# taz.de -- Piano Pop Noir: Nach ihr die Sintflut | |
> Die norwegische Darkfolksängerin Susanna Wallumrød wirkt auf ihrem Album | |
> „Garden of Earthly Delights“ so schön entrückt wie sonst nur Joni | |
> Mitchell. | |
Bild: Susannas Bruderschaft ist maximal feminin | |
Als Jugendliche schaffte es die norwegische Sängerin Susanna Wallumrød aus | |
eigener Kraft, sich von einer religiösen Sekte loszusagen. Für ihr heutiges | |
Schaffen als Künstlerin sei genau der umgekehrte Fall interessant, wenn der | |
rationale Verstand aufhöre und der irrationale Glaube beginne, sagte die | |
1979 geborene Musikerin einmal in einem Interview. | |
Spiritualität spielte jedenfalls auf allen ihren bisher veröffentlichten | |
zwölf Alben eine große Rolle. Doch auf ihrem verwunschenen klingendem neuen | |
Album mit ihrer Band Susanna & The Brotherhood of Our Lady, „Garden of | |
Earthly Delights“, finden sich derart erdverbundene Textzeilen, wie sie so | |
außerhalb von Skandinavien kaum entstehen könnten. „I come from sea / I | |
come from wilderness“ singt Susanna, wie sie sich nennt, mit entrückter | |
Sopranstimme. | |
Es ist vermutlich hilfreich, die Musik zu solchen Texten von Fjorden | |
umgeben am Rande einer Insel auf einem Felsvorsprung einzuspielen. Und | |
genau so, in einer Blockhütte an der Westküste Norwegens, hat Susanna ihr | |
neues Album tatsächlich aufgenommen. „Garden of Earthly Delights“, „Gart… | |
der Lüste“ ist der Titel eines 500 Jahre alten Triptychons des | |
niederländischen Malers Hieronymus Bosch. Dessen verstörende Panoramen von | |
Schöpfung, Hölle und Garten Eden sind nun Inspirationsquelle für Susanna. | |
Das Album sei kein Soundtrack zu den gewalttätigen Gemälden von Bosch, | |
aber: „Ich finde schon, dass es deutliche Parallelen zwischen der | |
Absurdität in seinen Bildern und der heutigen Zeit gibt“, sagt sie. | |
Das Leben, wie es Susanna sieht, ist eine ziemlich triste Angelegenheit: | |
Man verliert sich in Lust und Völlerei, Gier bestimmt das Handeln. „Give me | |
the money and I’ll show you a good time“, säuselt die Norwegerin in „Dea… | |
and the Miser“ mit nahezu Nick-Cave-artigem Gothic-Zynismus. „Garden of | |
Earthly Delights“ sei ein Album, das in Farb- und Facettenreichtum den | |
Vergleich mit Hieronymus Bosch nicht zu scheuen brauche, behauptet der | |
Waschzettel. | |
Und liegt damit gar nicht so falsch. Denn die klassisch ausgebildete | |
Pianistin arbeitet mit zischenden Industrielauten („Wayfarer“), fährt | |
Synthesizer wie in einem Horrorfilm-Soundtrack auf („Ecstasy X“), oder | |
lässt ein Akkordeon dröhnen („Ecstasy“). Der Produzent Deathprod alias | |
Helge Sten, bekannt für abgründige Ambient-Projekte im Grenzbereich des | |
Freejazz, dürfte daran seinen Anteil gehabt haben. | |
## Die Bruderschaft besteht aus Schwestern | |
Doch wo Dunkelheit dräut, ist das Licht nicht weit: Mit ihrer | |
neugegründeten, ausschließlich aus Musikerinnen bestehenden Band | |
Brotherhood of Our Lady, benannt nach der gleichnamigen Bruderschaft | |
Boschs, singt Susanna in makellos folk-barocker Mehrstimmigkeit. Zarte | |
Klavierballaden wie „Ship of Fools“ und „Gluttony and Lust“ sind von ei… | |
entrückten Schönheit, wie man sie sonst nur auf Joni-Mitchell-Alben | |
entdecken kann. | |
Referenzen an die große kanadische Künstlerin finden sich auch im | |
Titelsong: „I go out at night to look over the fence into the garden of | |
earthly delights“ singt Susanna und erinnert damit an Mitchells | |
„Woodstock“, in dem die goldenen Blumenkinder der sechziger Jahre sich | |
„back to the garden“ sehnen. | |
„Es geht um den Kapitalismus und die Schönheit des Lebens“, kommentiert | |
Susanna Wallumrød, „verbunden mit religiösen, mythischen und okkulten | |
Bildnissen und Symbolen.“ Am Ende besteht wenig Hoffnung, der „River to | |
Hell“ bietet keine Erlösung für die Verdammten. Und: „There’s a flood | |
coming – Beware!“ Mit liebreizenden Folk-Songs und düsterster | |
Industrial-Anmutung umarmt Susanna Wallumrød die Schattenseiten des Lebens. | |
Festzuhalten bleibt: „Garden of Earthly Delights“ ist ein famoses Album. | |
5 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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