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# taz.de -- Ausstellung „Kreuzberg – Amerika“: Die Berliner Schule der Fo…
> Eine Quelle des Aufbruchs der deutschen Fotoszene in den 1970er-Jahren:
> die Werkstatt für Photographie der VHS Berlin-Kreuzberg.
Bild: Berlin-Wedding: Foto von Michael Schmidt, ohne Titel. Aus der Serie „St…
Insgeheim war man gespannt, in der Ausstellung „Kreuzberg Amerika“ noch
einmal die Anfänge der berühmten amerikanischen Fotografen zu sehen, die,
wie man wusste, über die 1976 in Berlin Kreuzberg gegründete Werkstatt für
Photographie schon frühzeitig nach Berlin geholt wurden. Doch dann entdeckt
man bei C/O Berlin stattdessen das im Titel der aktuellen Ausstellung an
erster Stelle stehende Kreuzberg.
Entdeckt deutsche FotografInnen, die zu kennen man sich leider nicht rühmen
kann und die einen wie Hildegard Ochse staunen machen mit ihrem sehr
sachlichen und doch leise romantisch getönten Stil, mit dem sie den
Naturdschungel der Berliner Hinterhöfe entdeckte. Nicht minder
beeindruckend die Anarchie der fotografierten Szenen von Thomas Leuners
WG-Dokumentation „Die Etage“ (1980) oder Eva Maria Ocherbauers
Punk-Rhapsodie „Berlin West“ (1984/85).
Bis auf wenige Ausnahmen herrscht der dokumentarfotografische
Schwarz-Weiß-Purismus der Zeit. Die Abzüge sind weit von den Formatgrößen
entfernt, in denen sich die Fotografie heute gerne präsentiert. Nur Thomas
Florschuetz’ Körperfragmente, da ein Fuß, dort zwei geballte Fäuste, da ein
Kopf und dort noch einmal ein Kopf, behaupten sich in ihren Rahmen
machtvoll und groß an der Wand.
Sonst ist der Gang durch die Ausstellung eher durch kleinteilig gehängte
Schwarz-Weißaufnahmen und -serien bestimmt. Schnell überflogen sind sie
nicht. Man muss genau hinschauen. Dann entdeckt man in Christa Mayers Serie
„Abwesende. Porträts von einer psychiatrischen Langzeitstation“ (1982–86…
zauberhaft arrangierte Gruppenaufnahmen und eindringliche, faszinierend
nahe Bildnisse, in denen der oder die Porträtierte dennoch in
selbstbewusster Distanz auftritt.
## Psychologie und Fotografie
Die Hängung mischt bunt FotografInnen und Nationen. Mayers „Abwesende“
folgen auf Bilder von Diane Arbus, die 1981 in der Werkstatt für
Photographie eine postume Ausstellung erhielt. Anders als Arbus badet
Christa Mayer ihre unglücklichen Protagonisten in herrlichem Sonnenschein.
Sie hatte nach ihrem Studium der Psychologie an der FU Berlin von 1981 bis
1986 Kurse an der Werkstatt für Photographie belegt, um über die Fotografie
den Kontakt zu ihren PatientInnen herzustellen.
Die Idee zur Werkstatt stammte von Michael Schmidt. Mit Unterstützung des
Direktors der Volkshochschule Berlin-Kreuzberg, Dietrich Masteit, eröffnete
sie am 13. September 1976 in eigenen Räumen in der dritten Etage der
Friedrichstraße 210, direkt an der Ecke Kochstraße.
Mit der Düsseldorfer Schule, die der 1976 an der Düsseldorfer Akademie der
Künste eingerichteten Fotoklasse Bernd Bechers entsprang, ist die Werkstatt
für Photographie die folgenreichste Gründung, der sich das internationale
Renommee verdankt, das deutsche FotografInnen in der zeitgenössischen
Kunstwelt genießen. Enge Beziehungen bestanden zwischen Michael Schmidt,
seiner Werkstatt und der Folkwang Schule für Gestaltung an der damaligen
Gesamthochschule Essen.
## Verbindung zwischen Berlin, Essen und Hannover
Dort lehrte der bedeutende Nachkriegsfotograf Otto Steinert. Er hatte
Folkwang zur Kaderschmiede der deutschen Nachkriegsfotografie gemacht. Zu
seinen Schülern zählen international bekannte Namen wie Ute Eskildsen,
André Gelpke, Guido Mangold, Timm Rautert, Dirk Reinartz oder Heinrich
Riebesehl. Diese Verbindung zwischen Berlin und Essen − und über Heinrich
Riebesehl auch zwischen Essen, Berlin und Hannover, bewog nun das Folkwang
Museum in Essen und das Sprengel Museum in Hannover in Kooperation mit C/O
Berlin, dieselbe Geschichte aus ihrer Perspektive zu erzählen.
