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# taz.de -- Kolumne Nüchtern: Wenn man sich in Sicherheit glaubt
> David Foster Wallace, Philip Seymour Hoffman und Robin Williams – Sucht
> kann auf perfide Weise töten.
Bild: Philip Seymour Hoffman im Film A Most Wanted Man, der im September in die…
Was mich an der Auseinandersetzung mit Alkohol, die man bei uns in
Deutschland führt, oft stört, ist das mangelnde Bewusstsein für die ganz
reellen Gefahren regelmäßigen und übermäßigen Trinkens. Abhängigkeit kommt
entweder als abgeschmackte Boulevard-Story daher oder sie wird durch eine
gewisse, bei Bukowski geklaute Aussteigernostalgie gerechtfertigt. Selten
kommt zur Sprache, dass Alkoholabhängigkeit eine Krankheit ist, die tötet.
Ich habe an dieser Stelle schon einmal auf die erschreckenden Zahlen von
durch Alkohol verursachten Gewalttaten und Krebserkrankungen hingewiesen
oder auf den Umstand, dass in Deutschland mehr Menschen an Leberzirrhosen
als bei Verkehrsunfällen sterben. Aber Sucht kann auch auf perfidere Weise
töten. Sie kann Menschen auch dann umbringen, wenn man sie eigentlich in
Sicherheit glaubt.
Als sich Anfang vergangener Woche der amerikanische Schauspieler Robin
Williams das Leben nahm, hat mich das zutiefst erschüttert. Wie schon bei
David Foster Wallace oder Philip Seymour Hoffman hatte ich gewusst, dass
Williams viele Jahre lang abstinent gelebt hatte. Er war einer der Personen
des öffentlichen Lebens gewesen, die ich für mich selbst immer heranzog, um
mir deutlich zu machen, dass ein Leben ohne zu trinken die normalste Sache
der Welt sei. Nach einigen, von Alkohol und Kokain bestimmten Jahren,
suchte der Schauspieler 1983 Hilfe und wurde nüchtern.
2003, bei einem Filmdreh in Alaska, entschied er sich, wieder Alkohol zu
trinken, ein Schritt, den er später bitter bereute. Drei Jahre später
schaffte er den Sprung in die Nüchternheit erneut. Sein letztes großes
Projekt, die Fernsehserie „The Crazy Ones“ auf dem amerikanischen Sender
CBS, habe ich mir immer gerne angeschaut. Es war eine aufwendig
produzierte, wenn auch keine rundum gute Sitcom, die sich um das
Vater-Tochter-Gespann in einer Werbeagentur in Chicago drehte. Es war der
Wahnsinn, ihm zuzusehen, wie er zehnkämpferhaft wieder jene hyperagilen,
manischen Einlagen ablieferte, mit denen er berühmt geworden war.
In der Serie spielte Williams einen nüchternen Alkoholkranken. Und ein
Großteil seiner Szenen bestand aus skurrilen Witzen über frühere
Partyeskapaden und 12-Schritte-Programme. Wie auch in seinen Rollen zuvor
schien unter der Komik ein großes Reservoir an Verzweiflung zu liegen. Eine
Verzweiflung, gegen die man besonders schnell ansprechen musste. „The Crazy
Ones“ nahm kein gutes Ende. Vertraut man amerikanischen Zeitungen, verstand
sich Williams nur schlecht mit seinen Kollegen. Es gab Gerüchte über einen
Rückfall beim Dreh. Nachdem die Serie im Mai dieses Jahres abgesetzt wurde,
begab er sich für ein paar Wochen in eine bekannte Suchtklinik.
Williams Frau Susan Schneider betonte vergangene Woche, dass Williams nicht
getrunken habe, als er sich das Leben nahm. Das ist sehr wichtig. Wichtig
ist auch, dass sich die Öffentlichkeit nach seinem Tod wieder mehr mit den
tragischen Konsequenzen befasst, die Depressionen haben. Doch es ist nicht
möglich, über Williams Leben und Tod zu sprechen, ohne die folgenschwere
Krankheit zu benennen, mit der er sein Leben lang gekämpft hat.
Viele Leute, die diese Krankheit ebenfalls haben, kennen Depressionen,
Suizide und Suizidversuche. Wenn die Sprache darauf kommt, kann fast jeder
eine Geschichte darüber erzählen. Eine Geschichte darüber, wie stark
Wahrnehmung und Psyche von den Resten der Sucht gefärbt werden können. Bei
Menschen, die zu viel trinken oder einmal abhängig waren, ist die
Wahrscheinlichkeit, sich das Leben zu nehmen, um 50 Prozent höher als bei
Menschen, die dieses Problem nicht haben. Sucht ist ein Killer. Wir müssen
aufhören, davor die Augen zu verschließen.
8 Sep 2014
## AUTOREN
Daniel Schreiber
## TAGS
Alkohol
Sucht
Depression
Umzug
Alkoholismus
Philip Seymour Hoffman
Alkohol
Abhängigkeit
Arbeit
Alkoholismus
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