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# taz.de -- Mauerfall-Feierlichkeiten in Berlin: Punk(t)sieg für Zerfall
> Beim Jubliläumsevent zum Mauerfall traten am Berliner Alexanderplatz die
> Ostberliner Band „Zerfall“ und „Fehlfarben“ aus dem Westen auf.
Bild: Stur: die „Fehlfarben“ am Mittwoch in Berlin
Zwischen der Wut des Ostens und der Melancholie des Westens wurde am
Mittwochabend auf dem Berliner Alexanderplatz ein Systemwettbewerb
ausgetragen. Er endete in einem klaren Punk(t)sieg 1:0 für die Ostberliner
Combo Zerfall, die vor den ungleich bekannteren [1][Fehlfarben] aus
Düsseldorf und Wuppertal aufgetreten war. Beide Bands bespielten den
Alexanderplatz im Rahmen des seit Montag dieser Woche laufenden
Festivalmarathons zum 30. Jahrestag des Mauerfalls. Schon irgendwie passend
war die Bühne an einem der Schenkel des Dreiecks Weltzeituhr, Alexander-
und Berolinahaus aufgebaut worden.
An der Weltzeituhr hatten sich ab dem 7. Juni 1989 die Demonstranten gegen
die vorangegangene Fälschung der DDR-Kommunalwahlen getroffen, auch die
Demonstrationen und Proteste vom 7. Oktober 1989 hatten hier ihren
Ausgangspunkt genommen. Im Berolinahaus befand sich ab den frühen fünfziger
Jahren die Ostberliner Stadtverwaltung; im Alexanderhaus ein
Einkaufszentrum der DDR-Einzelhandelskette HO.
An seine Fassade wurden nun Slogans, Videos und Fotos des Wendeherbstes
1989 projiziert, eines zeigte Erich Honecker auf einer der Ehrentribünen
zum 40. Jahrestag der DDR, gerahmt von den Vertretern der Bruderländer.
Einer von ihnen, der Rumäne Nicolae Ceaușescu, sollte das Jahr 1989 nicht
überleben. „Die erste Erscheinung des Neuen ist der Schrecken“, das
Heiner-Müller-Zitat war damals in einer Collage zu sehen, die Teil der
damaligen Kunstausstellung im U-Bahnhof Alexanderplatz war.
## In Flammen
Dieser Exkurs hat eine ganze Menge mit dem Konzert am Mittwoch zu tun.
„Alex in Flammen“ sang das Punkquartett Zerfall, eine Abwandlung ihres
Songs „Ostkreuz in Flammen“. Wem das zu martialisch klingt: Das Bild hat im
Punk Tradition, siehe The Clash, „London’s Burning“, oder „Abfackeln!�…
den Einstürzenden Neubauten (die keine Punkband waren, aber das diskutieren
wir ein andermal). Stichwort Referenzen: Die kleine Besetzung spielte
lautstark und energetisch, stilistisch ließen sich Zerfall ungefähr
zwischen der US-Hardcoreband Black Flag, erklärtes Vorbild bei ihrer
Gründung 1983, und den Ton Steine Scherben des ersten, noch nicht
hippiebecircten Albums verorten. Punk als Widerstand: Zerfall entstanden
1984 in der Friedrichshainer Galiläa-Kirche.
Dass Punk auf dem Kirchenschiff fuhr, war eine Konstellation, die es so im
[2][Ostblock] nur in der DDR gab. Dass sie nicht smooth über die Bühne
ging, ließ sich beim Zerfall-Auftritt erahnen. Punk und Andacht, das mag es
gegeben haben und noch geben, aber das Knistern zwischen beiden führt dann
doch zu Entladungen. Dann eignen sich Zerfall nur bedingt zu Feierstunden.
Im Programm hatten sie eine Coverversion eines westdeutschen Klassikers.
„Montag klopft es an die Tür / Und Erdoğan, der steht vor dir.“
Richtig, Abwärts, [3][„Computerstaat“], nur mit zeitgemäßen Änderungen …
Originaltextes. Und: „Stalingrad, Stalingrad BRD – Vergnügungspark.“
Fehlfarben hätten sich mit einer Interpretation eines DDR-Punktracks
revanchieren können. Stattdessen spielten sie stur ihr komplettes
„Monarchie & Alltag“-Album, musikalisch wie textlich eine der besten
deutschsprachigen Produktionen überhaupt, keine Frage; ein Status jedoch,
den die satt im Sextett auftretende Band nicht zementieren konnte. Besser
davon schweigen und eine alte Platte auflegen.
7 Nov 2019
## LINKS
[1] /Kolumne-Ausgehen-und-Rumstehen/!5337226
[2] /Underground-in-der-DDR-und-Polen/!5636526
[3] https://www.youtube.com/watch?v=57uI8RNhYk0
## AUTOREN
Robert Mießner
## TAGS
Punk
DDR
30 Jahre friedliche Revolution
Weltraum
Bildende Kunst
radix-Blätter
Neue Musik
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