# taz.de -- Neues Album von Die Heiterkeit: Die Person bleibt unnahbar | |
> Die Heiterkeit war mal eine Frauenband. Geblieben sind nur noch die | |
> sonore Stimme von Stella Sommer und ihr Sinn fürs Dramatische. | |
Bild: „Einsamkeit oder Glück – das macht nicht so einen Unterschied“, sa… | |
Stella Sommer gilt als düstere, nicoeske Performerin. Ihre Songs haben | |
einen [1][ausgefeilten Sinn fürs Dramatische]. „Es ist schwierig, ein Lied | |
übers Glücklichsein zu schreiben, das irgendwas mit einem selber macht.“ | |
Sommer lacht, während sie das sagt. Auf ihrem neuen Album „Was passiert | |
ist“ treffen exaltierte, orchestrale Arrangements auf ihre sonore Stimme. | |
„Man nennt es einsaaaaaahaham“ ist so eine Zeile, in der langgezogene | |
Vokale einen durch den Song tragen. Dazu knarzen im Hintergrund Synthesizer | |
und ein Upbeat bildet einen Gegenpol zum dunklen Songtext. | |
„Was passiert ist“ heißt das neue Album der ursprünglich Hamburger Band. | |
Mittlerweile operiert aber nur noch Stella Sommer als Die Heiterkeit – und | |
das aus Berlin: Sie schreibt die Texte, komponiert die Musik und stellt | |
eine Live-Besetzung zusammen. „Ich dachte auch bei diesem Album erst, ich | |
fang einfach mal an und geb es dann an die Band weiter. Aber irgendwie habe | |
ich gemerkt, dass dieses Vorgehen gar keinen Sinn mehr macht. Für mich ist | |
es das fünfte Album gewesen, die anderen waren teilweise noch nie im | |
Studio.“ | |
Dazu kamen die unterschiedlichen Lebensmittelpunkte der Bandmitglieder, die | |
nicht konstant waren. „Wenn man jedes halbe Jahr die Band-Konstellation | |
wechselt, dann kommt man ja auch nie dazu, eingespielt zu sein.“ Also nahm | |
Sommer das neue Album alleine mit ihrem Produzenten auf, mit dem auch schon | |
der Vorgänger entstanden war, ein 20-Song-Epos namens „Pop & Tod I + II“. | |
Dieses Doppelalbum war geprägt von Chören und Mehrstimmigkeit, ein Element, | |
das nun zurückgetreten ist. „Ich hatte mir das ein bisschen übergehört“, | |
sagt die Künstlerin. „Ich fand es gut, dieses Mal andere Sachen dafür | |
sorgen zu lassen, dass Harmonien reinkommen. Und dann ist es auch so, dass | |
man durch die Drei- oder Vierstimmigkeit sehr darauf limitiert ist, dass | |
man genug Frauen mitnimmt, wenn man live spielt – und es ist nach wie vor | |
einfach schwierig, solche zu finden.“ | |
## Emanzipatorisches Potenzial nicht zugestanden | |
Woran liegt es, dass Frauen seltener [2][Profimusikerinnen] werden? „Es | |
reicht bei Frauen oft nicht aus, dass sie ein Instrument gut beherrschen | |
und sich darauf konzentrieren“, meint Sommer. „Sie müssen dann immer gleich | |
auch noch anderes können.“ Als Die Heiterkeit sich vor zehn Jahren | |
gründete, hatte nur Sommer eine musikalische Ausbildung. | |
Um die Band gab es viele Gerüchte, bevor überhaupt das erste Konzert | |
gespielt war. Ein Smiley mit einem geraden Strich als Mund wurde ihr | |
Bandlogo, bildete mit dem Namen einen Widerspruch, der sich auch in der | |
inszeniert mies gelaunten Ausstrahlung der Band manifestierte. Dazu kam das | |
dunkle Timbre von Sängerin Sommer und ihre beiläufige, nonchalante | |
Intonation. | |
Geredet wurde aber vor allem darüber, dass Frauen hier Instrumente | |
bedienten, die sie nicht perfekt spielen. Bewegungen von Punk bis Geniale | |
Dilletanten haben sich diese Machart in die DNA geschrieben, der Heiterkeit | |
aber wurde das emanzipatorische Potenzial dieser DIY-Bewegungen nicht | |
zugestanden. „Das ist der Unterschied, dass Männern ja auch zugetraut wird, | |
das Musikmachen wirklich zu können. Sie machen das dann aus freien Stücken, | |
den Dilettantismus, weil sie das cool finden. Bei Frauen-Bands wird davon | |
ausgegangen, dass sie es nicht besser können“, sagt Sommer heute. | |
## „Ich war der größte Pop-Fan“ | |
Dass die Band nur aus Frauen bestand, war allerdings kein Konzept, sondern | |
ganz selbstverständlich: „Wir waren eben Freundinnen“, sagt Sommer. „Ich | |
war zwar schon mal in einer Band, aber das ist was anderes, wenn man noch | |
mal neu zusammen anfängt.“ So punk dieser Ansatz ist, einfach | |
herauszukommen, so gemischt waren die Reaktionen auf die ersten Songs und | |
das erste Album der Heiterkeit Anfang des Jahrzehnts. „Der Unterschied war, | |
glaube ich, nur, dass es halt nicht so viele andere Frauen gab, die das | |
gemacht haben. Es war sofort ein ziemlicher Druck drauf.“ | |
Ohne die klassische Bandbesetzung aus Bass, Gitarre und Schlagzeug schreibt | |
Stella Sommer nun immer größere Pop-Balladen. Die Musikerin, die | |
ursprünglich aus St. Peter-Ording kommt, hat sich die Harmonien bei | |
Teenage-Popbands der Sixties abgeschaut. „Ich war der größte Pop-Fan, den | |
man sich vorstellen kann und hab wirklich alles aufgesogen, was ich zu dem | |
Thema finden konnte. Vor allem 60er-Jahre-Musik hat mich fasziniert“, sagt | |
Sommer. | |
Seit sie ein Teenager ist, schreibt sie Songs, erst auf Englisch. Dass man | |
auch auf Deutsch singen kann, darauf kam sie erst in Hamburg. Das anglofone | |
Songwriting war zuletzt auch auf ihrem Solo-Album zu hören. Mit „13 Kinds | |
of Happiness“ erforschte Stella Sommer, wie Einsamkeit und Glück einander | |
bedingen, ließ beide Gefühle düster und melancholisch klingen. | |
## Sehnsucht in Zeiten von Instagram | |
„Einsamkeit oder Glück – das macht nicht so einen Unterschied“, sagt Som… | |
und lacht. „Einsamkeit, Orientierungslosigkeit, Desillusionierung“, diese | |
Themen stehen nun auch im Fokus ihrer Platte als Die Heiterkeit. Dabei | |
bleibt die Person, die da singt, so unnahbar wie ihr Gegenüber. | |
Poetische Zeilen wie „Die Zeit ist wie ein Gummiband, das man zwischen | |
Menschen spannt“ wechseln sich ab mit vagen Worten, die einen in die Irre | |
führen und manchmal auch überzeichnen. In „Ich sehe dich am liebsten“ geht | |
es um Sehnsucht in Zeiten von Instagram. Dazu erklingen Crescendi aus | |
Becken und Pauken, Bläser setzen zur dramatischen Untermalung an. | |
„Was passiert ist“, das fünfte Album der Heiterkeit, versammelt große | |
Gesten, aber genau das, was der Titel verspricht, die Antwort auf die | |
Frage, was passiert ist, die bleibt offen. | |
8 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Diviam Hoffmann | |
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