# taz.de -- taz-Serie Verschwindende Dinge (1): Dem Punk fallen die Haare aus | |
> Kunterbunter Iro, Nietengürtel, Sicherheitsnadel in der Wange? Vom Punk | |
> ist heute nicht mehr viel übrig – und auch der Nihilismus der 80er ist | |
> nicht mehr angesagt. | |
Bild: Die letzten ihrer Art. Zumindest in der Öffentlichkeit. | |
Punk ist nicht nur dead, er riecht auch schon schlecht. Damit gehört er | |
also auf jeden Fall gleich an den Anfang unserer Serie über Dinge, die im | |
Verschwinden begriffen sind – beziehungsweise in diesem Fall der | |
aussterbenden Jugendkulturen. Man sieht Punks nur noch in Ausnahmefällen im | |
öffentlichen Straßenbild: zum Beispiel nachts auf der Straße, um eine zu | |
quarzen vor Punkkonzerten, oder vor Clubs wie dem Sage in der Köpenicker | |
Straße oder dem Mokum in der Danziger Straße in Prenzlauer Berg. | |
Aber selbst dann sehen die Punks eben nur noch selten so aus: kilometerweit | |
hochgestellter und dabei kunterbunter Irokesenschnitt. Lederjacke, | |
zerschlissene Jeans, Nietengürtel und Sicherheitsnadeln in Wange und Ohr. | |
Der Punk vor der Kaufhalle, „Hastemanemark?“: Friede sei seiner Asche. | |
## Voküs und Plena | |
„Stimmt doch gar nicht“, kommt gleich der Protest aus den eigenen Reihen | |
der KollegInnen – man wird aufmerksam gemacht auf die Hausbesetzerszene | |
rund um die Rigaer Straße in Friedrichshain, die noch immer so aussehe wie | |
in den Achtzigern. Aber sind das wirklich die guten alten Punks, die mit | |
den nihilistischen Slogans wie „No Future“? Sind es wirklich jene Punks, | |
die sich selbst als Abschaum, als Ausgestoßene und Aussätzige sahen und | |
deren politischer Fokus eher unscharf blieb? Wären diesen Punks die Voküs | |
und Plena, der ganze Veränderungswille der Hausbesetzer, nicht viel zu viel | |
Arbeit? | |
„Diese Szene ist nicht so meins“, sagt denn auch Henry Voss, genannt Vossi, | |
vom Plattenladen Vopo Records in der Danziger Straße über die | |
Nachfolgegeneration des 80er-Punks. Vopo-Records ist eine der letzten | |
Anlaufstationen für Leute in dieser Stadt, die sich ihre Punkmusik nicht | |
beim Streamingdienst Spotify ziehen wollen. | |
Voss, bald 50 Jahre alt, lebt seit 1991 in Berlin. Geboren in Greifswald | |
und aufgewachsen im mecklenburgischen Torgelow, sammelte er schon zu | |
DDR-Zeiten Westschallplatten und Lizenzpressungen des DDR-Labels Amiga. | |
Nach der Wende eröffnete er mit einem Freund den Laden Vopo Records. | |
Vinyl-Alben sind bis heute Voss’ Spezialität. | |
Obwohl er hier „in seinem eigenen Kosmos“ lebt und abends noch immer in den | |
letzten Punkschuppen dieser Stadt als DJ auflegt, sagt auch er, dass sich | |
das Erscheinungsbild von Punk verändert habe. Zwar gebe es ihn immer noch, | |
„den Punk“. Zum Beispiel neulich, bei einem Konzert der Londoner Punkband | |
Peter and the Test Tube Babies, die es seit fast vierzig Jahren gibt. „Da | |
sah eigentlich fast alles aus wie immer“, sagt Voss. Nur: „Es sind halt | |
immer auch Leute in meinem Alter dabei“, sagt der Mann mit der Berliner | |
Schnauze und der sorgfältig verwuschelten, blondierten Frisur. „Viele von | |
denen haben halt überhaupt keine Haare mehr auf dem Kopf, die sie | |
hochstellen könnten“, lacht er in einer Art und Weise, dass es auch ein | |
bisschen nach Schadenfreude klingt. | |
## Banker in feinem Zwirn | |
Eigentlich, meint Voss, sei Punk schon lange keine Jugendkultur und auch | |
keine Mode mehr. Punk sei eine Lebenseinstellung geworden. Und | |
Lebenseinstellungen sieht man halt nicht immer auf den ersten Blick. Voss | |
sagt, dass bei ihm auch viele Banker in feinem Zwirn einkaufen gingen. Und | |
obwohl sie so spießig aussähen, trauten sie sich was. Sie fragten auch mal | |
nach einer alten Platte von Black Flag, einer der einflussreichsten Bands | |
der frühen amerikanischen Hardcore-Szene. | |
Andere Leute kaufen sich bei H&M ein T-Shirt mit Ramones-Aufdruck, um | |
rebellisch auszusehen. Dabei haben sie noch keinen Song dieser großartigen | |
New Yorker Band gehört, die Punk losgetreten hat wie kaum eine andere. So | |
kommt es, dass ein Banker punkiger sein kann als einer, der Punk auf dem | |
Shirt trägt. | |
So oder so: Es gehe bei Punk darum, meint Voss, gegen alles zu sein. Und | |
dabei Spaß zu haben. Auch wenn er demnächst 50 wird und sich „die Sache mit | |
dem No Future irgendwie überholt hat“, grinst er. | |
Womöglich hätte man diesen Text auch anders schreiben können. Vielleicht | |
erinnern Sie sich, liebe/r Leser/in, noch an Shane MacGowan, den Sänger der | |
irischen Folk-Punkband The Pogues? An den Mann mit den schlechten Zähnen? | |
Den Mann, den Musikerin Sinnéad O’Connor einmal bei der Londoner Polizei | |
wegen Drogenbesitzes anzeigte – im verzweifelten Versuch, wie sie sagte, | |
ihn vom Heroin abzubringen? Jedenfalls verlor MacGowan im Jahr 2008 seinen | |
allerletzten natürlichen Zahn. Anfang 2016 wurden dem Sänger dann in einer | |
neunstündigen Operation 28 neue eingesetzt. In einer in Irland | |
ausgestrahlten Dokumentation konnten sich Fans die Behandlung im Fernsehen | |
anschauen. Sie durften sogar Zeuge werden, wie MacGowan seinen ersten Apfel | |
seit 20 Jahren aß. | |
## Irgendwo im Untergrund | |
Man kann es so sehen: Punk ist tot, wenn Shane MacGowan Wert auf gute Zähne | |
legt. Man kann es aber auch anders sehen: Punk mag unsichtbar geworden | |
sein, lebt aber irgendwo weiter im Untergrund. Denn immerhin hat der Punker | |
MacGowan ein genial absurdes Theater aus seiner Verschönerung gemacht. | |
27 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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