# taz.de -- Ostberliner Kultfrisör im Interview: „Westberlin war langweilig�… | |
> Frank Schäfer war schwul und Punk, als es beides in Ostberlin noch nicht | |
> geben durfte. Jetzt ist seine Autobiografie erschienen. | |
Bild: „Als Stotterer habe ich schnell gelernt, dass ich meinen Weg gehen muss… | |
Frank Schäfer: So, ich muss erst mal eine rauchen. | |
taz: Kein Problem. | |
Ich rauche immer eine Zigarette zum Feierabend, sonst ja nur samstags, wenn | |
ich ins Kit Kat gehe. Mit 40 hatte ich vom Rauchen Kopfschmerzen bekommen | |
und dann zwölf Jahre nicht geraucht, bis ich eine ganz leichte Sorte | |
entdeckt habe. | |
Da haben Sie spät noch den Rat Ihres Vaters befolgt. Der hatte Ihnen sogar | |
das Rauchen beigebracht. Kann sich heute keiner mehr vorstellen, vor allem | |
nicht hier in Prenzlauer Berg. | |
War ja eine andere Zeit. Meine Mutter und mein Vater fanden das Rauchen | |
schick, und meinen Vater, der Kettenraucher war, habe ich gebeten, es mir | |
zu zeigen. Damals rauchten alle Mädchen in der Friedrichshainer | |
Berufsfachschule, wo ich Bekleidungsfacharbeiter lernte, und wenn die mich | |
zum Ausgehen mitnahmen, wollte ich so cool sein wie sie. Und meine Eltern | |
waren ja froh, dass ich mit den Mädchen weggehe. Die wussten, dass ich Sex | |
mit Männern hatte, nachdem ich es mal aus Bockigkeit gesagt hatte. | |
Sie stammen aus einem sehr kultivierten Elternhaus, Ihr Vater war ein | |
berühmter Schauspieler. Trotz ihrer Liberalität fanden Ihre Eltern den | |
Friseurberuf aber nicht so angemessen für Sie? | |
Meine Eltern sahen besondere Talente in mir. Ich konnte singen, malen, | |
zeichnen, das sollte ich ausschöpfen. Wollte ich aber gar nicht. Ich wollte | |
früh Friseur werden, vielleicht auch, weil ich so anders aufgewachsen bin. | |
Mein Vater war ein Schöngeist mit einer riesigen Bibliothek. Bei uns | |
verkehrten Regisseure und Schauspieler, keine Klempner, Bäcker und | |
Friseure. Dass der Beruf kein Prestige hatte, war mir völlig wurscht. Als | |
Stotterer habe ich schnell gelernt, dass ich meinen Weg gehen muss, ohne | |
darauf zu achten, wie andere mich sehen. Für mich war der Friseurberuf so | |
exotisch wie für andere Kinder vielleicht Dichter. Wie die Friseurinnen in | |
ihren abgewetzten Kitteln im Salon standen und miteinander erzählten, fand | |
ich scharf. Das Haaremachen hat mich eigentlich gar nicht interessiert, | |
rumstehen und quatschen, das wollte ich auch. | |
Dazu sonnabends nach Feierabend „Goldkrone“ trinken, wie Sie Ihren | |
Lehrlingsalltag in einem Damensalon in Prenzlauer Berg beschreiben. Klingt | |
nach echtem Werktätigen-Rock-’n’-Roll. | |
Oh ja, da ging die Post ab. Die Kundinnen brachten Schnaps mit, der mit den | |
Friseusen gepichelt wurde. | |
Theoretisch könnten Sie heute auch Dirigent sein. | |
Stimmt. Ich ging auf eine Spezialschule für Musik, habe Klavier gespielt | |
und gesungen, sogar ein Solo in einer Lenin-Kinderoper. In der Zehnten bin | |
ich aber von der Schule geflogen, weil ich eine Westplatte von The Sweet | |
mit in die Schule gebracht hatte. Kein Beinbruch, ich war ohnehin nicht so | |
musikalisch, wie man dachte. | |
Man sieht hier in der Ladendeko etliche Konzerttickets aus Berlin: The | |
Sweet, Morrissey, Billy Idol. | |
Den fand ich auch toll. Als Jugendlicher landete ich irgendwann auch bei | |
