# taz.de -- Kolumne Der Rote Faden: Der Rausch vor dem Drogentod | |
> Am Drogentod an sich ist nichts glamourös. Wer ihn stirbt, ist in der | |
> Regel vorher verglüht. Trotzdem schauen wir voller Neid und Bewunderung | |
> hin. | |
Bild: „I never thought you were a junkie/ because heroin is so passé“ (The… | |
Der Drogentod hat ja einen durchaus ambivalenten Ruhm. Klar, er ist mit dem | |
Ableben dessen verbunden, der ihn stirbt. Erfreulich ist das nie. Mit an | |
die 50 und als Vater dreier kleiner Kinder wie Philip Seymour Hoffman, mit | |
der Nadel im Arm und nur mit Shorts bekleidet tot im Badezimmer aufgefunden | |
zu werden, das ist ganz bestimmt nicht glamourös. Aber machen wir uns | |
nichts vor: Der Drogentod hat nicht nur eine schlechte Nachrede. Nicht | |
zuletzt in der Popwelt evoziert er Bilder eines schnellen und intensiven | |
Lebens, von Energie, vom Verglühen in jungen Jahren, von diesem Live fast, | |
die young. Und das ist nichts, wovon sich die Beobachter nur angewidert | |
oder mit Mitleid abwenden. | |
Dem Drogentod haftet nämlich etwas Glamouröses an, obwohl er selbst meist | |
ohne Glamour ist. Wer ihn stirbt, ist in der Regel schon vorher verglüht. | |
Wie im Fall Amy Winehouse, die der Alltagsdroge Alkohol erlag, ist er nicht | |
das kümmerliche Ende eines großen Lebens, sondern eines solchen, das oft | |
selbst ins Kümmerliche ausrann. Es ist nicht ohne Ironie, dass Hoffman | |
seinen Oscar für die Verkörperung des großen Schriftstellers Truman Capote | |
erhielt, dessen Leber, da war er längst schon soziopathisch geworden, | |
aufgrund vielfacher Intoxikation am Schluss den Dienst quittierte. | |
Ich gebe zu, es ist keineswegs korrekt, so etwas zu schreiben. Korrekt ist, | |
zu schreiben, dass Drogen Mist sind, Sterben scheiße ist und es | |
fürchterlich traurig ist, wenn jemand geht. Und das ist ja auch wahr. Aber | |
es gibt auch die andere Wahrheit, nämlich die, dass wir Normalos in unserer | |
meist drogenfreien Langeweile mit Bewunderung und Neid auf die kurzen, aber | |
aufregenden Eskapaden der künftigen Drogentoten schauen. Der glitzernde | |
Rausch der Anderen. Egal, ob man das verständlich oder krank findet. | |
Die wahren Glückskinder sind Leute wie Keith Richards, bei denen sich alle | |
Welt fragt, wie man so ein Leben so lange überleben kann. (Antwort: Mit dem | |
nötigen Geld für sauberen Stoff.) Pete Doherty, der stets zugedröhnte | |
Frontmann der Babyshambles und Ex von Kate Moss, zieht dieselben Blicke auf | |
sich. Weshalb in Konzertkritiken gern mal solche Sätze zu finden sind: | |
„Rausch, ein Refugium des Widerstands gegen das Rattenrennen. […] Das ist | |
ein starker Gegenentwurf zur Welt der angepassten faden Urscheln da | |
draußen.“ | |
In den Urzeiten hielt man noch viel von den „bewusstseinserweiternden“ oder | |
„persönlichkeitsverändernden“ Wirkungen raffinierter Substanzen. Heute ist | |
dieser Romantizismus noch nicht völlig verschwunden, auch wenn man | |
mittlerweile weiß, dass die persönlichkeitsverändernde Wirkung der meisten | |
Drogen selbst bei an sich veränderungswürdigen Persönlichkeiten selten | |
vorteilhafte Wirkungen hat. | |
## Gigantomanisches Selbstbild | |
Vor allem die härteren Drogen machen egozentrisch, verhärten ein | |
gigantomanisches Selbstbild, schränken die Empathiefähigkeit ein und damit | |
auch die Fähigkeit zu Kompromissen und triggern so krankhaften Rigorismus | |
oder auch Streitsüchtigkeit. Suchtverhalten im Gehirn macht unleidlich. | |
Gerade eben haben wieder eine Reihe von Studien ergeben, dass man sich, um | |
so zu werden, nicht nur Gift in die Blutbahn schießen muss – es reicht | |
manchmal, wenn man einfach den Computer einschaltet. | |
„Macht uns Facebook unglücklich?“, titelte just wieder die Süddeutsche | |
Zeitung und verwies auf vielerlei Untersuchungen, darunter auf eine, die | |
das Krankheitsbild der „Facebook-Depression“ beschreibt. Netzsucht macht | |
Gehirnmatsch, so könnte man das unwissenschaftlich zusammenfassen. Soziale | |
Netzwerke etablieren einen sozialen Sog und Stress, und wer stundenlang vor | |
dem Rechner sitzt, wird unglücklich. | |
Das ist empirisch nicht mehr zu bestreiten, es tobt freilich der Kampf der | |
Interpretation: Ist es eine Korrelation oder eine Kausalität? Simpler | |
gesagt: Wird, wer dem Sog der Netzwerke erliegt, depressiv – oder erliegt | |
dem Sog der Netzwerke, wer eine Prädisposition zur Depression hat? | |
Wahrscheinlich ist, wie so oft im Leben, beides wahr: Man muss eine | |
Prädisposition mitbringen, um süchtig zu werden, aber die Sucht macht die | |
Sache dann halt noch einmal schlechter. Effektsteigernde Wirkung. | |
Geld, Prominenz, Macht, all das, wir wissen es, kann Suchtverhalten mit den | |
dazugehörigen persönlichkeitsverändernden Dynamiken auslösen. Vielleicht | |
sollte man diesen Aspekt auch in die Analysen der Finanzkrise einweben (der | |
neue Film von Martin Scorsese, „The Wolf of Wall Street“, versucht diese | |
Analogie auszuerzählen). Die Zocker der Finanzmärkte, die die Welt an den | |
Abgrund brachten, spielen wie Süchtige Computerspiele, bloß dass der | |
Spielstand in Geld gemessen wird. Kein Mensch braucht 90 Millionen Dollar | |
im Jahr, außer um zum nächsten Level zu kommen. | |
7 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Robert Misik | |
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