Und so eröffneten parallel zu „Kreuzberg Amerika“ am Wochenende in Essen
„Das rebellische Bild“ und in Hannover „Und plötzlich diese Weite“. Wa…
Werkstatt für Photographie von Folkwang oder Düsseldorf unterschied, war
ihre Form als Institution der Erwachsenenbildung. Es fehlten die
akademischen Zugangsbeschränkungen, die Kursteilnehmer waren Autodidakten
und auch die Mehrzahl der Dozenten hatte keine pädagogische Ausbildung.
Jenseits berufsständischer Rücksichtnahme entwickelte sich in Workshops,
Ausstellungen und Kursen ein fotografischer Diskurs auf internationalem
Niveau. Was zu der paradoxen Situation führte, dass die im Lokalen
verortete Kreuzberger Volkshochschule Zentrum eines globalen Netzwerks
zeitgenössischer Fotografie wurde und Ort des transatlantischen
fotografischen Dialogs. Stilbildend ist die strikt dokumentarische
Sehweise, wie sie der ehemalige Polizist und Fotoamateur Michael Schmidt in
seinem Werk zum Ausdruck bringt, das auf eine schonungslose Darstellung der
Alltagswirklichkeit zielt.
## Zu Hause rumlümmelnd
Wunderbare Bilder und Serien von Schmidt sind bei C/O noch einmal zu
entdecken wie die Aufnahmen des städtischen Behördenpersonals, das er mal
in der Amtsstube und mal privat zu Hause fotografiert. Der etwas steife
„Stadtoberinspektor beim Bezirksamt Wedding“(1976–78) repräsentiert dann
stolz mit Gattin in einer überdekorierten Wohnung, während die
„Sozialarbeiterin beim Bezirksamt Wedding“ (1976–78) im Büro wie allein …
Hause rumlümmelnd, lässig rüberkommt, gewissermaßen bürgernah, alternativ.
Sichtlich sind viele Annahmen der Nachkriegsgesellschaft obsolet,
gleichgültig ob es um den korrekten Auftritt im Büro geht oder um
jugendliches Freizeitverhalten. Eva Maria Ocherbauer hängt in Kreuzberg ab,
alle trinken, und zwar nicht wenig, sie fotografiert. Heute leitet sie die
LagosPhoto Summer School in Nigeria, die ein wichtiger Hotspot für die
afrikanische Fotografie ist. Ihre 37-teilige Fotoinstallation mit Porträts,
Stillleben und Interieurs der Punkszene blickt hinüber zu Larry Finks
bizarren Glam-Personal der Disco-Ära aus dem „Studio 54, New York City, Mai
1977“.
Die Amerikaner, unter anderen Stephen Shore, Robert Adams, Larry Clark,
William Eggleston, Lee Friedlander, John Gossage und Robert Frank, sind bei
C/O wieder ganz daheim. Denn es war der Programmverantwortliche für das
Amerikahaus, das heute Sitz von C/O ist, Jürg Ludwig, der sie nach Berlin
einlud.
## Banalste Motive, fast schon Abstraktionen
In der Werkstatt stellten die Amerikaner aus und machten Workshops, während
sie im Amerikahaus ihre Arbeiten in Vorträgen erläuterten. Eggleston
brachte die Farbe mit. Wilmar Koenig, erst Hörer der Werkstatt, dann Dozent
und schließlich ihr Leiter, befreundete sich und reiste mit ihm. Und
fotografierte nun in Farbe und blitzte auch mal bei Tag. Auch Gosbert
Adler, ebenfalls Dozent und später Leiter der Werkstatt, fotografierte in
Farbe, banalste Motive, fast schon Abstraktionen, 1986 ein Schäumchen in
der Hand oder angeschnitten ein Tisch „o. T. (Brot)“, 1982.
Die Werkstatt-Leute schauten aber nicht nur nach Westen. 1985 fahren
Gosbert Adler und Wilmar Koenig mehrfach nach Ostberlin, um eine zur
„Verkaufsausstellung“ deklarierte Ausstellung in Angriff zu nehmen. Aus
ungeklärten Gründen findet sie nicht statt, der Katalog „DDRFOTO“ freilich
ist schon gedruckt und wird in mehreren Exemplaren in der Werkstatt
ausgestellt.
Er zeigt Arbeiten von Gundula Schulze Eldowy, Thomas Florschuetz, Rudolf
Schäfer und Ulrich Wüst, dessen Berliner Stadtansichten sich mit denen
Michael Schmidts ideal ergänzen. Der Duktus seiner Fotografie ist dem
seiner westlichen Kollegen, sei es Wilhelm Schürmann in Aachen oder Lewis
Baltz in Kalifornien, ganz nahe.
16 Dec 2016
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Ostberlin
Fotografie
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Punks
Berlin-Kreuzberg
Bauhaus
Fotografie
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