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# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Premiummänner in Sorge
> Durch die Woche gesurft: Die Pille danach, Mindestlohn und Rente sowie
> Männerfantasien auf der Berlinale: Top Girl von Tatjana Turanskyj.
Bild: Und der Arzt passt auf, dass da nichts Falsches passiert.
Jeder bekommt sie in der Apotheke oder in einem Gesundheitszentrum“, so
heißt es auf englischsprachigen Webseiten. Jeder in Großbritannien,
Frankreich, Griechenland – der Vollständigkeit halber müssten nun noch 24
weitere Länder aufgezählt werden. Nur in Deutschland, Polen und Italien ist
das anders. In Italien, Polen, Deutschland bekommt man, also meist frau,
die „Pille danach“ nicht einfach im Tausch gegen Geld über die Ladentheke
gereicht.
In diesen Ländern, mithin hierzulande, wollen Ärzte das von der
Weltgesundheitsorganisation seit Jahren als effektiv und unbedenklich
eingestufte Medikament eigens verschreiben und machen gerne ihren Schnitt
am Umstand, dass Frau und Mann zur Unzeit unvorsichtig waren. Im Überbau,
so sagen sie, wollten sie sicherstellen– und so hat es auch der christliche
Gesundheitsminister Hermann Gröhe formuliert –, dass die Frauen beraten
werden. Die Frauen.
Damit sie verstehen, warum das, was geschehen ist, überhaupt passiert ist.
Damit es sich nicht wiederhole. Er wolle dafür sorgen, dass sexuelle
Selbstbestimmung und Frauengesundheit „bestmöglich“ zusammenkämen.
Bestmöglich – Feuer und Wasser vertragen sich halt nicht so gut.
Der unzweifelhaft beteiligte Mann führt indessen sein Schattendasein
weiter. Niemand erwägt eine Paarberatungpflicht im Falle von ungeschütztem
Sex. Dem Herrn sei’s gedankt – wer will schon zwanghaft sein?
Frauen eine Beratung aufzuzwingen, ist ein erkleckliches Geschäft, die
finanzielle und moralische Dividende stimmt, und zwar jeweils. Der Arzt
muss nicht mehr wissen, als jeder per Suchmaschine in wenigen Minuten in
Erfahrung bringen kann, und kann sich doch als moralische Instanz
aufwerten. Also lehnt die Ärztekammer, allen voran Frank Ulrich Montgomery,
standhaft die Angleichung an internationale medizinische Standards ab.
## Die Entscheidermeute
Der Politik ist das recht, eine Pause in den doch recht trockenen
Diskussionen über Mindestlohn und Rente tut gut. Wenn man in der
Öffentlichkeit nicht über harte Politik, also Verteilungsfragen, gar
Umverteilungsfragen reden mag, dann lässt es sich saftig über
Frauengesundheit streiten.
Also fühlt sich die Entscheidermeute wohl in der zwangsberatenden Phalanx
mit Polen und Italien. Die Opposition verkündet, aus der Reihe tanzen zu
wollen, die SPD ist angeblich gespalten. Karl Lauterbach ist entschieden
für die Freigabe und erhebt die Stimme zugunsten des emanzipierten Denkens.
Das alles wird nicht reichen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Gröhe
seine Position verändern und seine Idee von weiblicher Sexualität und ihrer
Erziehung revidieren muss. Der Backlash angesichts so vieler Frauen, die
inzwischen mitreden und Spaß haben wie Männer, ist vielerorts spürbar. Das
Betreuungsgeld war nur die Vorhut.
Umso wichtiger werden mal wieder die Nischen. So nahm sich diese Woche ein
sehr sehenswerter Film landläufiger Erotik zwischen Männern und Frauen auf
ganz andere Weise an – es ist Berlinale in Berlin. „Top Girls“ von Tatjana
Turanskyj verbindet das Nachdenken über prekäre und/oder entmündigende
Arbeitsverhältnisse mit dem über Selbstbestimmung und Prostitution.
Die Kunden haben das Sagen, und die Prostituierte wird zur Darstellerin in
den von ihnen entworfenen Szenarien. Nichts daran ist kriminell, doch die
Lust an der Entwürdigung der Sexpartnerin kann dem Zuschauer leicht die
Brust zuschnüren. Wie befreiend ist es dann, dass die Kamera dieser Logik
nicht folgt, sondern konsequent den Männerkörper entblößt und in seiner
Banalität und Verletzbarkeit zeigt, ohne ihn darüber zu entwürdigen. Die
Frauen bleiben mal mehr, mal weniger angezogen.
## Gleichberechtigung ist nicht gleich Emanzipation
Am Ende hat die von Julia Hummer beeindruckend zart und angreifbar
gespielte Hauptdarstellerin den Aufstieg zur Geschichtenerzählerin
geschafft. Sie inszeniert nun die Entwürdigung ihrer Kolleginnen und
streicht dafür das Honorar ein. Gleichberechtigung ist eben nicht gleich
Emanzipation.
Darauf verweist die Regisseurin im anschließenden Gespräch gleich öfter,
worin das in Frauenbewegung und Postfeminismus erarbeitete und
durchgearbeitete Wissen mühelos einfließt und das zeigt, was sich alles
bedenken lässt, ohne die Lust zu zerstören, weder am Filmemachen noch an
erotischen Fantasien.
Und es zeigt, wie ganz und gar unbeleckt die von Gröhe und Montgomery
verteidigte Premiumkultur von solchen Suchbewegungen der Andersdenkenden
ist. Von denen, die Konflikte kollektiv und auf Augenhöhe lösen wollen,
indem sie andere Perspektiven ausprobieren, indem sie Fantasien nicht
verbieten, sondern ausloten und sich dem Abgründigen stellen.
15 Feb 2014
## AUTOREN
Ines Kappert
## TAGS
Pille danach
Hermann Gröhe
Ärztekammer
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Statistik
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Genf II
Schwerpunkt Abtreibung
Rezept
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