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# taz.de -- Neues Album von Pete Doherty: Fuck forever Terrorism
> Pete Doherty wirkt auf seinem neuen Album „Hamburg Demonstrations“ wie
> geläutert. Die Songs sind gelungen – und traditionell.
Bild: War jahrelang in einem goldenen Starkäfig eingesperrt: Pete Doherty
Kürzlich sendete der britische TV-Sender Channel 4 ein Interview mit Peter
Doherty. Es zeigte den Popstar als früh ergrauten, derangierten und
sensiblen Menschen. „Nennen Sie mich nicht Rockstar“, bat Doherty den
Interviewer. „Wie möchten Sie denn genannt werden?“ entgegnete der. „Nenn
mich Peter.“
Der Brite ist einer, der in der Öffentlichkeit so entwaffnend wirkt, dass
man sich fast schützend vor ihn stellen wollte. Gleichzeitig demonstriert
Doherty mit dieser Geste eine ostentative Verweigerungshaltung gegen die
ständige Vereinnahmung seiner Person. Dieser ist er auf fatale Weise zum
Opfer gefallen.
Es gab Zeiten, da spekulierten Boulevardblätter fast täglich über das
mögliche Ableben des 37-Jährigen. Ein Doherty-Absturz, am besten noch mit
Liveticker und Handyfoto? Wenn sich Doherty nun so deutlich äußert, ist das
der emanzipative Akt eines Künstlers, der seine Karriere mehr als einmal an
die Wand gefahren hat. Fans wissen nie genau, ob er angekündigte Auftritte
absolviert und wenn ja, in welchem Zustand er die Bühne betritt.
Zumindest beeinträchtigen die destruktiven Seiten momentan nicht die
Kreativität, das beweist sein neues Soloalbum „Hamburg Demonstrations“.
Auch wenn es pathetisch klingen mag, das Werk ist Dohertys gelungener
Versuch, Dämonen der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Er soll den
harten Drogen abgeschworen haben, auch aus London hat er sich
verabschiedet.
## Bye bye, Punkgestus
Entstanden ist Dohertys drittes Soloalbum übrigens in Hamburg, produziert
von Johann Scheerer, der das Studio Clouds Hill Recording betreibt.
Doherty lebte während der Aufnahmen für acht Monate in der Hansestadt.
Lokale MusikerInnen wie Sonja Glass und Valeska Steiner von Boy und Tim
Schierenbeck von der Band Gloria waren an den Sessions beteiligt. „Hamburg
Demonstrations“ ist ein ruhiges, nachdenkliches und gleichzeitig
optimistisches Album geworden. Nichts mehr erinnert an den Punkgestus des
Reunion-Albums seiner alten Band the Libertines, wo Doherty, Carl Barat und
Co. während der Aufnahmen feierfreudig um die Häuser zogen.
Bei seinem eigenen Songwriting gelingt es Doherty, unaufgeregt und
beiläufig zu wirken. Im melancholisch-eingängigen „Birdcage“ beklagt er d…
Schattenseiten des Popstardaseins: „Only love can heal the sickness of
celebrity.“ Zwischen Ruhm und Rausch war Doherty jahrelang in einem
Goldenen Starkäfig eingesperrt, darüber wurde oft vergessen, dass er
eigentlich ein begabter Künstler und keine Trash-Celebritiy ist.
## Ode an Amy
Sein Können beweist Doherty im ergreifendsten Song dieses Albums, „Flags of
the old regime“. Er ist seiner 2012 verstorbenen Kollegin Amy Winehouse
gewidmet: „The fame they stoned you with / You soldiered it / Made your
fortune / But you broke inside.“ Innerlich zerbrochen am Ruhm sei
Winehouse, beklagt Doherty, der dem Rausch ähnlich exzessiv zugewandt war
wie die drogensüchtige Soulsängerin. Im Video gibt er das leidende Genie,
stilvoll in Anzug, weißem Hemd und Krawatte. Er nährt den Mythos des
tragischen Künstlers.
Bei Doherty ist das private Leid stets Inspiration für seinen
künstlerischen Output. Auch wenn die Frage nach Glaubwürdigkeit in der
Popindustrie eine leidige ist, nimmt man den Briten auf gewisse Weise als
aufrichtig wahr: In dem Drang, sich zu verschwenden und schmerzhaft viel
preiszugeben, liegt eben auch seine Faszination.
In dem Song „Kolly Kibber“, inspiriert von einer Figur aus Graham Greenes
Roman „Brighton Rock“, leidet Doherty an „This hell of this devilish
world“. Das Countryeske „The whole world is our playground“ ermutigt
wiederum zu Rebellion statt Konformität: „Take the night by the hand /And
set it on fire again.“
„Hell to pay at Gates of Heaven“ verhandelt die Terroranschläge im November
2015 im Zentrum von Paris, wo Doherty seit einigen Jahren lebt. Bei der
Wiedereröffnung der Konzerthalle Bataclan war Doherty einer der ersten
Musiker, der dort auftrat. Beim Konzert hielt er eine mit dem wütenden
Slogan „Fuck forever terrorism“ versehene französische Tricolore ins
Publikum.
„Hamburg Demonstrations“ ist ein durchaus gelungenes, aber zweifellos auch
sehr traditionelles Werk ohne jegliche Experimente. Doherty ist der ewige
Romantiker und Nostalgiker des britischen Pop. Ein musikalischer Visionär
ist er gewiss nicht.
22 Dec 2016
## AUTOREN
Annette Walter
## TAGS
Pete Doherty
Hamburg
Britpop
Punk
Jan Philipp Reemtsma
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Punks
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Franz Ferdinand
Pete Doherty
New York
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