# taz.de -- Filmstart „A Most Wanted Man“: Hai frisst Barrakuda frisst Fisch | |
> In Anton Corbijns Spionagethriller „A Most Wanted Man“ besticht Philip | |
> Seymour Hoffman in seiner letzten großen Rolle – als müder Agent. | |
Bild: Philip Seymour Hoffman als Agent Günther Bachmann. | |
Auch wenn das zunächst absurd klingt: Tatsächlich gehen viele Menschen | |
nicht deshalb ins Kino, weil sie einen Film sehen wollen. Viel eher wollen | |
sie bestimmte Personen beim Verrichten von Dingen betrachten. Bei diesen | |
„Dingen“ kann es sich um so ephemere Tätigkeiten wie Rauchen, Trinken und | |
Melancholisch-in-die-Gegend-Schauen handeln. Und es müssen dabei gar nicht | |
Stars wie George Clooney sein, die beim ausdrucksvollen Nichtstun immer gut | |
aussehen. | |
Nein, gerade jemand wie Philip Seymour Hoffman, der mit seiner teigigen | |
Gestalt, den weißblonden Haaren und seinem rosa Teint immer schon eher als | |
Mädchenschreck denn als Mädchenschwarm galt, kann eine einzigartige | |
Spannung auf der Leinwand erzeugen. Wenn er in „A Most Wanted Man“ eine | |
Kippe vom Balkon wirft oder sich den Whiskey gleich in die Kaffeetasse | |
kippt, ist er auf der Höhe seiner Kunst: Auch ohne etwas von der Handlung | |
drumherum zu begreifen, ist man vollkommen gebannt vom inneren Drama seiner | |
Figur. | |
Philip Seymour Hoffman spielt in Anton Corbijns „A Most Wanted Man“ einen | |
deutschen Geheimagenten namens Günther Bachmann. Es gibt im Lauf des Films | |
Andeutungen einer fehlgegangenen Mission in Beirut, aber das braucht es | |
eigentlich kaum, um zu erfassen, dass es sich bei Bachmann um einen | |
besonders abgeklärten, lebensmüden und den Beschränkungen seines Jobs | |
überdrüssigen Mann handelt. Den im Februar an einer Überdosis gestorbenen | |
Hoffman in dieser, seiner letzten großen Rolle zu sehen – Auftritte in Teil | |
3 und 4 des „Tribute von Panem“-Franchise stehen noch aus –, ist von fast | |
schmerzlicher Doppeldeutigkeit. | |
Nicht etwa, weil man von Bachmanns verwahrlost-ungesundem Lebensstil mit | |
Kettenrauchen, Junkfood und Whiskey direkt auf Hoffmans Gewohnheiten | |
schließen kann und schon gar nicht, weil man in Bachmanns Weltschmerz die | |
manifeste Depression des Schauspielers erkennen würde. Nein, es ist die | |
Präzision jeder einzelnen Geste, jedes Blicks und jeder Körperbewegung, die | |
in der Darstellung durchblicken lässt, wie gut sich Hoffman damit auskennt, | |
mit Lebensüberdruss, Selbstverachtung, Resignation. Er spielt sich nicht | |
selbst, aber er weiß sehr genau, was er da tut. Das allein schon lohnt es, | |
„A Most Wanted Man“ anzuschauen. Wann immer Hoffman im Bild ist, besitzt | |
der Film bereits Spannung, nur weil man ihm bei der Arbeit zusehen kann. | |
## Nebenfiguren ohne Konturen | |
Es könnte so schön sein: Schließlich lassen sich John Le Carrés | |
Spionageromane auch als Arbeitsplatzdramen lesen, in denen der Gegensatz | |
der Ideologien nur den Hintergrund bildet zu den mehr oder weniger lästigen | |
Verrichtungen des Agentenalltags wie Abhören, konspirative Treffen und | |
Meetings mit unwilligen Vorgesetzten. Le Carrés Vorlage zu „A Most Wanted | |
Man“ stammt aus dem Jahr 2008; dank 9/11 und Mohammed Atta hat es darin | |
Hamburg geschafft, zur Location für internationale Spionagetätigkeit | |
aufzusteigen. | |
Da trifft es sich gut, dass die Überwachungskameras bald eine verdächtige | |
Gestalt sichten, am passenden Outfit mit Hoodie und Zottelbart erkennbar, | |
einen jungen Tschetschenen namens Issa Karpov (Grigoriy Dobrygin). Alle | |
andern – BND, CIA und wer noch so mitmischt – wollen Karpov als | |
potenziellen Terroristen sofort verhaften. Bachmann aber will ihn als | |
„kleinen Fisch“ an der Angel baumeln lassen, um damit „den Barrakuda | |
anzulocken, der dann den Hai in die Falle gehen lässt“. Den wahren Konflikt | |
bildet also nicht der Kampf des Westens gegen den islamischen Terrorismus, | |
sondern die Unversöhnlichkeit von Bürokratie und Intelligenz. Die einen | |
wollen immer nur handeln, die anderen wollen etwas bewirken. | |
Nicht, dass dagegen etwas einzuwenden wäre. Doch in Anton Corbijns | |
Umsetzung erscheint der Konflikt seltsam altbacken. Wie schon in seinem | |
letzten Film „The American“ setzt Corbijn auf pure Atmosphäre. So ist hier | |
alles sehr stimmungsvoll und sehr elegant gefilmt (die Kamera wurde diesmal | |
von Benoit Delhomme geführt), aber außer Hoffmans Günther Bachmann bekommt | |
keine der prominent besetzten Nebenfiguren ausreichend Kontur. | |
Nina Hoss als Bachmanns nächste und wunderbar sarkastische Vertraute – | |
vollkommen verschenkt. Robin Wright als sein eisiges CIA-Gegenüber und | |
Willem Dafoe als schmieriger Banker – handlungstechnisch nutzlos. Rachel | |
McAdams als engagierte Anwältin – fast schon eine Beleidigung für ihren | |
Berufsstand. Rainer Bock, Daniel Brühl, Herbert Grönemeyer und viele andere | |
mehr – lediglich Statisten mit einzelnen Dialogzeilen. Der kettenrauchende | |
Hoffman macht es mit einem schwermütigen Blick wieder wett. | |
11 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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