Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Nüchtern: Der Morgen danach
> Die Pathologie des Katers ist ein medizinisch kaum erforschtes Phänomen.
> Der größte Teil des Problems ist psychologischer Natur.
Bild: Vielleicht hilft auch eine ausgefallene Kopfbedeckung gegen einen Schäde…
Es überrascht mich immer wieder, wie stark öffentliche Trunkenheit zum
Leben in Deutschland gehört, nicht nur bei Ereignissen wie der
Fußballweltmeisterschaft. Das ist mir früher nie aufgefallen. Vielleicht
ist es daher auch nur konsequent, dass bei uns selbst der Kater ein
öffentliches Phänomen ist.
Niemand macht hier wirklich ein Geheimnis daraus, wenn er einen dicken Kopf
hat. Im Gegenteil. Es verursacht mehr Augenbrauenzusammenziehen, wenn man
zugibt, dass man eine Therapie macht oder zu buddhistischen
Meditationskreisen geht.
Obwohl so omnipräsent, ist die Pathologie des Katers ein medizinisch kaum
erforschtes Phänomen. Studien und Untersuchungen sind dünn gesät. Die
physiologischen Mechanismen der Ausnüchterung stecken voll ungelöster
Rätsel und Widersprüche. Das fängt schon damit an, dass 22 bis 23 Prozent
der trinkenden Bevölkerung so gut wie nie unter Katerschmerzen leiden, egal
wie viel sie trinken. Warum, weiß man nicht.
Anscheinend ist auch das mit der Dehydrierung, was man uns seit Jahren
erzählt, ein Märchen oder nur ein Teilaspekt des sehr viel komplexeren
Systems des postalkoholischen Zusammenbruchs. Die Forscher der britischen
Alcohol Hangover Research Group, die sich des Themas neuerdings annehmen,
gehen vielmehr davon aus, dass die Spuren des Methanols in unseren Drinks
der Hauptübeltäter sind.
## Katerheilmittel haben Placeboeffekt
Von unseren Enzymen wird es unglücklicherweise in giftiges Formaldehyd und
die nicht minder giftige Ameisensäure zerlegt. Das fühlt sich im ganzen
Körper unangenehm an und sorgt außerdem für eine beträchtliche
Immunrepression. Aber so richtig befriedigend finden die Forscher auch die
Methanol-Erklärung nicht.
Genauso unzureichend sind übrigens die Katerheilmittel. Sie sind von Kultur
zur Kultur unterschiedlich, reichen vom englischen Frühstück über die
Misosuppe bis zum Brathering, aber sie alle haben allenfalls einen
Placebo-Effekt. Das hat der niederländische Pharmazieprofessor Joris
Verster vor vier Jahren in einer bahnbrechenden Studie herausgefunden.
Konterbiere schaffen vorübergehend Linderung, weil sie den Methanol-Abbau
aufhalten. Und auch Kopfschmerzmittel, kohlenhydratreiches Essen, das
Migränemittel Tolfenaminsäure und überraschenderweise auch die Extrakte der
Borretsch-Pflanze haben positive Effekte. Aber wirklich helfen tun auch sie
nicht.
Ein Großteil des Problems scheint ohnehin psychologischer Natur zu sein,
wie der Alkoholforscher Richard Stephens kürzlich im amerikanischen
Atlantic erklärte. Katerschmerzen können ein, zwei Tage anhalten, ihre
kognitiven und emotionalen Folgen sind auch langfristig schwerwiegend.
Trotzdem trinkt man immer wieder so viel, dass es dazu kommt.
## Gegen Kater hilft nur Nüchternheit
Vor allem Menschen, die zur Abhängigkeit neigen. Sie vertragen mehr Alkohol
als andere Menschen, haben in der Regel aber auch sehr viel größere
Probleme am nächsten Tag. Als ich noch trank, betrieb ich immer einen
Riesenaufwand, um meine Katerschmerzen zu managen.
Kater sind immer das allererste Schlachtfeld der Selbsttäuschung des
Trinkenden. Je öfter man unter ihnen leidet, desto normaler fühlen sie sich
an. Erst wenn man sie für eine Weile nicht mehr hat, versteht man, wie viel
schöner das Leben sein kann, globale Fußballereignisse hin oder her.
Joris Verster beendete seine Studie mit der Schlussfolgerung, dass Hangover
nicht behandelbar seien und in absehbarer Zukunft auch keine Arznei gegen
sie entwickelt werden würde. Das beste Mittel gegen den Kater sei, entweder
moderat oder gar nicht zu trinken. Verster wusste, wie unerhört dieser
Vorschlag klang.
27 Jun 2014
## AUTOREN
Daniel Schreiber
## TAGS
Alkohol
Nüchtern
Umzug
Alkoholismus
Alkohol
Abhängigkeit
Arbeit
Alkoholismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Daniel Schreibers neues Essaybuch: Sehnsucht nach Heimat
Der Autor und ehemalige taz-Kolumnist Daniel Schreiber sucht in seinem
Essaybuch nach biografischen Brüchen und geografischen Verortungen.
Kolumne Nüchtern: Einer der größten Killer
Alkoholismus ist in Deutschland so weit verbreitet wie Diabetes – dass es
sich dabei um eine Krankheit handelt, wird gerne ignoriert.
Kolumne Nüchtern: Wenn man sich in Sicherheit glaubt
David Foster Wallace, Philip Seymour Hoffman und Robin Williams – Sucht
kann auf perfide Weise töten.
Kolumne Nüchtern: Saufen als Abkürzung
Die neuronalen Codes der Abhängigkeit bleiben ein Leben lang erhalten. Dem
muss man die Sorge um sich selbst entgegensetzen. Das hilft.
Kolumne Nüchtern: Nicht genug, so wie sie sind
Die meisten Menschen wollen sich gar nicht die ganze Zeit selbst
optimieren. Aber Zwänge sind immun gegen Fragen der Vernunft.
Kolumne Nüchtern: Immer diese Nichttrinker
Der Nüchterne, nicht der Trinker fällt auf in der Gesellschaft.
Alkoholismus gehört so selbstverständlich zum Alltag, dass er kaum
wahrgenommen wird.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.