# taz.de -- Underground in der DDR und Polen: Der Warschauer Punk Pakt | |
> Die Subkultur der DDR war fasziniert vom Nachbarland Polen. Alexander | |
> Pehlemann war in den 80er Jahren Punk in Vorpommern und erinnert sich. | |
Bild: Pogo beim Frühlingsfest 1988 in der Erlöserkirche | |
taz: Herr Pehlemann, wann haben Sie zum ersten Mal eine polnische Punkband | |
gehört? | |
Alexander Pehlemann: Das war 1987 in der Sendung „Parocktikum“ von DT 64, | |
die den Freakklängen jeglicher Couleur gewidmet war. Neben westlichen | |
Sounds und DDR-Underground gab es auch osteuropäische Sachen. | |
Zu der Zeit lebten Sie als Punk in Vorpommern in der tiefsten DDR-Provinz, | |
und DT64 war das Fenster zur Welt? | |
Das war so, ich lebte in Torgelow, also quasi schon in Polen, das Einzige, | |
was es da an fremden Medien gab, war das polnische Fernsehen ohne Ton. Aber | |
ich war zuvor schon drei Jahre in Frankfurt (Oder) an der Sportschule | |
gewesen, da konnte ich sowohl Westberliner Radio hören als auch zum | |
Wettkampf rüber nach Polen fahren. Das waren prägende Erlebnisse, eine | |
eigentümlich exotische Welt. Da ist die Neugier gen Osten entstanden. | |
1988 berichtete Holger Luckas in DT 64 vom Marchewka-Festival in | |
Warschau, das war Ihre Begegnung mit der polnischen Punkband Armia. Was an | |
Armia war so faszinierend? | |
Eine Punkband mit Waldhorn, das gab es sonst nicht. Die Querverweise auf | |
Laibach konnte ich damals gar nicht einordnen. Obwohl da nur ein Titel | |
gespielt wurde, hat mich das getriggert. Das hatte eine Wucht, die | |
DDR-Punkbands nur selten erreicht haben. | |
Ebenfalls 1988 begann dann die ostdeutsch-polnische Punkfreundschaft | |
zwischen der in der Lichtenberger Erlöserkirche aktiven Gruppe AlösA und | |
dem Warschauer Fanzine QQRYQ. Das Ergebnis war eine Kassettenkompilation | |
mit dem Titel „We Are the Flowers in the Red Zone“. Was war daran so | |
besonders? | |
Diese Punkfreundschaft begann sogar schon 1985. Über den Austausch von | |
Fanzines und die dort gestreuten Adressen hat sich Piotr Wierzbicki von | |
QQRYQ aus Warschau in Berlin bei Herne gemeldet, da hat sich zuerst eine | |
Art Brieffreundschaft entwickelt. Dann wollte man sich auch treffen und kam | |
auf den Gedanken, sich gegenseitig als Cousins auszugeben, um eine | |
Einladung für das Visum zu bekommen. Die DDR hatte ja aus Angst vor der | |
Solidarność 1980 die Grenze für den visumfreien Reiseverkehr zugemacht. Das | |
hat eigenwilligerweise funktioniert. | |
Und dann? | |
Fuhren die ersten Punks rüber, unter anderem zum großen Festival in | |
Jarocin. | |
So etwas hat es in der DDR nicht gegeben. | |
Überhaupt nicht. Bis zu 20.000 Besucher über mehrere Tage, dutzende Bands, | |
ein Drittel der Besucher Punks, das war in der DDR unvorstellbar. Das | |
führte dazu, dass die Alösa-Gruppe, die auch eine politisch oppositionelle | |
Gruppe war, auf die Idee kam, auch in Berlin etwas Größeres zu | |
organisieren. | |
Die Erlöserkirche war damals das Epizentrum der Ostberliner Punkszene. | |
Zumindest der Kirchenpunks. Da gab es einen halbautonomen Raum. | |
Unter allen Punkszenen im Ostblock waren die polnischen Bands die, zu denen | |
es die engsten Beziehungen gab. | |
Das war auf jeden Fall eine sehr enge Beziehung. Dazu gehörten die | |
gegenseitigen Besuche und auch die Tatsache, dass Bands aus dem Umfeld der | |
Erlöserkirche 1987 in Polen illegal auf Tour gingen. Wieder als Cousins und | |
Cousinen. Das DDR-Material von „We Are the Flowers in the Red Zone“ ist auf | |
ebendieser Tour aufgenommen worden. 1988 kam dann die Kassette, zudem mit | |