Punkbands, obwohl ich Punk als Musikrichtung eigentlich nicht verstanden | |
hatte. | |
Punksein aber schon? | |
Mein Freund Sven [Marquardt, später Berghain-Türsteher, d. Red.] und ich | |
waren eigentlich Popper. Eines Tages, etwa 1980, schickte Sven einen | |
Jungen, der eine Punkfrisur wollte, in meinen Friseurladen in der | |
Leipziger. Ich hatte keine Ahnung und rasierte ihm eine bunte Kreation in | |
den Kopf. Der wurde dafür zu Hause furchtbar verprügelt, und auch ich bekam | |
von seinem Vater im Laden mächtig eine gescheuert. Aber danach wusste ich: | |
Bei so einem Aufriss muss es jut sein. Die Provokation hat Spaß gemacht, | |
also wurden wir Punker. Selbst beim DDR-Modeinstitut, wo ich Anfang der | |
Achtziger nebenbei als Maskenbildner und Friseur tätig war, kam das Punkige | |
nicht schlecht an. Dort war man dankbar, dass jemand frische Luft | |
reinbrachte. | |
Bei der Berliner Friseurmeisterschaft 1985 haben Sie Ihrem Modell eine | |
Schallplatte ins Haar montiert und ihm eine Zwangsjacke angezogen. | |
Das gab ein Riesentheater. Die Funktionäre haben sofort eine politische | |
Botschaft gesehen, nur ich nicht. | |
Sie machten in der legendären Punkmodenschau „Chic, charmant und dauerhaft“ | |
mit, die einen legendären Ruf als Underground-Performance hatte. | |
Allerdings. Sven und ich traten auch bei Wohnungspartys auf. Die haben wir | |
komplett zerlegt, so als Showperformance. Wir haben trainiert, uns mit | |
Metallketten zu schlagen, ohne dass es wehtut. Auch bei Punkkonzerten im | |
Weißenseer Jugendklubhaus Langhansstraße machten wir als Go-go-Tänzer | |
Bambule, bis die Leute ausgerastet sind und sich kloppten. Ich war bei | |
einigen Punkbands Go-go-Tänzer: Happy Straps, Die Firma und Feeling B. | |
Ex-Feeling-B-Musiker Flake hat das Ostberlin jener Zeit als | |
Abenteuerspielplatz beschrieben. Haben Sie das auch so empfunden? | |
Ja, aber ich hatte einen festen Job und war sehr zielstrebig. Mit 28 hatte | |
ich mich ausgetobt und bin in den Westen. Mir war klar, dass dort was | |
anderes gespielt wurde, was ich auch spielen wollte. | |
Westberlin war ja auch ein Abenteuerspielplatz … | |
Nö, nö, nö. | |
Für die Zugereisten aus der westdeutschen Provinz schon. | |
Ja, für die. Ich fand es eher langweilig. | |
Den Mythos der Mauerstadt haben Sie nicht gespürt? | |
Vielleicht gab’s den, ich kann die Sache auch erst ab meiner Ankunft im | |
Juni 1988 beurteilen. Da war nüscht, was ich besser fand als im Osten. | |
Klar, ich bin ins Nachtleben eingetaucht, aber nie mit Drogen. Die Exzesse | |
in Westberlin schienen mir so gesteuert: Darkroom, schwule Sauna, hier wird | |
rumgefickt und da wird dit gemacht. Mir fehlten die Spannung und das | |
Verbotene. | |
Warum sind Sie aus der DDR überhaupt abgehauen? | |
Echten Druck, die DDR zu verlassen, verspürte ich gar nicht. Es gab | |
natürlich Reize, ich wollte auch mal schwule Pornos sehen, vor allem aber | |
was Neues erobern. Im Osten hatte ich einen Namen und merkte, dass ich satt | |
und faul wurde, lief ja alles. Die Freiheit im Westen fand ich extrem toll, | |
obwohl dort eine wirtschaftliche Diktatur herrschte. Ich hatte aber kaum | |
Anpassungsschwierigkeiten. Ich finde, die DDR war mal ein Traum von einer | |
besseren Gesellschaft, aber der Mensch funktioniert so nicht. Er ist | |
