# taz.de -- „Bilderbuch“-Sänger Maurice Ernst: „Boys packen unsere Sexua… | |
> Mit „Schick Schock“ schlug die Band „Bilderbuch“ ein wie eine Bombe. … | |
> Sänger über Jungmänner, Feminismus und warum ironischer Konsumismus | |
> abgegrast ist. | |
Bild: „Wir waren nie sound of a generation“, sagt Maurice Ernst (im Bild: s… | |
taz am wochenende: Maurice Ernst, in Ihrem neuen Song „LED Go“ heißt es: | |
„Liebe ist the place to be / Ich bin bereit für diese Galaxie.“ Wie | |
schaffen Sie es, Zeilen so zu singen, die von anderen Sängern dämlich | |
klingen würden? | |
Maurice Ernst: Das hab ich mir erarbeitet! Vor fünf Jahren hätte ich das | |
noch nicht geschafft. Es ist eine Gabe, dass ich Dinge so rüberbringen | |
kann, dass sie mehrdeutig sind. Da ich mich weiterentwickle, kriege ich | |
immer neue Wörter geschenkt, die ich singen darf. | |
Erst im Dezember haben Sie mit Ihrer Band Bilderbuch das Album „Mea Culpa“ | |
veröffentlicht, nun erscheint bereits das Nachfolgewerk „Vernissage My | |
Heart“. Warum diese Doppelstrategie? | |
Weil wir uns beim Komponieren wenig Gedanken darum gemacht haben, was aus | |
den Stücken werden soll. Wir hatten zwei Wochen ein Haus in Kroatien | |
gemietet und drauflosgespielt, und bald war klar: Das ist zu viel Material | |
für nur ein Album. Ich fand es super spannend, Musik zu kuratieren, eine | |
Dramaturgie in die Songs zu bringen, auch wenn das Ergebnis ein bisschen | |
eckig ist. Zwei Alben fast zeitgleich herauszubringen, stiftet Verwirrung, | |
aber in unserer Zeit muss man genau dieses Chaos auch mal zum Leitmotiv | |
machen. | |
Folgen die beiden Werke einer gemeinsamen Erzählung? | |
Auf jeden Fall, das sind nicht einfach zwei Alben, die das Gleiche wollen. | |
„Mea Culpa“ ist introvertiert, die Songs darauf suchen nach einer Liebe, | |
die direkt mit mir selbst zu tun hat. Darin spiegelt sich mehr von mir und | |
einer verflossenen Beziehung wider, als ich am Anfang geglaubt habe. | |
„Vernissage My Heart“ verkörpert wiederum eine nächstenliebende, hippieske | |
Art. Dieses Album will naiv sein und nach draußen gehen. | |
Im [1][Videoclip zu Ihrem Hit „Maschin“] war der Star noch ein gelber | |
Lamborghini. Auf den neuen Alben geht es eher um Dinge, die man nicht | |
kaufen kann, um Liebe oder Erinnerungen. Wo ist der ironische Konsumismus | |
hin? | |
Als wir 2015 unser Album „Schick Schock“ veröffentlicht haben, hat es einen | |
Yung Hurn noch nicht gegeben … | |
… der, wie andere Cloud-Rapper, das Spiel mit Markenreferenzen völlig | |
ausreizt. | |
Diese Wiese ist für uns abgegrast. Es war nie Aufgabe, in einen Chor | |
einzufallen, wir waren nie sound of a generation. | |
Trotzdem heißt es über Bilderbuch, Sie wären eine sehr gegenwärtige Band. | |
Das stimmt. Pop definiert nie nur der Erfolg oder die Hörerschaft, sondern | |
auch die Frage: Findet er im Jetzt statt? Ist er ein Kommentar, oder könnte | |
er einer sein? Es macht mir Spaß, Musik zu inszenieren, die genau jetzt | |
einen gewissen Drive hat. Irgendwann wird es mich vielleicht auch | |
interessieren, den perfekten Song zu komponieren, der immer ein guter Song | |
bleiben wird. Aber nicht jetzt. | |
Was meinen Sie damit? | |
„Kids im Park“, der Auftaktsong des neuen Albums, ist nicht perfekt. Aber | |
er klingt fast ein bisschen grungy, das hat auch was. Es war uns wichtig, | |
für Rock, für das Brodelnde auch mal wieder eine Lanze zu brechen. Das | |
hat uns total befriedigt. | |
Wer bedeutet Ihnen mehr: Falco oder Prince? | |
