# taz.de -- Experimentelles Musikfestival am Rhein: Dubben mit dem Bürgermeist… | |
> In Monheim haucht die Triennale, ein kleines, aber reizvolles | |
> Musikfestival zwischen Freejazz, Elektronik und Experiment, der Provinz | |
> neues Leben ein. | |
Bild: Power Play unter Deck: (v.l.n.r.) Greg Fox, Hibotep und Sam Amidon am Sam… | |
Am Samstagnachmittag findet man Hibotep auf dem Sonnendeck. Der Rhein | |
fließt braungrün dahin, Güterschiffe ziehen Richtung Norden. Am Anleger | |
Monheim, wo sonst eine kleine Personenfähre ankert, liegt nun ein Koloss. | |
An Deck der 85 Meter langen „MS RheinFantasie“ lümmeln sich eine Handvoll | |
Musiker:innen in Liegestühlen. Darunter auch Hibo Elmi alias Hibotep, | |
geboren 1992 als Tochter somalischer Flüchtlinge in Addis Abeba. | |
In Europa wächst langsam ihre Bekanntheit als DJ, ihre Sets vereinen die | |
unterschiedlichsten Genres. Elmi erzählt von ihrer Wahlheimat, der | |
ugandischen Hauptstadt Kampala, in der sie sich deutlich wohler fühlt als | |
in ihrem Geburtsland Äthiopien. | |
„Wenn du unser Festival in Kampala besuchst, musst du auf Taschendiebe | |
achten. Aber: Auf dem Danceflloor, auf dem ich abhänge, trauen die sich | |
nicht. Denen ist die Musik zu krass!“ Gelächter, dann macht Elmi | |
Soundcheck, ein Deck tiefer. Es war nicht leicht, die Ostafrikanerin nach | |
Monheim zu engagieren, in ein 40.000-Einwohner-Städtchen zwischen Köln und | |
Düsseldorf. In Uganda ist gerade Lockdown, doch das Goethe-Institut Kampala | |
konnte helfen. Schneller hat dort noch nie jemand ein Visum erhalten. | |
## Positive Nervosität | |
13 Musiker*innen aus 6 Ländern sind für eine Woche angereist, selbst | |
aus dem „Virusvariantengebiet“ Großbritannien haben es der | |
Multiinstrumentalist Sam Amidon und die Trompeterin Yazz Ahmed geschafft; | |
nur einer wurde die Einreise verweigert. „Ich suche nach Leuten, die mich | |
positiv nervös machen“, sagt Reiner Michalke über seine Auswahl. Der Kölner | |
kuratierte lange [1][das renommierte Moers Festival], nun hat er ein | |
gänzlich neuartiges Konzept entwickelt: die Monheim Triennale. „Wir zeigen | |
aktuelle Musik schubladenfrei“, sagt der künstlerische Leiter Michalke. „In | |
Monheim lernt man Künstler:innen kennen, kein Fertigprodukt. | |
Hierarchiefrei, auf Augenhöhe. “ | |
Keine*r der 13 Musiker*innen ist mit Backingband gekommen, die | |
Geladenen sollen zusammenfinden, improvisieren, dabei Neues entwickeln. | |
Nach der Absage im letzten Jahr wurde aus der Pandemie-Not heraus die Idee | |
eines „Prequels“ für 2021 geboren. Ein Vorwort, der erste Teil eines | |
Kunstwerks, das erst 2022 vollständig erblühen wird, und dann alle drei | |
Jahre. Ein ambitioniertes Avantgarde-Festival in der | |
nordrhein-westfälischen Provinz? Mit weniger als 1.000 verkauften Tickets | |
an drei Tagen? Das geht nur dank öffentlicher Gelder. | |
Die Monheim Triennale geht auf eine Idee von Daniel Zimmermann zurück. Der | |
[2][Monheimer Bürgermeister] war einmal der jüngste seiner Art in | |
Deutschland, seine Jugend-Partei PETO regiert die Stadt mit absoluter | |
Mehrheit. Im Gewerbegebiet, in Rufweite des Festivalschiffs, haben sich im | |
letzten Jahrzehnt zahlreiche Tech-Unternehmen angesiedelt – weil PETO die | |
Gewerbesteuer um ein Drittel gesenkt hatte. | |
## Architektonisch reizvolle Musikschule | |
Von den Mehreinnahmen profitieren die Monheimer*innen: Der ÖPNV ist | |
kostenlos, Schul- und Sportstätten werden aufwendig saniert. Besonders | |
stolz ist man auf die architektonisch eindrucksvolle neue Musikschule. | |
Achim Tang ist hier stark engagiert. Der Bassist hat sich für die Triennale | |
mit mehreren Orchesterklassen Carla Bleys vor 50 Jahren entstandene | |
Jazzoper „Escalator over the Hill“ vorgenommen und führt sie mit 20 | |
Teenagern am Freitag im Schiffsbauch der „MS RheinFantasie“ auf. | |
Genau dort, wo abends zuvor alle 13 geladenen Musiker*innen einen | |
„Round Robin“ veranstalteten. Das Konzept: Es wird in Duos improvisiert, | |
alle sieben Minuten ändert sich die Besetzung. Der Klang im Partyschiff ist | |
erstaunlich gut. Was mit einem Drumsolo beginnt, geht bald in | |
infernalischen Noise über, dann wird es lyrisch. Kaum ein Duo funktioniert | |
so gut wie das des Deutschen Robert Landfermann mit US-Folksänger Sam | |
Amidon: Landfermanns gezupfter und gestrichener Jazzbass verbindet sich | |
elegant mit Amidons mantrischen Gitarrenmotiven. | |
Es folgt die Urgewalt des Basssaxofons von [3][Colin Stetson], eine | |
hypnotische Reise in die Abgründe von Minimal und Post-Rock, kongenial | |
begleitet vom Gitarristen Stian Westerhus. Weiterer Höhepunkt: das | |
Solo-Gitarre-Set von Ava Mendoza zwischen Punk und Blues. | |
Die letzte Stunde des Festivals gehört Hibotep. Samstagnacht legt sie, | |
markante Ohrringe, bunter Turban, oben auf dem Sonnendeck auf. Monheim | |
fühlt sich auch abends tropisch an, nicht nur wegen Temperaturen um die 23 | |
Grad. Trap, südafrikanischer Electro, düsterer Dub und dazwischen Shakira | |
wehen über den Rhein und zwischen die Wohnhäuser am Ufer. Dennoch ist erst | |
um 0:30 Uhr Schluss. Schließlich war der Bürgermeister bis zum Schluss an | |
Deck. | |
7 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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