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# taz.de -- Interview 120 Jahre Deutsche Grammophon: „Rhythmusverschiebung, h…
> Clemens Trautmann hat in New York Klarinette studiert und als Jurist bei
> Springer gearbeitet. Jetzt leitet er das älteste Musiklabel der Welt –
> und feiert Britney Spears.
Bild: Clemens Trautmann
taz: Herr Trautmann, bevor Sie Manager und Präsident des berühmtesten
Klassiklabels der Welt wurden, waren Sie Profimusiker auf der Klarinette.
Können Sie es noch?
Clemens Trautmann: Die Frage stelle ich mir auch jedes Mal. Aber am Ende
ist es halt doch wie Fahrrad fahren. Man braucht eine Grundfitness als
Musiker. Und die habe ich, weil ich am Wochenende noch regelmäßig meine
Klarinette auspacke. Wenn ein Konzert ansteht, übe ich auch unter der
Woche. Das geht am besten morgens vor der Arbeit, weil ich abends doch
meist Verpflichtungen habe, entweder Geschäftsessen oder natürlich
Konzertbesuche mit unseren Künstlern.
Hat man als ehemaliger Profi, für den das Konzertieren jetzt nur noch ein
Hobby ist, nicht immer noch einen ungeheuren Anspruch an sich selbst, den
man vielleicht gar nicht mehr erfüllen kann?
Ich hoffe, dass ich die Sensibilität habe zu spüren, wann es vielleicht
nicht mehr ausreichend ist, was ich abliefere. Natürlich komme ich nicht so
viel zum Üben wie andere Kollegen, die regelmäßig Konzerte geben, deswegen
ist Selbstkritik wichtig. Außerdem darf man bei allen eigenen musikalischen
Projekten nie vergessen, dass ich in erster Linie in einer dienenden
Funktion gegenüber unseren Künstlern stehe.
Was spielen Sie so?
Natürlich das Standardrepertoire für Klarinette, das etwa Mitte des 18.
Jahrhunderts beginnt. Die großen Klarinettenwerke von Mozart, Weber,
Schumann, Brahms und Debussy und wie sie alle heißen. Ich habe aber auch
immer sehr viel Avantgarde gespielt, das war mir wichtig. Werke von Pierre
Boulez oder Karlheinz Stockhausen. Und Uraufführungen, etwa von Komponisten
wie Manfred Trojahn, Birke Bertelsmeier, Akira Nishimura oder Sven-Ingo
Koch.
Nicht jeder Klassikfreund schätzt die sogenannte Neue Musik. Auch nicht
jeder klassische Musiker.
Aus meiner Sicht gehört für einen Musiker diese Offenheit unabdingbar dazu.
Genauso wie man versuchen sollte, über das Genre der klassischen Musik
hinaus zu denken. Eine Zeit lang habe ich deswegen intensiv Klezmer
gespielt. Meine damalige Klarinettenlehrerin war mit Giora Feidman
befreundet, dem berühmten Klezmer-Klarinettisten. Auf diese Weise durfte
ich Feidman immer wieder begegnen und bekam auch Unterrichtsstunden von
ihm.
Ist Klezmer nicht ein wenig wie Blues? Man muss ihn spüren, oder?
Ja, man muss ihn spüren. Als klassischer Musiker ist man daran gewöhnt, mit
Noten zu arbeiten. Da ist es ein Schockmoment, wenn auf einmal nichts auf
dem Papier steht und Du in der Klezmercombo eine Improvisation, ein Solo
darbieten musst. Für einen klassischen Musiker ist es eine riesige
Herausforderung, nicht nach notierter Musik zu spielen.
Aber irgendwann geht es?
Das zu erlernen ist ein Prozess. Wenn man seine erste Improvisation
abliefert, fühlt man sich noch völlig schutz- und hilflos. Aber das ändert
sich schnell. Man erobert sich langsam Räume und Freiheiten.
Spielen Sie auch heute noch Klezmer?
Es gibt ja den schönen Satz: „Eine Hochzeit ohne Klezmer ist wie eine
Beerdigung ohne Tränen.“ Wenn ich bei Freunden zur Hochzeit eingeladen bin
und ein Ständchen erwünscht ist, dann spiele ich gerne Klezmer.
