| # taz.de -- Nachruf Mike Nichols: Liebe Lakonie | |
| > In seinen Filmen ließ Mike Nichols Paare kämpfen und scheitern. Letzte | |
| > Woche starb der Regisseur im Alter von 83 Jahren. | |
| Bild: Mike Nichols (1931-2014): Der Regisseur und Oscar-Preisträger wurde beka… | |
| Als er 2001 seinen TV-Film „Wit“ im Wettbewerb der Berlinale vorstellte – | |
| eine sensible Kontemplation über eine krebskranke Uni-Professorin –, traf | |
| man bei der Pressekonferenz auf einen so distinguierten wie scharfsinnigen | |
| Intellektuellen, dessen Faible für gesellschaftskritische Stoffe sich | |
| prächtig mit seinem trockenen Humor verband. Er habe nie verstanden, sagte | |
| Mike Nichols damals, dass man Filme oder Theaterstücke überhaupt in Drama | |
| und Komödie unterteile. | |
| Den oft lakonischen Witz, den er seinen Protagonisten auf der Bühne und der | |
| Leinwand mitgab, hatte der gebürtige Berliner, der mit acht Jahren mit | |
| seinen Eltern auf der Flucht vor den Nazis in die USA emigrierte, früh für | |
| sich entdeckt: Gemeinsam mit Elaine May trat er seit den späten 50er Jahren | |
| als erfolgreiches Stand-up-Comedy-Duo unter anderem am Broadway auf. Es | |
| ging, wie so oft, um Paarprobleme. „Ehebruch und Betrug“, darüber käme er | |
| einfach nicht hinweg, sagte Nichols. | |
| ## Oscar-Auszeichnungen | |
| Gleich in seinem ersten Kinofilm ließ er zwei Erwachsene ihre Liebeskämpfe | |
| derart wuchtig auf der Leinwand austragen, dass die Adaption eines | |
| Bühnenstücks von Edward Albee, „Wer hat Angst vor Virgina Woolfe?“, bei d… | |
| Oscarverleihung 1967 fünfmal ausgezeichnet wurde, darunter auch mit dem | |
| Oscar für die beste weibliche Hauptrolle, den Elizabeth Taylor mit nach | |
| Hause nahm. | |
| „Die Reifeprüfung“ von 1967 änderte sowohl das Leben von Hauptdarsteller | |
| Dustin Hoffman als auch das von Steven Spielberg: Der Film sei für ihn eine | |
| „Master Class“ in Inszenierung gewesen, befand Spielberg, denn wie man | |
| Szenen gleichzeitig ironisch und real hält, habe er vom Kollegen Nichols | |
| gelernt. | |
| Und wenn sich Dustin Hoffman als sexuell gleichzeitig fauler und hellwacher | |
| Collegeboy in zwei hintereinandergeschnittenen Bildern erst auf die | |
| Luftmatratze im elterlichen Swimmingpool fallen lässt und dann auf Mrs. | |
| Robinson, findet sich darin genau jene von Spielberg geliebte Ironie. | |
| Nichols bekam den Oscar für die beste Regie, und die Idee, den Soundtrack | |
| von nur einer Band mit – größtenteils – nur einem Song bestreiten zu | |
| lassen, wurde nie wieder so fabulös umgesetzt wie von Simon and Garfunkel. | |
| Aber für Nichols, der bis zu seinem Tod mit seiner vierten Frau, der | |
| Fernsehjournalistin Diane Sawyer verheiratet war, und drei Kinder mit zwei | |
| Frauen hatte, war nicht nur das Private politisch. In „Silkwood“ erzählte | |
| er 1983 die wahre Geschichte um die Laborantin Karen Silkwood, die nach dem | |
| Aufdecken von lebensgefährlichen Praktiken in einer | |
| Plutoniumaufbereitungsanlage unter nicht geklärten Umständen ums Leben kam. | |
| Seiner Hauptdarstellerin Meryl Streep bescherte er dabei mit Kurt Russel in | |
| der Rolle des Drew einen bis dato im US-Kino selten erlebten sanften, | |
| karitativen und dennoch unzweifelhaft männlichen Sidekick, der zu seiner | |
| störrischen Heldin zurückfindet. Das Glück wird am Ende nur von der | |
| bitteren Realität zerstört. | |
| ## Gesellschaftliche Verantwortung | |
| Und dass es in seiner 1996 entstandenen Kinofassung des französischen | |
| Bühnenstücks „Ein Käfig voller Narren“ (der Film erschien unter dem Tite… | |
| „The Birdcage – Ein Paradies für schrille Vögel“) neben der unfassbar | |
| komischen Szene mit Gene Hackman, der als erzkonservativer Senator in Drag | |
| und „We are family, djadadadadadadi“ singend aus der Travestiebar tanzen | |
| muss, auch und vor allem um die Notwendigkeit von Toleranz geht, daran ließ | |
| Nichols nie Zweifel. | |
| Die Folgen von HIV und Aids während der homophoben Reagan-Ära thematisierte | |
| er 2003 in der für HBO produzierten, von einem Tony-Kushner-Theaterstück | |
| adaptierten Miniserie „Angels in America“ mit Al Pacino und Meryl Streep. | |
| Der zu Unrecht meist nicht in die landläufigen Supernaturals-Filmreihen | |
| aufgenommene Werwolf-Film „Wolf“ von 1994 beschäftigte sich wiederum mit | |
| dem Thema Altern und Virilität: Nie hat ein Mann es mehr nötig gehabt, | |
| mithilfe eines Werwolfbisses seine freie und starke innere Bestie | |
| auszupacken, als der vom Schicksal gepeinigte, vom Boss gedemütigte und von | |
| der Ehefrau gehörnte Will Randall, gespielt von Jack Nicholson. | |
| Das merkt sogar unbewusst seine treulose Frau, die der Best Ager Will kurz | |
| nach dem Biss und vor der ersten Verwandlung nach langer Zeit mal wieder | |
| mit seiner Lust konfrontiert. „You animal“, sagt sie nach der heißen Nacht | |
| ironisch zu ihm, ohne zu wissen, wie recht sie hat. Am Drehbuch schrieb | |
| auch Nichols’ Bühnenpartnerin Elaine May mit. | |
| Der mehrfache Oscar-, Grammy-, Tony- und Emmy-Preisträger Nichols, der am | |
| Mittwoch letzter Woche im Alter von 83 Jahren in seiner Heimatstadt New | |
| York starb, konnte grandios menschliche Abgründe inszenieren, ohne zu | |
| menscheln, und sich gleichzeitig über all das lustig machen, vor allem über | |
| sich selbst. „Ist doch klar“, sagte er 1997 in einem Interview, „wen kann | |
| man besser beobachten, als sich selbst?“ | |
| 23 Nov 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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