# taz.de -- „Virginia Woolf“ im Schauspiel Hamburg: Zeitlos unzeitgemäß | |
> Karin Beier bringt „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ – auf die Bühne. | |
> Es wird gesoffen, geprügelt und ein reaktionäres Geschlechterbild | |
> vermittelt. | |
Bild: „Dauerpeinliches Gelage“: Devid Striesow (George) in „Wer hat Angst… | |
„Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass in dieser Vorstellung exzessiv | |
geraucht wird. Außerdem kann es zur Verwendung expliziter, nicht | |
gendergerechter Sprache kommen. Es werden lebensgefährliche Mengen | |
alkoholischer Getränke konsumiert. […] Es kommt regelmäßig zur Darstellung | |
häuslicher Gewalt. […] Wir danken für Ihr Verständnis und versichern, dass | |
unter keinen Umständen Nackte zu sehen sein werden.“ Die Warnhinweise, die | |
das Hamburger Schauspielhaus in unverkennbar lustiger Absicht ins | |
Programmheft gedruckt hat, fassen die ewige Eheschlacht „Wer hat Angst vor | |
Virginia Woolf?“ ziemlich treffend zusammen. | |
Denn eigentlich geht es in Edward Albees Broadwaykomödie von 1962 um | |
nichts: Zwei Akademikerpaare geben sich einen Abend lang die Kante, wobei | |
das ältere untereinander eine Art rituellen Wettstreit der wechselseitigen | |
Bloßstellung führt und dafür das jüngere sowohl als Publikum als auch als | |
Munition benutzt. Auf dem Spielplan signalisiert das Stück nun auch vor | |
allem heftigen Rampen-Alarm. Insbesondere Martha und George, die Gastgeber, | |
bieten exquisites Rollenfutter – befeuert von diversen Scotchs und Brandys | |
durchlaufen die beiden so ziemlich jede denkbare Schattierung auf der | |
Bühnengefühlspalette. | |
Allerdings um den Preis eines heute einigermaßen reaktionär wirkenden | |
Geschlechterbildes. Martha, die Hausfrau und vaterkomplexbehaftete Tochter | |
des Universitätspräsidenten, wirft George vor, ein Versager zu sein. Und | |
kompensiert seine, also ihre Erfolglosigkeit mit Alkohol und Affären. | |
George leistet als Geschichtsdozent anscheinend bloß Dienst nach | |
Vorschrift, während er viel lieber seine schwierige Kindheit in Romanen | |
verarbeitet, sich aber deren Veröffentlichung vom Schwiegerpapa verbieten | |
lässt. | |
## Pailettenkleid und Lehreranzug | |
Unklar bleibt außerdem, ob Sohn Jim am Stückende tatsächlich tödlich | |
verunglückt oder, was wahrscheinlicher ist, nur die gemeinsam ersonnene | |
Chimäre des eigentlich kinderlos gebliebenen Paares (noch so ein Versagen) | |
ist. Wenn allerdings in Hamburg Maria Schrader als schlagfertig-aggressive | |
Martha in Paillettenkleid und Trench auf die Bühne stürmt und Devid | |
Striesow als süß bärbeißiger George im hellbraunen Lehreranzug | |
hinterherschwankt, rückt dieses Rollenverteilung aus besten „Mad | |
Men“-Zeiten so sehr in den Hintergrund, dass man sie glatt übersehen | |
könnte. | |
Die beiden haben sich auf einem Uni-Empfang warmgetrunken und machen im | |
heimischen Loft eifrig weiter: Während George zwei Servierwägen voller | |
Alkoholika rechts und links des schlichten weißen Podests parkt, aus dessen | |
Mitte rätselhafterweise ein Baumstamm gen Bühnenhimmel ragt (Bühne: Thomas | |
Dreißigacker), kündigt Martha Besuch an. Schon stehen Nachwuchsbiologe | |
Nick und seine Frau Honey (in der Übersetzung von Martin und Alissa Walser | |
„Süße“ genannt) im Wohnzimmer. | |
## Kein zeitloses Gegenwartsstück | |
Mit dem jüngeren Paar aber gerät Karin Beiers Versuch, Albees Milieuskizze | |
ganz selbstverständlich als zeitloses Gegenwartsstück zu inszenieren, | |
endgültig in Schieflage. Von Albee komplementär zu den Älteren ersonnen, | |
ist der Jungbiologe Nick (Matti Krause) zwar ehrgeiziger als George, dafür | |
aber mit dem „dummen“ Heimchen Honey (Josefine Israel) verheiratet, das | |
obendrein nichts verträgt und kotzen muss (Triggerentwarnung: hinter der | |
Bühne). | |
Okay in der strukturellen Logik von 1962, aber 2018? Müsste da Martha nicht | |
eher eine exzentrische Germanistikdiva sein, die ihren früheren Assistenten | |
geheiratet hat und dauertyrannisiert und Nick kotzen, weil Honey die | |
Jungprofessur bekommen hat, die ihm, weil er in Elternzeit war, entgangen | |
ist? | |
Obwohl Matti Krause und Josefine Israel ihre doofen Rollen angemessen | |
stoisch absolvieren, obwohl Maria Schrader und Devid Striesow das | |
Kunststück gelingt, ein dauerpeinliches Gelage erstaunlich unpeinlich | |
komisch zu spielen, selbst akrobatische Tanzszenen ohne Würdeverlust zu | |
absolvieren und hinter der ausgestellten Aggressivität Verletzungen | |
aufscheinen zu lassen, können sie nicht darüber hinwegspielen, dass das | |
Stück mittlerweile ein echter Papiertiger ist, den auch kein noch so | |
politisch unkorrekter Drogen-Einsatz mehr lebendig macht. | |
21 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Eva Behrendt | |
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