Wie ging das alles überhaupt los zwischen Ihnen und der Musik?
Mein Vater war Ingenieur, meine Mutter Kauffrau. Mein familiärer
Hintergrund könnte, zumindest auf dem Papier, der Musik gar nicht ferner
sein. Und es war durchaus nicht so, dass es meinen Eltern finanziell leicht
fiel, meiner Schwester und mir Musikunterricht zu ermöglichen. Was im
Elternhaus jedoch vorhanden war, das war eine große Liebe zur Musik, die
sehr zwanglos an uns weitergegeben wurde.
Die Musik wurde Ihnen seitens der Eltern also schon nahegelegt?
Sie haben Möglichkeiten eröffnet. Innerhalb dieses Rahmens hatten wir
totalen Freiraum. Was freilich gesetzt war: Wenn wir schon Klarinetten-
oder Klavierunterricht bekamen, dann musste der auch wahrgenommen und es
musste geübt werden. Ob wir allerdings fünf Minuten oder fünf Stunden am
Tag übten, das überließen unsere Eltern uns. So an die Musik herangeführt
zu werden, das war für mich perfekt. Und so, ohne Druck zu erzeugen, würde
ich das auch an meine Kinder weitergeben, wenn ich welche hätte.
Geht das denn: Es ohne viel Druck zum Profimusiker zu schaffen?
Viele Musikerfreunde, die unter immensem Druck der Eltern oder ihres
Umfelds standen, haben entweder aufgehört oder sind daran zerbrochen. Nur
wenige können Druck in etwas Positives verwandeln.
Ab wann war Ihnen klar, dass Sie das Spielen auf der Klarinette auch zu
Ihrem Beruf machen könnten?
Dass es mal ernster werden würde mit mir und der Klarinette, hat sich erst
kurz vor meinem Abitur herauskristallisiert. Ich hatte auch damals schon
eine ganze Menge anderer Interessen neben der Musik. Die musste ich dann
natürlich zurückstellen. Weil ich wusste: Für die Musik gibt es nur dieses
eine Fenster. Da kann ich jetzt nicht erst einmal vier Jahre lang BWL,
Theologie oder sonst was studieren und dann wieder ins Konzertleben
zurückkehren. Diese Chance, mit der Musik als Profi weiterzumachen, die bot
sich nur einmal.
Noch während Ihrer Zeit als Profimusiker haben Sie damit begonnen, Jura zu
studieren. Haben sich Ihre anderen Interessen irgendwann doch bei Ihnen
zurückgemeldet?
In meinem Hinterkopf war immer, dass die Musik in sich zwar ein Kosmos ist.
Dass da draußen aber noch viele andere Welten liegen, die spannend sind und
die es zu entdecken gilt.
Dabei haben Sie im Alter von 20 Jahren an der renommierten Juillard School
in New York Musik studiert. Sagt man sich da nicht: Okay, das ist es, ich
hab’s geschafft?
Selbst wenn man mit 20 in New York leben und arbeiten kann, hat man
eigentlich noch gar nichts erreicht. Um als Klarinettist langfristig seinen
Lebensunterhalt zu bestreiten, hat man typischerweise zwei Optionen:
Orchestermusiker zu werden oder zu unterrichten, entweder an der
Musikschule oder am Konservatorium. Als Pädagoge wäre ich viel zu
ungeduldig gewesen, das war mir gleich klar. Orchestermusiker hätte mich
vielleicht gereizt, ich konnte mir aber nicht vorstellen, dass ich das 30
oder 40 Berufsjahre mit derselben Euphorie weitermachen könnte.
Sie haben sehr viel Kammermusik gespielt, um sich dann in Hamburg für ein
Jura-Studium einzuschreiben. Sie haben in dem Fach sogar promoviert. Warum
sind Sie nicht als Jurist tätig geworden?
Um ein Haar wäre ich wirklich in der Jurisprudenz gelandet. Ich hatte die
Option, nach meiner Promotion zu habilitieren. Letztlich habe ich mich dann
aber doch für einen weniger seriösen Weg entschieden. Das Alternativangebot
zur wissenschaftlichen Karriere war die Vorstandsassistenz bei Mathias
Döpfner im Axel Springer Verlag. Und das habe ich auch begeistert
angenommen. Ich wollte einfach erneut etwas ganz anderes ausprobieren.
