jeder Mensch ein lebender | |
Widerspruch ist, dass man sich eben auf nichts festnageln lässt. Die Leute | |
können oder wollen Sachverhalte gar nicht mehr in ihrer Komplexität | |
erfassen. | |
Ist das ein Plädoyer für mehr Genauigkeit, mehr Langsamkeit? | |
Ach, ich weiß nicht. Es macht mich einfach wahnsinnig, wenn Leute in ihrem | |
Denken so ungenau sind. Das führt zur Verdummung der Allgemeinheit. (lacht) | |
Wie kommt es denn Ihres Erachtens zu dieser Entwicklung? | |
Vielleicht erfordern es unsere Kommunikationsformen, dass wir Sachverhalte | |
auf 280 Zeichen herunterbrechen. Nur: meistens sind die Dinge nicht so | |
einfach. Aber manchmal geht es ja auch nur darum, auf Twitter seine Meinung | |
in die Welt zu schreien. Es macht oft den Eindruck, als gehe es die ganze | |
Zeit nur noch darum, moralisch zu beurteilen, was richtig und was falsch | |
ist. Viele laufen permanent mit dem Zeigefinger durch die Gegend. Das finde | |
ich sehr deutsch. | |
Im Zusammenhang mit sozialen Medien aber ist es ja eben kein deutsches | |
Phänomen. Leben wir in einer Zeit des Online-Denunziantentums? | |
Zumindest kann man Dinge selten auf einen einzigen Faktor beschränken, und | |
das finde ich zum Beispiel bei komplexen Themen wie MeToo gefährlich. Jeder | |
hat im Zuge des Internet-hypes permanent eine eigene Meinung zu haben und | |
diese zu vertreten. Dabei werden Einzelurteile aufgrund von Halbwissen aus | |
dem Internet gefällt. Es wird gar nicht mehr geguckt, wie man der | |
Systematik solcher Übergriffe auf den Grund gehen kann. Unter einem Hashtag | |
werden dann alle möglichen Übergriffe subsumiert, ohne dass am Ende | |
eigentlich wer weiß, worum es ursprünglich ging. Oder ob die Sachen | |
tatsächlich passiert sind, wegen denen man Leute da gerade verurteilt. | |
Die großen gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit, die Sie nun | |
ansprechen, schwingen ja, oberflächlich betrachtet, auf dem Album gar nicht | |
mit. Spielen all diese Dinge unterschwellig eine Rolle? | |
Alles, was man mitbekommt und aufsaugt, spielt im kreativen Prozess eine | |
Rolle. Das muss ja auch nicht immer explizit politisch sein. | |
Wie sieht denn Ihre Arbeit an den Texten aus? | |
Ich sammle ziemlich viel. Ich notiere Sachen auf dem Handy oder auf | |
Zetteln. Das ist ein unterbewusster Prozess, der immer läuft, dass man | |
Sachen, von denen man denkt, dass man sie verwerten könnte, aufschreibt | |
oder sich merkt. Wenn ein Album ansteht, gucke ich das durch und überlege, | |
was ich benutzen will. | |
Und wenn Sie Texte schreiben, müssen sie möglichst offen sein? | |
Sie müssen offen sein, aber sie dürfen nicht leer sein. Das ist die | |
Herausforderung. Und sie müssen sich gut anhören. Der Text muss eine offene | |
Tür sein, durch die man als Hörer gehen kann, man muss Platz haben, in den | |
Song hineinzutreten, um ihn sich in Ruhe von innen anzuschauen. | |
Viele Stücke auf Ihrem neuen Album klingen fast zeitlos. Abgesehen davon, | |
dass Worte wie Instagram erwähnt werden, könnten die Stücke auch vor 20, 30 | |
Jahren geschrieben worden sein. Haben Sie den Anspruch, universalistische | |
Musik zu machen? | |
Zumindest mag ich Sachen, die zeitlos sind. Auch was Klamotten angeht. Und | |
ich denke, ich habe den traditionellen Ansatz des Songwritings so tief | |
aufgesogen, dass die Stücke immer ein bisschen klassisch anmuten. | |
Seit Mitte März sind Sie auf Tour, 17 Tage am Stück. Ist das belastend für | |
Sie, wenn Sie da die tragende Rolle haben? | |
Im Vorfeld ist es immer eine nervliche Belastung, man darf sich nicht so | |
viel Gedanken darüber machen, für was man alles verantwortlich ist. Auf | |
Tour habe ich immer Angst, krank zu werden. Wenn man sich erkältet, wird es | |
anstrengend. Das darf nicht passieren. | |
25 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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