letztlich auf Wettbewerb ausgerichtet, jeder will den anderen übertölpeln. | |
Das finde ich nicht gut, aber leider ist es so. | |
Sie haben in der DDR als Punk und Schwuler viel Schikane erlebt, wurden | |
verhaftet, bekamen Alexanderplatz-Verbot. Trotzdem wären Sie in die SED | |
eingetreten, wenn man Sie gefragt hätte, schreiben Sie. | |
Ich hatte immer ein Kalkül, wie ich vorwärtskommen könnte. Beruflich, nicht | |
beim Geldverdienen. Wenn man ein Ziel erreicht, macht das einfach Spaß. | |
Viele verwechseln ja Vorwärtskommen mit Geld. Ich finde, dass Geld dafür | |
eher hinderlich ist. Na, die Genossen hätten mich sowieso nicht genommen. | |
Die haben mich auch nie gefragt, und wenn, hätte ich mich wohl doch eher | |
drüber tot gelacht. | |
Braucht man diese Mischung aus beschwingter Naivität, Anpassungsfähigkeit | |
und Lust am Exzess, um das Leben auch zu genießen, wenn’s mal richtig | |
beschissen ist? | |
Vielleicht. Ich habe immer versucht, das Beste draus zu machen. Auch wenn | |
meine vielen Partygeschichten das nicht vermuten lassen: Ich fand den Osten | |
immer scheiße. Genauso übrigens mein Vater, obwohl der Starschauspieler und | |
Nationalpreisträger war. Wir wussten aber beide, dass die DDR uns zugleich | |
ein gutes Leben bietet. Ich bin keiner, der sagt: Ich muss frei sein. Muss | |
ich nicht. Ich bin sowieso frei – im Kopf. Ich muss auch nicht aus einer | |
unguten Situation raus. Ich kann die in eine gute Situation verwandeln. | |
Hat das geholfen, als Sie nach einer Verhaftung auf dem Alex von einem | |
Polizisten vergewaltigt wurden? | |
Natürlich habe ich gezittert, aber sollte ich verzweifelt sein? Ich dachte | |
nur, davon lasse ich mir mein Leben nicht kaputtmachen. Mein Gott, der Typ | |
mit dem Minischwanz, wat sollte der mir anhaben?! Ich verteidige damit | |
natürlich keine sexuellen Übergriffe, um Gottes willen. | |
Warum reichte Ihnen für ein neues Leben im Westen die andere Stadthälfte? | |
Warum wollten Sie nicht nach New York oder wenigstens München? | |
Ich kenne auch meine Grenzen. Erst mal wollte ich Westberlin erobern. Das | |
wirkliche Geldsystem, wie es in München herrscht, hat mich nie gelockt. | |
Selbst wenn ich den Kapitalismus mag, bin ich nicht an Reichtum und Macht | |
interessiert. | |
Warum mögen Sie den Kapitalismus? | |
Weil der in seiner bösen Form relativ ehrlich ist. Wenn ich weiß, ich muss | |
arbeiten, um mir eine Wohnung zu leisten, finde ich das für mich gut. Im | |
Osten herrschte ein unglaublich hierarchisches System aus persönlichen | |
Beziehungen bis in den politischen Apparat hinein. Dass du jemanden kennst, | |
der dir weiterhilft, war immer extrem wichtig. Das hat mir nicht gefallen. | |
Ich bin kein guter Netzwerker. | |
Ist heute wohl auch nicht nötig. Rennen Ihnen die Kunden den Laden ein, | |
weil Sie ein medienbekannter Friseur sind, oder sind das Stammkunden? | |
Unsere Kunden kommen aus ganz Berlin und Umkreis, Cottbus, Magdeburg. | |
Meistens komischerweise Lehrerinnen, Schuldirektorinnen, Ärztinnen. | |
Keine Männer? | |
Wenige, wir haben lange Anmeldezeiten. Männer wollen immer fix rankommen | |
und schnell fertig sein. | |
Da gibt’s ja auch wenig zu quatschen. | |
Ich bediene deshalb lieber Frauen. Bis Männer anfangen von ihren | |
Eheproblemen zu erzählen, uiuiui, das dauert. | |
Mit Ihren Kundinnen unterhalten Sie sich über solche Dinge? | |
