# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Er möchte vor allem nach Hause | |
> Von den Onkelz nach der Wende, Justin Bieber, Edward Snowden und die NSA. | |
> Das alles in einem schicken Opel Kadett. | |
Bild: Okay. Das ist eindeutig noch ein Vorwendemodell. | |
Zecher kotzt. Müller pinkelt. Und Schwessow grölt so lange in die Nacht, | |
bis jemand brüllt, er rufe gleich die Polizei: „Nur die Besten sterben jung | |
/ Du warst der Beste / Nur noch Erinnerung / Sag mir, warum.“ Niemand ist | |
tot. Wir haben nur Zeugnisse bekommen, seit Mittag trinken wir. | |
Aus einem alten Opel Kadett wimmert ein Lied der Böhsen Onkelz. Wäre Holzer | |
da, klänge das nicht so erbärmlich, in seinem Kofferraum hat der nämlich | |
nur zwei Dinge: eine riesige Box und dann noch eine, und stünden die hier | |
auf dem Beton, dann kämen tatsächlich die Bullen. | |
Eine brandenburgische Kleinstadt in den neunziger Jahren, ein Parkplatz vor | |
einem Supermarkt. Das ganze Land ist voll mit solchen Parkplätzen. Eine | |
graue steinerne Steppe, und darüber hängt das klagende Heulen der Onkelz. | |
Diese Band spielte den Soundtrack zu unserem Heranwachsen in der | |
ostdeutschen Provinz, für die Zeit nach der Wende. Und nun, im Jahre 25 n. | |
d. M., nach dem Mauerfall, will sie offenbar noch einmal zurückkommen. | |
Es gibt ein Video im Internet, in dem es dräuend gewittert, dann tauchen | |
die Zahl „2014“ auf und der Schriftzug „Nichts ist für die Ewigkeit“. … | |
erregen sich freudig auf Facebook, Zeitungen fragen, ob man sich auf dieses | |
Comeback denn freuen dürfe. Denn die Onkelz haben „Türken raus“ und | |
„Deutschland den Deutschen“ gesungen, rassistische Scheiße, einen riesigen | |
Haufen davon. | |
## Weinerliche Onkelz | |
Und diese Scheiße blieb an ihnen kleben. Es gab Versuche, sie abzustreifen; | |
ernsthaft, sagen die einen, und wieder andere bestreiten das. Die Böhsen | |
Onkelz reagierten darauf vor allem weinerlich. Das passte zu ihren Liedern, | |
und die Lieder passten zu ihnen, weil es vordringlich darum ging, sich | |
unverstanden zu fühlen, darum, dass sich nie etwas bewegte: „Wieder mal | |
’nen Tag verschenkt“. Und wenn es mal einen Rausch gab, dann folgte doch | |
nur wieder der Absturz in dieses ätzende Leben, „leere Worte / an einem | |
toten Tag / mein Hirn liegt im Nebel / zu viel Koks, zu wenig Schlaf“. | |
Musik von Leuten, die sich selbst bemitleideten – für Leute, die sich | |
selbst bemitleideten. Es ging mir oft tierisch auf den Sack. Aber manchmal | |
war es schön. Männer in kastenhaften Kleinwagen heulten nach dem zehnten | |
Bier und gestanden sich ihre Liebe, und dass nichts einen | |
auseinanderbringen könne, in Ewigkeit; und ja, morgen stehen wir wieder | |
hier, und wer am wenigsten besoffen ist, der fährt. | |
Warum diese Trauer ums eigene Dasein? Weil unsere Eltern und großen | |
Geschwister die Wende für uns erledigt hatten? Also nicht, dass wir | |
jemanden kannten, der beim Aufstand gegen das Land unserer Kindheit dabei | |
gewesen wäre. Aber irgendwer musste es gewesen sein. Jedenfalls blieb | |
danach so wenig zu tun. Und gerade junge Männer akzeptieren nur schwer, | |
dass keine Heldentaten mehr zu vollbringen sind, kein Krieg zu führen ist, | |
kein Feind erschlagen werden muss. Stattdessen singen ein paar Typen, sie | |
würden lieber stehend sterben, als kniend zu leben. Selbst Helden fühlen | |
sich in diesem Alter nicht als Helden. | |
Warum sonst duelliert sich Justin Bieber, Popstar, in Autorennen und stopft | |
sich vorher alles in den Kopf, was der Dealer des Vertrauens so im | |
Sortiment führt? Diese Woche entließ ihn ein Richter in Miami Beach auf | |
Kaution. Der Junge wird wiederkommen. Mag er auch Lamborghini fahren und | |
nicht Opel Kadett, dem Gefühl seiner eigenen Unbedeutsamkeit rast auch er | |
nicht davon. Sein Geld vervielfacht nur die Möglichkeiten, es zu versuchen. | |
## Das große Erinnern | |
Vielleicht kommen die Bösen Onkelz genau jetzt wieder, weil es Zeit für sie | |
ist. Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg, vor 75 Jahren der Zweite, | |
und dann eben auch noch 25 Jahre Mauerfall – 2014 ist das Jahr des großen | |
Erinnerns, vor allem des Erinnerns daran, in einem postheroischen Zeitalter | |
festzusitzen. Es kann schließlich nicht jeder Edward Snowden sein. | |
Und selbst der ist ein Held, der sich nicht so richtig wohl in seiner | |
Heldenrolle fühlt. Snowden ging mit seinen Feinden, den amerikanischen | |
Geheimdiensten, recht freundlich um, als er am Donnerstag auf einer | |
Internetseite zahlreiche Fragen beantwortete. Spionage sei nicht | |
grundsätzlich schlecht, sagte er. Dass Snowden den Superman gibt, wollen | |
andere. Er selbst möchte vor allem nach Hause. Sein unbedeutendes Leben | |
wiederhaben. | |
Wenn die Besten jung sterben, wer will dann schon wirklich zu den Besten | |
gehören? Als uns damals irgendwann doch die ersten Freunde abhandenkamen – | |
weil auch Opel Kadetts ausreichend schnell sind, tritt man nur fest genug | |
aufs Gaspedal, und Brandenburgs Alleen auch nur voller Bäume –, da hörten | |
wir die Böhsen Onkelz noch einmal. Es half nichts. | |
25 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Daniel Schulz | |
## TAGS | |
Justin Bieber | |
Edward Snowden | |
NSA | |
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