# taz.de -- Neue Popmusik aus Meck-Pomm: Von Euphorie bis Melancholie | |
> „Punk oder Nazi“, das war in ihrer Jugend die Frage für die Band „Die | |
> Kerzen“. Ihr Debütalbum zeigt einen anderen Weg: „True Love“. | |
Bild: Die Kerzen singen von der „True Love“: „Die Melancholie / Honey c�… | |
Beginnen wir den Tag zur Abwechslung einmal mit einem „Oh yeah“, das wie | |
„Mohair“ klingt, legen darunter einen trockenen Drumbeat, darüber eine | |
funky Gitarre, pluckernden Bass und Keyboardflächen. Der Gesang muss so | |
unaufgeregt wie deutlich sein: „Blue Jeans / Ein Duft aus Paris / Alles an | |
dir strahlt / So startest du / Gut gekleidet in den Tag / Was sonst niemand | |
anders wagt Oh yeah.“ „Blue Jeans“, der Song findet sich auf dem Debütal… | |
„True Love“ der jungen Band Die Kerzen aus Ludwigslust, | |
Mecklenburg-Vorpommern. | |
Die Kerzen tragen Pseudonyme: Jelly Del Monaco spielt Keyboards und | |
Querflöte, sie steuert die Backingvocals bei. Dann die drei Jungs: Fizzy | |
Blizz am Bass und Schlagzeuger Super Luci; Sänger und Gitarrist Die Katze | |
erklärt den Bandnamen. Die vier eint nämlich ein Faible für Duftkerzen: | |
„Ja, wir haben es gern gemütlich.“ Das und der gut gekämmt wirkende Sound | |
ihres Albums könnte zu einem Trugschluss führen. | |
In der Tat ist „True Love“ ein mustergültiges Popalbum, doch Pop war und | |
ist immer noch mehr als der schöne Schein, den er zu spiegeln vorgibt. | |
Katze spricht nicht einfach von Pop, sondern sagt „Sophisticated Pop“, | |
verweist auf Achtziger-Jahre-Bands wie die von Jazz und New Wave | |
beeinflussten Prefab Sprout oder die Synthie Popper Tears for Fears. | |
Eins ist Katze, wie alle Die-Kerzen-Mitglieder ein Mensch in den | |
Zwanzigern, wichtig: „Wir wollen diesen Sounds, diesen Stilen nicht | |
nachrennen.“ Als wichtige aktuelle Einflüsse nennt er [1][Cloud Rap, eine | |
sphärisch-flächige Spielart von Hip-Hop und New Disco]. Klassische | |
Musiknerds seien sie gewesen, als sie angefangen haben. | |
So intuitiv, wie Die Kerzen vorgehen, haben sie ein Album mit einer | |
erstaunlichen Dramaturgie vorgelegt. Die großen Platten ziehen ja zumeist | |
einen großen Bogen, der auf „True Love“ spannt sich zwischen den | |
klassischen Polen des Pop: Da ist zu Anbeginn die Erwartung, die Euphorie, | |
am Ende die Melancholie. Im zweiten Song „Saigon“ wird aus einer Nacht im | |
Berghain ein Sehnsuchtsort aufgemacht, im darauffolgenden Titelstück ein | |
romantisches Szenario entworfen, das mit einem Schuss Realismus eher | |
bittersweet als einfach nur süß gerät. Bei allem Überschwang des Songs | |
heißt es hier bereits: „Die Melancholie / Honey c’est la vie / Wir brechen | |
hier aus.“ | |
Auf die Frage, wie das Popleben in Ludwigslust aussieht, antwortet Katze | |
dezidiert: „Es gibt da kein Popleben, es gibt Leben.“ Er fügt an: „„We… | |
nichts anderes gibt, dann entsteht etwas.“ Dabei ist das nicht in einem | |
friedvollen Nirgendwo im ehemaligen Zonenrandgebiet passiert. Katze | |
erinnert sich, dass die Bandmitglieder in ihrer Jugend vor der Frage | |
standen: „Punk oder Nazi? Wir mussten uns entscheiden.“ Und: „Wir alle | |
haben Grund dazu, uns zu äußern. Du wirst konfrontiert, musst dich | |
abgrenzen. Das haben wir auch getan. Nur müssen wir das nicht in der Musik | |
tun, es wird über die Musik gehen.“ | |
Zu ihrem Label Staatsakt sind Die Kerzen durch einen Akt der | |
Prokrastination gekommen. Schlagzeuger Super Luci tat das Richtige, drückte | |
sich vor seiner Bachelorarbeit und schrieb stattdessen eine E-Mail an | |
Staatsakt-Betreiber Maurice Summen, der umgehend fragte: „Aus welcher Hölle | |
seid ihr entflohen?“ Summen besuchte Die Kerzen in ihrem Probenraum; die | |
Band hat kein anderes Label weiter fragen müssen. | |
Mittlerweile leben bis auf Super Luci alle Kerzen in Berlin. Und die | |
Hauptstadt, von der es am Anfang der Platte nach Saigon, Japan und | |
Indonesien ging, entpuppt sich in „Solarium“, dem letzten Song des Albums, | |
als kalter Ort: „Wir haben uns schon lange nicht gesehen / Zu viele dunkle | |
Stunden in der Sonnenallee.“ Das Studio der Kerzen steht immer noch in | |
Ludwigslust. | |
Übrigens, für das Cover ihres Albums hat sie der Staatsakt-Maler Helmut | |
Kraus auf einer Fernsehcouch platziert. Welchen Film sie da sehen, das | |
möchte Die Katze offen lassen. Vorschlag: Die Verfilmung von Ulrich | |
Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W.“, 1976. In ihr singt der | |
jugendliche DDR-Antiheld Edgar Wibeau seinen „Bluejeans-Song“: „Oh, | |
Bluejeans / White Jeans? – No / Black Jeans – No / Blue Jeans, oh / Oh, | |
Bluejeans, yeah //Oh, Bluejeans / Old Jeans? – No / New Jeans? – No / Blue | |
Jeans, oh / Oh, Bluejeans, yeah.“ | |
4 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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