| # taz.de -- Neuer Roman von Jan Peter Bremer: Ist das Gulasch versalzen? | |
| > Panoptikum einer Ehehölle: Jan Peter Bremer erzählt in „Der junge | |
| > Doktorand“ von Schlachten der Verachtung – mit Anteilnahme am Schicksal | |
| > seiner Protagonisten. | |
| Bild: Spezialist für das Abgründige: Jan Peter Bremer | |
| Wir müssen uns den jungen Doktoranden als Pechvogel vorstellen: Beim | |
| Reitturnier in Andalusien stürzt er vom Pferd und verletzt sich schwer. Im | |
| Krankenhaus lernt er eine hübsche Krankenschwester kennen, die er heiratet, | |
| sie erleidet aber eine Fehlgeburt und bringt sich schließlich um. | |
| Doch trotz aller Rückschläge, die das Leben für ihn bereithält, schreibt | |
| dieser außerordentliche junge Mann unverdrossen weiter an seiner Arbeit | |
| über den Maler Günter Greilach. Dessen Werke, insbesondere die frühen, hält | |
| er für so bedeutend, dass der junge Mann schließlich doch noch den Weg | |
| hinaus zur alten Mühle macht, um sein Arbeitsstipendium bei den Greilachs | |
| anzutreten. | |
| Wie in einem Groschenroman malt sich die Künstlergattin Natascha Greilach | |
| die Ankunft des jungen Doktoranden aus. Sonst passiert ja auch wenig in | |
| ihrem Alltag „am Arsch der Welt“, in dem sie gefangen ist: zwischen | |
| Eisdielenschwatz im Städtchen und dem freudlosen Zusammenleben mit ihrem | |
| Mann, dessen Erfolglosigkeit sie verachtet und dessen Lieblosigkeit sie | |
| fertigmacht. Ihr Mann Günter wiederum hält sich schlicht für ein Genie, das | |
| die Banausen (und besonders die Banausinnen!) in seiner Umgebung nicht zu | |
| würdigen wissen. Zeit, dass endlich dieser begabte Akademiker erscheint, um | |
| ihm den gebührenden Platz in der Kunstgeschichte zu bereiten. | |
| Ja, dieser junge Doktorand kann einem leidtun, als er sich im Wohnzimmer | |
| der Greilachs zum Gulasch niedersetzt – nicht ahnend, dass er bereits mit | |
| dem Verzehr des ersten Bissens Teil eines toxischen Beziehungsgeflechts | |
| wird. Allerdings hat dieser Mensch, der so jung auch wieder nicht ist | |
| (geschweige denn gutaussehend), selbst seine ganz eigenen und nicht sehr | |
| edlen Motive. | |
| Der auf [1][psychische Abgründe spezialisierte Schriftsteller Jan Peter | |
| Bremer] hat in seinem bisher größten Erfolg, „Der amerikanische Investor“, | |
| einen Mann irre werden lassen über einem nie abgeschickten Brief an den | |
| Immobilienhai, der sein Haus gekauft hat. Die Eskalation im Gehirn des | |
| Mieters war von einer solchen Rasanz, dass Bremer nicht viele Seiten | |
| brauchte. Auch „Der junge Doktorand“ ist wieder ein schmaler Band geworden | |
| – und wieder ein grandios böses Lesevergnügen. | |
| Vordergründig passiert nicht viel: Der „Doktorand“ kommt an, isst und | |
| trinkt, plaudert, schläft im Gästezimmer unterm Dach und hat am nächsten | |
| Morgen wenig Appetit. Doch was dazwischen liegt, ist eine ganze Welt aus | |
| Kränkungen, Geltungssucht und lange genährtem Hass. Fast fühlt man sich an | |
| die desolate Familie aus Tennessee Williams’ „Katze auf dem heißen | |
| Blechdach“ erinnert – doch in ganz so tragischen Dimensionen geht es bei | |
| Bremer nicht zu. | |
| ## Fieses kleines Kammerspiel | |
| Es bleibt bei einem fiesen kleinen Kammerspiel, dieses ist dafür präzise | |
| ausgearbeitet. Und sehr, sehr bundesdeutsch: Von der Frage, ob das Gulasch | |
| nun versalzen ist oder nicht, bis zum Zwetschgenbrand, der im Wohnzimmer | |
| gekippt wird, hat das Ehedrama der Greilachs oft etwas Loriothaftes: „‚… | |
| oder gehört es vielleicht zu deinen geheimen Beschäftigungen, die Zeit zu | |
| messen, die ich sonst am Morgen im Badezimmer verbringe?‘ Er warf einen | |
| lächelnden Blick zu dem jungen Doktoranden hin. ‚Ich glaube, da gibt es | |
| wirklich wichtigere Dinge.‘ ‚Natürlich!‘, rief sie und lachte auf. | |
| ‚Wichtigere Dinge gibt es immer. Was ist denn eigentlich hier los?‘, fuhr | |
| sie mit plötzlich versteinertem Gesicht fort und fächelte sich mit der Hand | |
| frische Luft zu. ‚Kein Wunder, dass ihr hier in diesem Qualm eure gute | |
| Laune verliert. Man kann euch beide ja gar nicht allein lassen. Ihr müsstet | |
| selbst mal sehen, wie ungemütlich es wirkt, wie ihr hier im Raum | |
| herumsteht.‘“ | |
| Immer tiefere Schichten der gegenseitigen Verachtung tun sich auf und immer | |
| mehr offenbart sich die Erbärmlichkeit, in die der junge Besucher | |
| hineingezogen wird, die aber auch in ihm selbst zutage tritt – bis zum | |
| furiosen Ende. Bemerkenswert, wie es Jan Peter Bremer gelingt, seine | |
| Charaktere trotz allem mit einer Zugeneigtheit und Wärme zu betrachten, die | |
| ihre Menschlichkeit in den Vordergrund rückt. | |
| Schade, dass es dieses Kammerspiel aus der Provinz, das nebenbei auch die | |
| Wichtigtuerei der Kunstwelt auf die Schippe nimmt, nicht auf die | |
| [2][Shortlist des Deutschen Buchpreises] geschafft hat. „Der junge | |
| Doktorand“ entfaltet vielleicht nicht das ganz große Weltenpanorama – doch | |
| offenbart dieses Buch viel über die Grundverfasstheit unserer | |
| Gegenwartsgesellschaft. Gott sei Dank ist es auch ein bisschen komisch. | |
| 22 Oct 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nina Apin | |
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