# taz.de -- „Magic Life“ von „Bilderbuch“: Unter dem Bungalow liegt der… | |
> Die coole Wiener Band „Bilderbuch“ trifft mit ihrem schwülstigen | |
> Renaissance-Pop und quietschbunten Videos den Nerv der Twentysomethings. | |
Bild: Waren auch auf der Berlinale: die Bilderbuch-Jungs | |
Der Piefke-Blick richtet sich aufs Nachbarland Österreich. Auch in unseren | |
Breitengraden ist der Austro-Nationalismus von Schlagerrocker Andreas | |
Gabalier eine oftmals präsente Variante des dortigen Musikschaffens. Aber | |
in Wien entsteht auch Zukunftsmusik: Pop, der unmittelbar wirkt. Der | |
Cloudrapper Yung Hurn etwa bagatellisiert seine Dada-Posen mit | |
Synthie-Hooks zur totalen Klebrigkeit; das Quartett Wanda feiert die | |
rockistische Selbstzerstörung mit Schnaps und schlägt Brücken zu Nietzsches | |
Nihilismus, wenn es der „Amore“ hinterhersprintet. | |
Allesamt zeichnen die Austro-Künstler Generationenporträts, getrieben von | |
Rastlosigkeit, Exzess und Erlahmung. Daraus entsteht Neues, mitunter auch | |
Cooles. Und dann gibt es noch Bilderbuch. Diese einstmals biedere Indieband | |
um Sänger Maurice Ernst, die dank ihres Überraschungshits „Maschin“ (2013) | |
und dem zwei Jahre später folgenden Album „Schick Schock“ plötzlich | |
omnipräsent war. | |
Visuell catchy in Szene gesetzt sind ihre Songs. Die Band schillert in | |
Musikvideos quietschbunt – gelbe Lamborgini und smaragdgrüne Sportkleidung | |
erzeugen Aufmerksamkeit. Auch das synthetische, nach Eigenaussage von | |
Exzentrikern wie Prince inspirierte Achtziger-Klangbild, war 2015 noch am | |
Zeitgeist vorbeiproduziert. Die Musik von Bilderbuch wirkte wie die | |
Zukunftsvision einer vergangenen Ära: retrofuturistisch. | |
Der „Schick Schock“ ist überwunden. Eine Band, die aus Twentysomethings | |
besteht, legt nun hurtig weiter Material vor. „Magic Life“ heißt das neue | |
Album. „Magic“ ist dabei eine Hyperbel, die Überinszenierung von Maurice | |
Ernst wirkt fragil. Dass es in Saus und Braus lebende Popstars gar nicht | |
mehr gibt, zumindest nicht im deutschsprachigen Raum, scheint klar zu sein. | |
Realistischer wirkt daher die Pose des Künstlerprekariats. | |
Trotzdem oder gerade deswegen wird auf dem Song „Investment 7“ halbironisch | |
darüber gesprochen, wie man sich am besten verkauft. Und Sneakers werden | |
für umme abgestaubt: Bilderbuch greifen in dem Song das Motiv einer | |
unendlichen Konsumwelt auf, die auf den ersten Blick paradiesisch | |
erscheint, dann aber schnell furchtbar öde wird. | |
Ernsts Songtexte sind keine intellektuellen Statements zur aktuellen Lage, | |
sondern fragmentarisch aneinandergereihte Slogans, die sich in Anglizismen | |
und elektrisiertem, dialektgespeistem Sprechgesang entladen. Anstatt sich | |
mit Selbstausbeutung und der Leistungsgesellschaft auseinanderzusetzen, | |
heißt es schlicht: „I love Stress“. Die Deutung bleibt den Hörern | |
überlassen. Das macht neugierig auf Bilderbuch. | |
## Manchmal gar anarchisch | |
Vor allem aber erzeugt der Sound Spannung. Die Texte, das wird beim Hören | |
klar, scheinen nur Beiwerk zum groovy Instrumentalfluss zu sein. Bilderbuch | |
suchen die Renaissance der Gitarre: einen zeitgemäßen Einsatz der sechs | |
Saiten, fernab von Rockklischees. So ist „Magic Life“ durchzogen von Riffs, | |
die auf den ersten Blick kaum zu erkennen sind, mal wie flächige | |
Weltraum-Synthies klingen, mal wie mehrfach durch die digitale | |
Effekt-Library gejagte Samples. Sie werden begleitet von Bassläufen, wie | |
sie auch beim Beat-Virtuosen Flying Lotus zu finden sind. Manchmal gar | |
anarchisch gesetzt wie auf den frühen Tracks eines Hudson Mohawke. | |
„Magic Life“ ist ein eklektischer Moment, der sich von übersteuertem | |
Autotune-Gesang bis zu verdrogtem Eskapismusgefasel alle Elemente von | |
Zeitgeist einverleibt und sie zum progressiven Brei verschwimmen lässt. | |
„Magic Life“, das bedeutet für Bilderbuch nicht (mehr) Wohlstand – immer… | |
ist der Sehnsuchtsort mittlerweile ein provinzieller „Bungalow“, kein | |
Strand mehr – das Überschreiten musikalischer Horizonte genügt. | |
Damit sind sie dem teutonischen Diskurspop, der seine Nische liebt, und dem | |
platten Phrasengedresche von Revolverheld und Co. voraus. Bilderbuch | |
grooven ohne Weiteres. Sie werden von Coolness umflort, weil sie nicht | |
konstruiert wirken. Sie vertonen kein elitäres „Magic Life“, sie erschaffen | |
Freigeistmusik, die ob ihrer Individualität durchaus magisch ist. Vor allem | |
nicht kleingeistig. Stattdessen gibt Austro-Pop 2017 dank Bilderbuch weiter | |
den Ton an und entlarvt die Rückständigkeit von Gabaliers Heimatbegriff. | |
21 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Johann Voigt | |
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