Prince! | |
Verglichen werden Bilderbuch ja mit beiden Stars gern. | |
Man muss betonen, dass Falco ein Fan von Prince und Bowie war. Nur deshalb | |
konnte er der Künstler werden, zu dem er wurde. | |
In Ihrer Jugend waren Sie Klosterschüler. Was haben Sie von damals | |
mitgenommen? | |
Eine Mischung aus Disziplin und Pathos. In Gottesdiensten ist alles | |
inszeniert, schwer und bedeutsam, alles hat einen bestimmten Sinn. Das ist | |
mir eingeimpft. | |
Ist die Liebe zur großen Geste bei Bilderbuch also ein katholisches Relikt? | |
Hundertprozentig. Die Katholiken haben früh gecheckt, worauf es ankommt. | |
Ein krasser Verein. | |
Ihre Eltern besaßen ein Nachtlokal. Was hat man da getrieben als Kind? | |
Dort gab’s immer geile, laute Musik. Am Tag waren noch keine Leute im | |
Lokal, das war dann mein Spielplatz. Ich hab dann die Soul-Sampler | |
aufgelegt, Musik laut aufgedreht, die Lichtorgel angemacht, und dann hab | |
ich stundenlang experimentiert. Das klingt wie ein Märchen, aber es war so. | |
Sie sind auf dem Land in Österreich aufgewachsen. Wie viel Provinz steckt | |
noch in Ihnen? | |
Wahrscheinlich mehr, als ich mir wünschen würde. Das kriegt man ja nicht | |
einfach raus aus sich selbst, und das ist auch nichts Negatives. Wien hat | |
mir in den letzten Jahren viel gegeben, deshalb glorifiziere ich die Stadt | |
gerne ein bisschen. Gleichzeitig weiß ich, dass mir die Provinz eine super | |
Kindheit geschenkt hat. Es ist ein Teil von mir, den ich immer weniger | |
vertuschen möchte. | |
Wie gehen Sie mit dem wachsenden Nationalismus in Österreich um? | |
Ich glaube, dass die Musik, die wir machen, schon einen Beitrag zum Protest | |
dagegen leistet. | |
Inwiefern? | |
Auf „Vernissage My Heart“ bringen wir Inhalte ein, die sich konkret | |
politisch deuten lassen, zumindest konkreter als bisher. Und ich glaube, | |
dass Frauen wie Männer eine Art Freiheit empfinden, wenn sie uns auf der | |
Bühne sehen. Wenn Jungs zum Beispiel checken, dass sie nicht automatisch | |
schwul sein müssen, weil sie mich geil finden. Es gibt nicht so viele Bands | |
im deutschsprachigen Raum, die diese Freiheit verkörpern. | |
Sind Bilderbuch der Albtraum für konservative Jungmänner? | |
Nicht nur für die. Statistisch gesehen sind unsere schwächste Fan-Gruppe | |
junge Männer. Wir haben mehr über 55-jährige Fans als unter 18-jährige. Die | |
jungen Boys packen unsere Sexualität nicht, die haben richtig Stress. Und | |
das ist sauwitzig. Wir glauben, dass unsere Gesellschaft sexuell frei ist, | |
aber dann sind die jungen Leute unangenehm berührt von uns und hören lieber | |
Gangsta-Rapper wie 187 Straßenbande. | |
Was würden Sie selbst sagen: Sind Sie ein moderner Mann? | |
Ja! Ich würde mich sogar als Feminist bezeichnen. Aber ich kann mich nicht | |
einfach hinstellen und sagen: Das bin ich jetzt. Ich muss am Thema | |
dranbleiben, permanent Diskussionen führen. Aber man sollte auch | |
realistisch sein und anerkennen, dass wir beide und viele, die dieses | |
Interview lesen werden, in einer Bubble leben. Wir schießen oft sehr | |
scharf, was das Thema Gleichberechtigung betrifft. Aber die Nachricht aus | |
der Blase zu transportieren, das ist die wirklich komplizierte Aufgabe. | |
Und wie bewältigt man die? | |
Mit einem guten Song. Und natürlich mit Attitüde. | |
2 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=9Ocyk0OgyWY | |
## AUTOREN | |
Julia Lorenz | |
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