# taz.de -- Pop in Österreich: Leben und Sterben in Wien | |
> Jenseits von Andreas Gabalier hat Österreich kontroverse Bands und gute | |
> Projekte zu bieten: Wanda und das diskursive Musikmagazin „skug“. | |
Bild: Eine zarte Renaissance des Austropop: die Band Wanda tanzt Amore. | |
Es war ein bewegtes Jahr für die österreichische Pop-Musik. Erst stellte | |
das Alpenland mit Conchita Wurst die Überraschungssiegerin des Eurovision | |
Song Contest – und setzte so ein Zeichen gegen Intoleranz. Wenig später | |
brach der strammrechte „Volks-Rock-’n-Roller“ Andreas Gabalier eine Debat… | |
um den vermeintlichen „Gender-Wahnsinn“ vom Zaun. | |
Bis heute scheint das Männerbild zwischen Bregenz und Wien nachhaltig | |
erschüttert, selbst in der Indie-Szene. Doch mit der Wiener Band Wanda gibt | |
es nun auch eine subtile Rückversicherungsmusik für all jene, die insgeheim | |
um ihren Kompass fürchten. „Es ist eh höchste Zeit, dass endlich wieder | |
jemand in Liedern Frauen ’Baby‘ nennt“, jauchzte etwa das Gratismagazin T… | |
Gap angesichts der Veröffentlichung von Wandas Debütalbum „Amore“ und | |
Zeilen wie „Mein Glied unterwirft sich der Diktatur deines Mundes, Baby“. | |
In den österreichischen iTunes-Charts erklomm das Album Platz vier. Der | |
Radiosender FM-4, in dessen Charts die Wanda-Single „Bologna“ gerade von | |
der Spitze grüßt, spricht bereits von einem Klassiker und setzte Sänger | |
Marco Michael Wanda gar mit dem Schlagersänger Peter Cornelius ins Studio. | |
Österreichische Medien erhoffen sich von dem Sänger, dass er eine zarte | |
Renaissance des Austro-Pop einläutet, wie einst von Falco oder Wolfgang | |
Ambros vorgemacht. | |
Das mag weniger am Achtziger-Jahre-Hitparadensound des Quintetts liegen als | |
an der Inbrunst, mit der Wanda seine Texte im Wiener Schmäh vorträgt. Er | |
selbst nennt sie „Kinderlieder“, weil sie so eingängig seien. Jugendfrei | |
ist hier allerdings nur weniges. Für Wanda geht es immer um Liebe, | |
Enttäuschung und Rausch. Da singt er in „Bologna“ vom Sex-Wunsch mit der | |
eigenen Cousine – eine Form von Liebe wie sie die Habsburger intensiv | |
gepflegt haben. | |
Überhaupt, diese Enge. „Einmal willst du leben in Rom / Einmal willst du | |
nach Berlin / Sterben wirst du leider in Wien – da g’hörst du hin.“ | |
Natürlich muss Wanda dabei vorgaukeln, ein postmoderner Mann zu sein, damit | |
alles medienverträglich aufgeht. So sehr er mit seinem Schalk provoziert, | |
so sehr kokettiert er auch mit seiner Schlichtheit. „Sag nicht alles so | |
kompliziert / Weil ich versteh’ das garantiert nicht“, bekennt er und | |
bittet eine „Luzia“ darum, ihm nochmals wehzutun. | |
## Leidensschöner Flegel | |
Und weil Wanda dabei nicht nur heraussingt, was viele Männer noch immer | |
denken, sondern dies auch auf emotivste wienerische Art macht, beschert er | |
ihnen noch ein zweites Bekräftigungsmoment: Er gibt den Österreichern den | |
Glauben an einen massentauglichen, aber „coolen“ Austro-Pop zurück. Mögli… | |
wird das, weil der leidensschöne Flegel selbst Populismusvergleiche mit den | |
Anti-Wurst-Kriegern von der FPÖ an sich abperlen lässt: „Wir haben am | |
Anfang auch unsere Musik als neue Variante von österreichischer Popmusik | |
bezeichnet. Da kann man skeptisch werden, gerade mit diesem | |
Rechtspopulismus und Radikalismus“, hat er dem Boulevardblatt Kurier | |
gesagt. | |
Wer einen intellektuellen Umgang mit dem Thema sucht, findet ihn derzeit am | |