Mathias Döpfner war mal Musikkritiker bei der FAZ. Gab es zwischen Ihnen
und Ihrem Chef auch eine Verbindung durch die Musik?
Sicher, es gab diese Verbindung, wobei sie im Arbeitsalltag höchstens
indirekt zum Tragen gekommen ist. Wir haben vielleicht zwei Mal im Jahr
über Musik gesprochen. Über digitale Transformation dagegen täglich.
Seid drei Jahren sind Sie nun Präsident der Deutschen Grammophon. Für
diesen Job erscheint Ihre bunte Biografie geradezu ideal.
Man könnte vielleicht sagen: Der Job ist die perfekte Synthese aus allen
losen Enden meiner Biografie.
Leicht ist es aber nicht, so ein traditionsreiches Klassiklabel durch die
andauernde Krise der Musikindustrie zu manövrieren, oder?
In der Musikindustrie insgesamt gibt es in Deutschland wieder ein leichtes
Wachstum. Aber die klassische Musik ist noch nicht Teil dieses Trends.
Warum ist das so?
Das liegt im Wesentlichen daran, dass unsere Kernzielgruppe, die so im
Schnitt 35, 40 Jahre und älter ist, noch nicht so konsequent auf digitale
Plattformen wechselt. In der Popwelt ist die 50-Prozent-Marke inzwischen
überschritten zu Gunsten von Streaming. In der klassischen Musik werden in
Deutschland dagegen noch 80 Prozent der Umsätze mit physischen Tonträgern
gemacht. Die Deutsche Grammophon will ein Motor der Digitalisierung sein,
und tatsächlich wachsen wir im Streaming viermal so stark wie der Markt. In
den USA sind schon 80 Prozent des klassischen Musikkonsums digital, wovon
wir als internationales Label stark profitieren.
Klassik hören per Algorithmus. Ein Stück von Mozart, danach vielleicht ein
seichter Popsong. Sind Streaming-Plattformen nicht ein Grauen für jeden
ernsthaften Klassikliebhaber?
Insgesamt sehe ich für die klassische Musik auf diesen Plattformen eher
Chancen als Risiken. Anders als in der physischen Welt, wo die
Klassikabteilung doch eher im zweiten Untergeschoss in der hintersten Ecke
des Kaufhauses zu finden war, ist es jetzt viel einfacher, klassische Musik
zu entdecken. Und man musste in der analogen Ära viel investieren für diese
Entdeckungen. 15 bis 20 Euro für ein Album, ohne zu wissen, ob einem das
auch wirklich zusagt. Durch ein Abomodell, wie bei den
Streaming-Plattformen, wird es für klassische Musik einfacher, dass sich
Leute auf sie einlassen. Der Einstieg über die Stimmung, statt über das
Genre, kann dabei durchaus helfen.
120 Jahre alt ist die Deutsche Grammophon jetzt. Ein wenig Patina hat das
Label schon angesetzt, oder?
Ich glaube, wir Deutschen könnten auf die Marke Deutsche Grammophon ruhig
etwas stolzer sein. Es gibt nicht allzu viele Marken, die diesen Weltruf
haben. Und deren visuelles Erscheinungsbild vielerorts in die gesprochene
Sprache übergegangen ist: „The Yellow Label“. Wenn ich im Ausland unterwegs
bin, ist die Wertschätzung für die Deutsche Grammophon um einiges größer
als im eigenen Land. Etwa in Frankreich und Italien, vor allem aber in
Asien, wo das gelbe Label beinahe gleichbedeutend ist mit klassischer
Musik.
Waren Sie deswegen zum Jubiläum gerade auf großer Label-Tour in Asien?
Deswegen, und auch, weil die Zahl 120 in Asien eine besondere Bedeutung hat
und kulturell aufgeladen ist. 60 Jahre gelten als Lebenszyklus. Den haben
wir also schon doppelt vollendet. Das mit unseren Künstlern bei einem
Konzert im alten Kaiserpalast, der Verbotenen Stadt, in Peking feiern zu
dürfen, bleibt unvergesslich.
Die Deutsche Grammophon wird wohl auf ewig eng mit dem Namen Herbert von
Karajan verbunden bleiben. Behindert der nicht mehr ganz zeitgemäß wirkende
Geniekult, der um Karajan entstanden ist, die Modernisierung des Labels?