Je privater, umso besser! Mich interessiert doch nicht, wie sauber das | |
Hotel auf der Karibikreise war. Mich interessiert, wie jemand druff ist, | |
auch in der Beziehung. Gerade weil ich nicht zu ihren besten Freunden | |
gehöre, können die Kunden mir das erzählen. Ich erzähle ja auch aus meinem | |
Leben, und die Kunden ziehen daraus vielleicht etwas für ihr Leben. | |
Gibt’s spezielle Berliner Themen? | |
Etliche ältere Kundinnen sagen, ihnen mache die Entwicklung mit den | |
Flüchtlingen Angst. Ich sehe das ganz anders, aber mir ist klar, dass vor | |
allem viele ältere Menschen mit den Veränderungen überfordert sind und die | |
Welt nicht mehr verstehen. Aber ich finde, man soll auch nicht alles | |
verstehen. Ich bin froh, dass ich manche Jugendliche nicht verstehe. Wenn | |
mir deren Musik auch gefällt, stimmt doch was nicht. | |
Berlin gilt als Hauptstadt der Meckerei. Muss ein Friseurladen nicht auch | |
immer eine Meckerstube sein? | |
Um Gottes willen! Ich rede mit den Kunden ernsthaft, was ja nicht heißt | |
ohne Spaß. Meckerei mag ich aber überhaupt nicht. Ich bin auch nicht | |
prinzipiell gegen Veränderung im Prenzlauer Berg. Ich finde nicht gut, wenn | |
Leute mit wenig Geld verdrängt werden, aber das Gemotze gegen die Schwaben | |
mag ich nicht. Stadtbezirke verändern sich. | |
Und wenn Sie selbst weggentrifiziert würden? | |
Ist eher unwahrscheinlich, weil ich mit meinem Mann nur in einer winzig | |
kleinen Wohnung wohne. | |
Und der Laden? | |
An dem hänge ich natürlich. Schließlich gefällt es mir hier sehr gut. | |
Würden Sie den auch woanders aufmachen? | |
Na klar. Veränderung ist das Leben. Wer Veränderung schrecklich findet, | |
findet das Leben schrecklich. Man kann nichts für immer festhalten. Das ist | |
Quatsch, so wie die Jagd nach dem Glück, die die Leute heutzutage alle | |
verrückt macht. Karriere, Liebe, Geld – da brauchste Glück, klar. Aber | |
entweder kommt es von selber oder eben nicht. Ich habe mich nie gefragt, ob | |
ich glücklich werden will. Aber ich will meine Kunden glücklich machen. | |
Klingt nicht nach jener schrillen Figur, für die Sie viele halten. | |
Ich finde mich selbst überhaupt nicht schrill. Ich mag das Chaotische | |
nicht, ich liebe Struktur. Ich lebe ordentlich und extrem auf den Punkt. | |
Ich finde es toll, genau zu sein und mir einen Kopf zu machen. Nicht | |
nachdenken ist das Schlimmste. Aber stimmt, in den Neunzigern musste man | |
schrill sein. Da gab es den „Schrillie der Woche“, alles musste noch mehr | |
glitzern, die Wimpern, das Piercing. | |
Der legendäre Salon Kaiserschnitt in Kreuzberg, wo Sie arbeiteten, bot | |
sogar Schamhaarfrisuren an. Es sollte ein Witz sein, aber die Story ging um | |
den Globus. Weil sie perfekt zu Berlin passte? | |
Damals sogen die Leute begierig solche Geschichten auf. Es kamen zwar keine | |
Kunden für solche Frisuren, aber jede Menge Journalisten. Eines Tages stand | |
sogar Jean-Paul Gaultier im Laden, um uns zu interviewen. Ein Verlag machte | |
einen Bildband mit Schamhaarfrisuren, wofür wir die Fotos in Ermangelung | |
echter Kunden mit Freunden inszenierten. Es verkaufte sich weltweit. Das | |
war wirklich schrill. | |
23 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Gunnar Leue | |
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