Kiosk. Das österreichische Musikmagazin skug hat für seine hundertste | |
Ausgabe den Popstar Austrofred auf das Cover gepackt. Hinter der Kunstfigur | |
mit dem schwarzen Schnäuzer und dem tief ausgeschnittenen Ganzkörpertrikot | |
steckt der Wiener Franz Adrian Wenzl, der Austro-Pop- und eigene | |
Mundarttexte bereits seit zehn Jahren mit dem Melodicrock von Queen | |
verbindet. | |
Dem skug – und seinen Lesern – liest er zum Jubiläum die Leviten. Es ist | |
ein feiner Humor, wie man ihn nicht unbedingt mit dem ernsten Blatt | |
verbindet. „Wir positionieren uns, wo andere so etwas wie Haltung nur | |
simulieren“, sagt skug-Herausgeber Alfred Pranzl im Gespräch. | |
## Blick auf die Avantgarde in Osteuropa | |
Das 1990 ins Leben gerufene Magazin widmet sich als „Journal für Musik“ dem | |
analytischen Schreiben über Pop und bewegt sich dabei routiniert im Feld | |
der linken deutschsprachigen Pop-Kritik. Von Beginn an versuchte man sich | |
hierfür an Neuerschließungen, wie sich Pranzl als letztes verbliebenes | |
Gründungsmitglied an die Anfangstage erinnert: „Die Mauer war kurz vorher | |
gefallen, deshalb richteten wir den Blick auf die Avantgarde in Osteuropa | |
sowie auf neue Stile wie Techno.“ | |
Heute umreißt Pranzl seine Aufgabe mit „Diskurspflege statt | |
Videospielbesprechungen“. Mit Letzteren würde sich die werbefinanzierte | |
Gratiskonkurrenz über Wasser halten. In der Jubiläumsausgabe porträtiert | |
man die Wiener Avantgarde-Eklektiker Metalycée, interviewt den | |
Kulturtheoretiker Tom Holert über den „Klassenkampf von oben“ in der | |
Gegenwartskunst, der französische Gitarrist Noël Akchoté denkt über | |
Antisemitismus nach. | |
## Sinkende Auflage von skug | |
„Wir sind trotz aller Kritik immer beim Randständigen geblieben, schreiben | |
über Genres wie Free Jazz, um die sich andere nicht kümmern“, erklärt | |
Pranzl. Gegen den allgemeinen Trend auf dem Zeitschriftenmarkt kommt man | |
allerdings nicht an: Seit 2004 erscheint skug vierteljährlich, die Auflage | |
ist mittlerweile auf 5.000 Exemplare gesunken. Angesichts der Konkurrenz | |
aus dem Netz konzentriert man sich vor allem auf die Ballungsräume Wien, | |
Linz, Graz und Innsbruck. | |
Immerhin, die zahlreichen alternativen Musikfestivals inserieren kräftig | |
und von der Wissenschafts- und Forschungsförderung des Magistrats der Stadt | |
Wien erhält man eine kleine Finanzspritze – wenn Pranzl und sein Team den | |
hohen redaktionellen Qualitätsstandard nachweisen können. Da ist es umso | |
wichtiger, dass das skug nicht nur gedruckt in Erscheinung tritt. Zur | |
Hundersten veranstaltete man deshalb etwa ein Festival in Kooperation mit | |
dem Polnischen Kulturinstitut Wien. | |
Wanda wird man in der nächsten skug-Ausgabe übrigens „ignorieren“, bekennt | |
Pranzl. „Für mich ist das einfach Befindlichkeitsduselei.“ Vielleicht | |
sollte man einfach den Austrofred einen Spruch auf Wandas Bierdeckel | |
kritzeln lassen: Wenzl ist ja zugleich Sänger der Wiener Band Kreisky, die | |
kürzlich ihr neues Album „Blick auf die Alpen“ vorgelegt hat. In dessen | |
Titelsong heißt es trefflich: „Oh, du hast ein großes Glied / Das darfst du | |
aber nicht in den Mund nehmen / Nimm das nicht in den Mund! Das ist | |
ekelhaft!“ | |
20 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Thomas Vorreyer | |
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