# taz.de -- Nachruf auf Philip Seymour Hoffman: Abseitigkeiten hinter blasser F… | |
> Außenseiter, Loser, Perverse. Philip Seymour Hoffman verkörperte oft | |
> bizarre Charaktere. Der große Schauspieler starb an einer Überdosis | |
> Heroin. | |
Bild: Oscar-prämiert: Hoffman in „Capote“. | |
Aus dem Stand explodieren wie eine Naturgewalt, das hatte er drauf wie kein | |
anderer. So als frustrierter CIA-Offizier in dem Film „Der Krieg des | |
Charlie Wilson“, in dem er erst das Bürofenster seines Vorgesetzten | |
zertrümmert und dann beim Herausgehen eine Sekretärin fragt: „Wie war ich?�… | |
– wohl wissend, dass er da gerade einen beeindruckenden Auftritt hingelegt | |
hat. | |
Aber auch in ruhigen Momenten zog er die Blicke auf sich. Selbst auf Fotos | |
mit verquollenem Gesicht und zerstrubbelten Haaren – und davon gab es | |
einige, etwa von offiziellen Empfängen – bewies er eine Präsenz, dass man | |
ihn unbedingt ansehen musste. | |
Unbestritten war er einer der bedeutendsten US-Schauspieler seiner | |
Generation, auch wenn Philip Seymour Hoffman in seiner über 20-jährigen | |
Kinokarriere nur eine Hand voll Hauptrollen gespielt hat. Im Zweifelsfall | |
reichten ihm wenige Leinwandminuten, um im Gedächtnis zu bleiben. | |
Unvergessen, wie er in Paul Thomas Andersons „Boogie Nights“ (1997) den | |
Tontechniker einer Pornoproduktionsfirma spielt, der sich unsterblich in | |
den männlichen Shootingstar der Firma verliebt. Auf einem Parkplatz | |
versucht er einen unbeholfenen Annäherungsversuch, der nur scheitern kann. | |
Eine Nebenhandlung, aber wie Hoffman in wenigen Momenten die nur | |
vorgetäuschte Souveränität seiner Figur kippen lässt in verzweifelte | |
Ehrlichkeit, ist einer der rührendsten Momente des Films. | |
## Tiefer Abgrund hinter der Fassade | |
Mit seinem sommersprossig-bleichen Teint, seinem fleischigen Gesicht und | |
dem Schmerbauch passte Hoffman nie in das Schema des klassischen leading | |
man Hollywoods, aber auch im US-Indiefilm wurde er zunächst meist in Rollen | |
des Außenseiters, Losers oder Perversen besetzt. Fast ausdruckslos spielte | |
er in Todd Solondz’ Skandalfilm „Happiness“ (1998) einen | |
Durchschnittsbürger, der seinem Psychiater Gewaltfantasien beichtet und | |
zwanghaft onaniert, während er seine Nachbarin mit obszönen Anrufen | |
terrorisiert. Irgendwo lauerte meist solch ein mariannengrabentiefer | |
Abgrund hinter der unscheinbaren Fassade seiner Figuren. | |
Wie ein besonders tragischer Fall von „Leben imitiert Kunst“ wirken daher | |
die Meldungen, dass der 46 Jahre alte Schauspieler in seinem New Yorker | |
Apartment an einer Überdosis Heroin gestorben sein soll. Er hinterlässt | |
seine langjährige Partnerin, die Kostümbildnerin Mimi O’Donnell, und drei | |
kleine Kinder. | |
Neben seiner Arbeit am Theater als Schauspieler und Regisseur stand Hoffman | |
seit den mittleren neunziger Jahren für fast alle namhaften US-Regisseure | |
vor der Kamera, die zwischen unabhängigem Kino und Renommierproduktionen | |
der großen Studios arbeiten. Eine besonders enge Arbeitsbeziehung verband | |
ihn mit Regisseur Paul Thomas Anderson, der ihn in fünf seiner sechs Filme | |
besetzte. | |
Er drehte außerdem unter anderem mit den Coen-Brüdern, Spike Lee, Charlie | |
Kaufman, Mike Nichols, Sidney Lumet und George Clooney. In „Mission: | |
Impossible III“ spielte er einen Bösen, als den sich Tom Cruise verkleidet. | |
Auch diesen Gesichts- und Körpertausch brachte Hoffman beeindruckend | |
glaubwürdig auf die Leinwand. Sein massiger Körper bewegte sich plötzlich | |
in einer Behändigkeit durch die Actionszenen, dass man wirklich dachte, der | |
durchtrainierte Tom Cruise hätte sich hier nur eine Gesichts- und | |
Körpermaske übergezogen. | |
## Macken und Ticks | |
Seinen größten Triumph feierte Hoffman allerdings 2005 mit einem Film des | |
bis dahin weitgehend unbekannten Regisseurs Bennett Miller. Die Titelrolle | |
im Biopic „Capote“ brachte Hoffman neben dem Oscar für den besten | |
Hauptdarsteller mehr als ein Dutzend weitere renommierte Auszeichnungen | |
ein. Er wurde dafür belohnt, dass er Truman Capote nicht als | |
Identifikationsfigur konsumierbarer machte, ihn nicht näher an den | |
gesellschaftlichen Mainstream heranführte. | |
Was zunächst als unerträglicher Manierismus des Schauspielers erscheint, | |
entpuppt sich beim Vergleich mit Dokumentaraufnahmen des Schriftstellers | |
als schonungslos genaue Wiedergabe seiner Macken und Ticks. Hier zeigt sich | |
Hoffman erneut als Meister der Darstellung von Figuren, die selber | |
offensichtlich in der Öffentlichkeit eine Rolle spielen. | |
Subtiler zeigt er solch ein doppeltes Spiel auch in seiner 2012 für den | |
Oscar nominierten Nebenrolle in Paul Thomas Andersons „The Master“. Den an | |
die Person des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard angelehnten Sektenführer | |
Lancaster Dodd spielt er als eine fast an Orson Welles erinnernde Mischung | |
aus Scharlatan, Bonvivant und Patriarch. | |
## Unübertroffen plastische Bilder | |
Die Zwiegespräche mit Hauptdarsteller Joaquin Phoenix – den Hoffman 2005 im | |
Oscar-Rennen geschlagen hatte – gehören zu den elektrisierendsten | |
Schauspielmomenten des US-Kinos der letzten Jahrzehnte, auch weil Anderson | |
im eigentlich ausgestorbenen 65-mm-Analogformat filmen ließ. Statt in | |
erster Linie monumentale Landschaftsaufnahmen zu drehen, zeigt er seine | |
Darsteller in unübertroffen plastischen Bildern, die in die Filmgeschichte | |
eingehen werden. Eine schönere Hommage hätte sich ein Schauspieler nicht | |
wünschen können. | |
Es ist sehr traurig, dass er nun nur noch in einem neuen Film zu sehen sein | |
wird: In der John-Le-Carré-Verfilmung „The Most Wanted Man“ von Anton | |
Corbijn, die bald in die Kinos kommt, spielt – oder, wenn man den | |
Vorberichten glauben darf, vielmehr: zelebriert – Hoffman den deutschen | |
Geheimdienstler Günther Bachmann. | |
3 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Sven von Reden | |
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