# taz.de -- Neues Album von Festland: Leuchtturm im Ruhrgebiet | |
> Als hätte man Kraftwerk die Synthesizer weggenommen: Die Essener Band | |
> Festland und ihr kluges Werk „(Wenn) doch die Winde weh'n“. | |
Bild: Drei Essener mit dem Kontrabass | |
Was zeichnet kluge Kunstwerke aus? Die Uneindeutigkeiten, die sie | |
formulieren? Die Brüche, die ihnen eingeschrieben sind? Die Widersprüche, | |
die sie aufzeigen? | |
Die Essener Band Festland hat mit „An euren Fenstern wachsen Blumen“ (2006) | |
und „Welt verbrennt“ (2010) bereits zwei Alben veröffentlicht, die, an | |
diesen Kriterien gemessen, ganz weit vorne wäre – mit einem Sound, der | |
sowohl musikalisch als auch in den vom Künstler Fabian Weinecke | |
beigesteuerten Songtexten unaufdringlich, aber nie beiläufig daherkommt. In | |
dem Minimal Music, Kraut, House, Folk und Diskurspop zusammenfinden. | |
Auf „Wenn doch die Winde wehn“, dem dritten Album des Trios, ist alles | |
etwas anders – und das Ergebnis doch ähnlich. Thomas Geier, Dietmar | |
Feldmann (alias DDFM) und Joachim Schaefer (alias Yoshino), die Musiker von | |
Festland, haben nun erstmals ein Album eingespielt, das zu geschätzten 99 | |
Prozent unplugged ist. | |
Gewidmet ist es dem 2012 verstorbenen Maler und Dichter Weinecke, der eine | |
Art externes Bandmitglied war und als solches die Texte beisteuerte. | |
Festland arrangierten damals für seine Trauerfeier Songs nur für akustische | |
Instrumente, vier Jahre später erscheinen nun zwölf Stücke in dieser | |
Machart. Streicher, Chöre, Glockenspiel und Klangstäbe geben den Ton an – | |
ein Vocoder und eine verstärkte Gitarre bilden die Ausnahme im Klangbild. | |
Die meisten Songtexte stammen dabei noch aus Weineckes Feder und zeigen, | |
welch herausragender Lyriker er war. „1000 Meilen“ lässt einen gleich zu | |
Beginn darüber nachdenken, inwieweit der Künstler sich selbst mit seiner | |
Sterblichkeit auseinandergesetzt hat („Doch in der Finsternis / beginnt | |
mein Reich das ewig ist“). | |
## Mixtur aus Kammer-Pop und Krautrock | |
Stücke wie „Geld“ und „Leuchtturm“ funktionieren als Vier-/Zweizeiler … | |
gute Aphorismen, in letztgenanntem Lied tragen zwei Verse ein | |
5-Minuten-Stück: „Leuchttürme senden den Schiffen ihr Licht / die Schiffe | |
sehen das und verirren sich nicht“. | |
Die Kompositionen dazu sind toll. Mehrstimmiger Gesang im Vordergrund, | |
Klanghölzer und Becken takten die Stücke, meist im 4/4, Streicher stützen | |
diesen Rhythmus. Eine Mixtur aus Kammer-Pop und Krautrock ist das; es | |
klingt, als hätte man Kraftwerk (deren „Schaufensterpuppen“ wird gecovert) | |
die Synthesizer weggenommen und Ralf Hütter ins Konservatorium | |
zwangsversetzt. | |
Kluge Kunst weiß im richtigen Moment Leerstellen einzusetzen. Wie im | |
neunten Stück, das einzige ohne Text und Gesang, man hört fast nur Fiepen | |
und Rauschen, fühlt sich an die Klänge eines Modems erinnert. Der Track | |
heißt: „Europas Signale“. | |
Ansonsten aber setzen Festland der lauten, krawalligen Umwelt schöne Töne | |
entgegen, als wollten sie sanft und doch vehement Einspruch gegen eine | |
sinnlich überladene Gegenwart erheben. Schnell noch auf die Bestenlisten | |
die Jahres schreiben! | |
29 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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