Die Deutsche Grammophon hat mit Herbert von Karajan rund 405 Stunden Musik
produziert, wie wir kürzlich recherchiert haben. Also ja, Karajan gehört
sehr stark zu unserer Historie. Das ist ein unglaublicher Schatz, der das
Label ästhetisch mitdefiniert hat.
Da auf dem Tisch in Ihrem Büro steht die Karajan-Gesamtausgabe. Ganz schön
groß.
Ich plädiere natürlich dafür, diesen Schatz zu pflegen und auch durch
Storytelling bei Instagram einer jüngeren Generation näher zu bringen.
Zugleich werden andere spannende und teils konträre künstlerische
Entwicklungen und Positionen, die es bei uns gab und gibt, durch die
überlebensgroße Figur Karajans etwas verdeckt. Zum Beispiel, dass die
Deutsche Grammophon historisch auch für elektronische oder minimalistische
Musik eine wichtige Heimat war. Stockhausens „Gesang der Jünglinge“, Steve
Reichs „Drumming“ oder das 1. Violinkonzert von Philip Glass mit Gidon
Kremer hatten beispielsweise bei uns ihr Debüt. Das sind Traditionsstränge,
an die wir heute etwa mit Max Richter anknüpfen können. 2018 haben wir auch
das Leonard-Bernstein-Jahr gefeiert. Das hat geholfen, auf sein unglaublich
facettenreiches Schaffen neu aufmerksam zu machen.
Karajan gilt als einer der Väter der CD. Er wollte unbedingt einen
Tonträger, auf den Beethovens Neunte Symphonie passt, ohne dass man dafür
eine Schallplatte umdrehen müsste. Nun verschwindet die CD langsam vom
Markt. Hat uns Karajan ein Format beschert, das sich bald als historischer
Irrtum herausstellen wird?
Sollte sich die CD im Nachhinein als historischer Irrtum erweisen, so war
sie doch ein sehr wirkungsmächtiger und auch kommerziell relevanter Irrtum.
Die 80er und 90er Jahre waren eine unheimliche Boomphase für die
Musikindustrie, weil alle Vinyl-Kataloge neu ediert wurden und
Einspielungen speziell für CDs vorangetrieben wurden. Was in dieser Phase
künstlerisch entstanden ist, möchten wir nicht mehr missen. So manche
aufwändige Referenzaufnahme wäre ohne diesen Boom gar nicht möglich
gewesen.
Wir haben jetzt sehr viel über klassische Musik gesprochen. Herr Trautmann:
Haben Sie auch einen Zugang zum Pop?
Okay, jetzt wird es gefährlich. Tatsächlich bin ich in dem Bereich eher bei
älterer Musik unterwegs. Ich habe beispielsweise eine große Schwäche für
Janis Joplin. In ihrer Musik ist etwas Existenzielles spürbar. Da ich bei
Universal Music auch den Jazz verantworten darf, spielt das Genre auch
privat eine große Rolle für mich. Und ich habe ein paar „guilty pleasures�…
Jetzt wird es interessant.
Ich finde, die Musik von Britney Spears ist einfach gut produziert. Das ist
handwerklich verdammt gut gemachte Popmusik. Nehmen Sie „Oops!… I Did It
Again“ und „Baby One More Time“. Da passieren unheimlich spannende Sachen,
die die allermeisten vielleicht gar nicht bewusst wahrnehmen. In „Oops! I
Did It Again“ wird an einer Stelle der Rhythmus effektvoll verschoben. Und
in „Baby One More Time“ wird es am Ende polyphon.
Ach ja?
(Streamt zuerst „Baby One More Time“ und danach „Oops!…I Did It Again�…
Hier: Eine Art Kanon. Der Chor singt fast dasselbe wie Britney, aber um
einen Takt versetzt. Und während es normalerweise „Oops! … I did it again�…
heißt, klingt es nach der Stelle mit dem Astronauten so: „Oops! I … did it
again“. Mit der Betonung auf dem „I“. Hören Sie die Rhythmusverschiebung?
Ja, jetzt höre ich es auch.
29 Dec 2018
## AUTOREN
Andreas Hartmann
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