Bands aus Polen und Ungarn. In der Folge haben die Erlöserpunks größere | |
Schritte gewagt und das erste Alösa-Frühlingsfest organisiert, das erste | |
internationale Punkfestival in Ostberlin. | |
Auch Feeling B, aus der später Rammstein hervorgingen, gastierten des | |
Öfteren in Polen, allerdings legal. Wie war das Verhältnis der illegalen | |
Bands zu denen, die eine offizielle Spielerlaubnis hatten? | |
Es war eine relativ kleine Szene, man ist sich begegnet, man kannte sich. | |
Mitte der Achtziger driftete es aber auch auseinander in jene, die in den | |
Kirchen geblieben sind, und jene, die dann in größeren Kontexten agieren | |
konnten. Das waren schon unterschiedliche Welten. Feeling B waren von | |
Anfang an Meister des geschickten Durchlavierens. Die haben sich über Bande | |
mit der FDJ sogar selbst nach Polen eingeladen, 1986 zu einem | |
Performance-Festival im berühmten Klub Riviera-Remont in Warschau. Über die | |
offiziellen Einladungen haben sie sich Benzincoupons besorgen können, die | |
sie brauchten, um mit ihrem großen Robur-Fahrzeug voranzukommen. Die haben | |
sich dann mit dem Wagen in Warschau auf eine Verkehrsinsel gestellt und | |
sind einfach ein paar Wochen dageblieben. | |
Was haben die da gemacht? | |
Geguckt, was möglich ist. Zu ihren Strategien gehörte es, die polnischen | |
Bands im Preis zu unterbieten, so sind sie an viele Support-Slots gekommen, | |
sogar der Swans in Sopot. Das muss eine so eindrückliche Erfahrung gewesen | |
sein, dass Christian Lorenz alias Flake von Feeling B mal gesagt hat, dass | |
sie darüber nachgedacht haben, bei Problemen in der DDR lieber in den | |
Osten, also nach Polen auszuweichen als in den Westen, wo sie ohnehin nicht | |
hinwollten. Er hat sich auch eine polnische Ausweishülle besorgt, die er | |
dann um seinen DDR-Ausweis rummachte. Das war schon eine Art | |
Überidentifikation. Und dann waren Feeling B auch mit den ganz großen | |
Punkbands in Polen unterwegs wie Moskwa oder Armia und schafften es sogar, | |
beim Festival in Jarocin aufzutreten. | |
Gab es in Polen auch diese Trennung zwischen eher illegalen und Bands mit | |
Spielgenehmigung? | |
Nein, der Unterschied zwischen Bands wie Armia und denen, die bei QQRYQ | |
waren, war viel kleiner als in der DDR. | |
Flake hat in einem Interview mal gesagt: Ich war nie in einer anderen | |
Stadt, wo es so viele interessante Konzerte gab wie in Warschau. Die | |
Warschauer lieben die Musik und den Schnaps. Und ab 13 Uhr sei, sinngemäß, | |
jeder besoffen. Was war denn Ihr Eindruck von Polen damals? | |
Ich war nach meiner Zeit in Frankfurt (Oder) zum ersten Mal in den frühen | |
Neunzigern wieder in Polen, da hab ich relativ schnell Leute in Szczecin | |
kennengelernt, die ein offizielles Kassettenlabel machten und auch ein | |
Fanzine. Da habe ich eine starke Lebenslust gespürt. Das ist natürlich ein | |
Klischee, aber es hat auch funktioniert. Das beschreibt ja auch Flake, wenn | |
er von dem überraschend leichten Zugang zu Marihuana berichtet. | |
Anfang der neunziger Jahre war dann auch die Zeit, in der Sie angefangen | |
haben, sich an die Aufarbeitung dieser Punkverbindungen zu machen. Hat denn | |
die Punkfreundschaft die Wende überhaupt überlebt? | |
Vieles ist eingeschlafen. Es gab noch Beziehungen zwischen Armia und der | |
Band Die Firma, bevor sich die aufgelöst hat, nachdem zwei wichtige Figuren | |
ihre IM-Tätigkeit offenlegten. Armia spielten Anfang der Neunziger noch ein | |
paarmal in Berlin, aber dann drifteten die Welten doch auseinander. Ich | |
selbst habe mich dann, als ich 1993 anfing, das Fanzine zu machen, weiter | |
in den Osten begeben, weil ich noch etwas nicht Vordefiniertes entdecken | |
konnte. In der westlichen Popkultur war das weniger der Fall. | |
Sie sagen, dass etwa eine Band wie Armia mit der Zeit zunehmend | |
rechtskatholisch wurde. Hat Sie das überrascht? | |
Rechtskatholisch vielleicht nicht, aber zumindest sehr offensiv katholisch. | |
Eine politische Positionierung haben sie vermieden, sie haben sich aber | |
auch immer antirassistisch geäußert. Aber ja, 1993 gibt es einen Bruch in | |
der Band, danach folgt ein Dante-Tribute-Album. Das war der Schritt zur | |
Offensichtlichkeit der Positionierung, aber in den Texten war das vorher | |
schon alles da, wenn auch etwas verklausulierter. Heute ist Armia Teil | |
dieser katholischen Rockbewegung, die man auch sehr kritisch sehen kann und | |
muss. | |
Seit Sie 1993 das Fanzine Zonic gegründet haben, widmen Sie sich der | |
Erforschung der Punkgeschichte im ehemaligen Ostblock, Sie haben darüber | |
auch mehrere Bücher geschrieben oder herausgegeben. Was treibt Sie da ganz | |
persönlich an? | |
Vielleicht bin ich Überzeugungstäter? Vielleicht geht es auch um ewige | |
Jugend? Aber Subkultur in der Kunst, in Literatur, Film und Musik war für | |
mich von Anfang an das Thema. | |
7 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
## TAGS | |
Punks | |
Rammstein | |
Warschau | |
Berlin | |
Literatur | |
Kunst | |
Hardcore-Punk | |
Kunstverein Wolfsburg | |
Sandmännchen | |
Berliner Mauer | |
Pop-Underground | |
Ostberlin | |
Schwerpunkt taz Leipzig | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Berliner Stadtgeschichte: Die Ohren auf dem Lüftungsgitter | |
Am 13. August 1961 begann der Bau der Berliner Mauer. Bis in die Musik | |
hinein hat die Teilung Berlins die Stadt geprägt. | |
Theologe über das Retten von Büchern: „Wahnsinn der Vermüllung“ | |
Seit der Wende rettet der Pfarrer Martin Weskott Bücher vor dem Müll. Damit | |
will er auch die Literatur der DDR ehren. | |
Das Bild der Arbeit in der DDR-Kunst: Schön geordnet im Kollektiv | |
Identitätsstiftung als Auftrag: Die Ausstellung „Arbeit, Arbeit, Arbeit. | |
Serien zur sozialistischen Produktion in der DDR“ im Brandenburger Landtag. | |
Punk-Fanzine „Trust“ feiert 200. Ausgabe: Schnauze voll von der Szene | |
Das Bremer Hardcore- und Punk-Fanzine „Trust“ will sich den Spaß an Musik | |
und Politik nicht verderben lassen. Nun feiert es seine 200. Ausgabe. | |
Ausstellung „Punk oder so ähnlich“: Als Wolfsburg wild war | |
Der Wolfsburger Kunstverein zeigt Punk- und andere Subkultur-Fotos von | |
Werner Walczak aus den 1980er-Jahren. | |
60 Jahre Sandmännchen: Es ist so weit | |
60 Jahre alt wird das Männchen mit der Zipfelmütze. Auch heute noch bringt | |
es die Kleinsten ins Bett – inzwischen sogar per App. | |
Thierry Noir über Kunst an der Mauer: „Eine Mutation der Kultur“ | |
Thierry Noir malte unter Gefahr Gesichter mit großen Mündern auf die | |
Berliner Mauer. Heute malt er auch, um vor neuen Grenzen zu warnen. | |
Fanzine-Jubiläum im Berlin: Raves hinterm Eisernen Vorhang | |
Das Fanzine „Zonic“ ist auf Underground-Musik aus den ehemaligen | |
Ostblock-Ländern spezialisiert. Zum 25. Geburtstag wird im Arkaoda | |
gefeiert. | |
Ostberliner Kultfrisör im Interview: „Westberlin war langweilig“ | |
Frank Schäfer war schwul und Punk, als es beides in Ostberlin noch nicht | |
geben durfte. Jetzt ist seine Autobiografie erschienen. | |
Subkultur in Leipzig: Rocken, saufen, raufen | |
In Leipzig begeht man dieser Tage den 40. Geburtstag eines Phänomens namens | |
Ostpunk. In der DDR wurde es noch mit allen Mitteln unterdrückt. |