# taz.de -- Kolumne Der Rote Faden: Echte Männer verhandeln nicht | |
> Viele Kommentatoren sind sich einig: Her mit den Sanktionen gegen | |
> Wladimir Putin. Selten wurden Verhandlungen so sehr verachtet. | |
Bild: Allgegenwärtig: Präsident Putin, hier auf dem Flughafen in Kiew. | |
Sanktionen müssen her! Aber ganz schnell! Putin muss merken, dass er einen | |
Preis zu bezahlen hat! Dass ihn seine Aktionen zu einem Paria machen!“ – So | |
quillt es aus den Kommentarspalten der Zeitungen, so dröhnt es aus | |
Postingforen und sozialen Netzwerken. | |
Ganz unabhängig von der Frage, wie man die Situation in der Ukraine und das | |
russische Vorgehen auf der Krim beurteilen mag, macht sich ganz generell | |
gerade wieder etwas bemerkbar, was man in den vergangenen Jahren schon | |
häufiger sah: ein regelrechter Hass auf die Diplomatie, eine Verachtung des | |
Verhandelns. | |
Diplomatie, das mühsame Vermitteln zwischen unterschiedlichen Interessen, | |
der beharrliche Versuch, Gesprächsfäden nicht abreißen zu lassen, das | |
Vermögen, sich auch in die Gegenseite hineinzuversetzen – all das steht in | |
einem denkbar schlechten Licht. Wer auf Diplomatie setze, dem fehle es | |
offenbar an Entschiedenheit, an Entschlusskraft, wird insinuiert. Der habe | |
„keine Eier“. | |
Der Diplomat hat den Hautgout des Warmduschers. Das Gegenbild zum | |
schwächlichen Diplomaten ist das der Härte, der Entschiedenheit. In der | |
Machtarena sei Diplomatie eine unrealistische Illusion, während die | |
eigentliche Münze Brutalität sei. Internationale Politik wird mit | |
Männlichkeitsattributen belegt: Macht kommt eben nur aus Gewehrläufen; | |
echte Männer langen hin; reden ist was für Schwächlinge. | |
## Die Situation realistisch beurteilen | |
Oft ist das geradezu bizarr. Wer dann andeutet, man müsse versuchen, auch | |
die andere Seite zu verstehen (in dem Fall beispielsweise: Was treibt | |
Putin? Was sind die Sensibilitäten der Russen?), der steht mit einem Bein | |
schon im unmoralischen Appeasement. Die Fähigkeit, die Motive des anderen | |
zu verstehen und die Situation realistisch zu beurteilen, wird plötzlich | |
nicht mehr als Klugheit, sondern als verwerfliche Untugend gesehen. | |
Welch abstruse Blüten das zeigt, sieht man an der heute beliebten Deutung | |
der Situation: EU-Europa sei schwach, wird gesagt, während Putin kühl seine | |
Interessen verfolge und die USA eine klare Linie hätten. Dabei ist die | |
Wirklichkeit doch eher so: Putin hat sich total verkalkuliert, hat die | |
Ukraine als mehr oder weniger befreundeten Staat verloren und versucht | |
jetzt noch zu stören und die Krim für sich zu retten; das außenpolitische | |
US-Establishment bellt derweil irgendwelche Kraftmeiereien über den | |
Atlantik, die völlig irrelevant sind. | |
Die Einzigen, die in dieser Krise etwas zuwege gebracht haben, waren die | |
EU-Außenpolitiker, etwa durch die Mission von Steinmeier und Co. Aber die | |
sind halt nicht so cool. | |
## Dinge wiederholen sich | |
Der Zufall wollte es, dass ich vergangene Woche in Graz über „Die Linke und | |
die Gewalt“ diskutieren musste. Der Anlass: In Wien hatte es vor ein paar | |
Wochen bei einer Anti-FPÖ-Demo Randale gegeben, was hierzulande eher selten | |
vorkommt. Eine Gelegenheit, mal wieder über die Gewaltfaszination in der | |
Linken zu diskutieren, also die ganze Themenpalette: der Militante als | |
Zulanger, als „echter“ Linker, gegenüber dem faden Latschdemonstranten als | |
Weichei; der Streetfighter als Kultfigur; der Schwarze Block mit seiner | |
Bildsprache aus geschlossenen Reihen, Uniformität und militärischer | |
Formation; die Frage, was Gewalt und Militanz mit einem selber machen. | |
Offenbar muss jede Linkengeneration das aufs Neue diskutieren. | |
Nun gut, als Autor soll es mir recht sein: einfach verdientes Geld, wenn | |
man das, was man schon hundertmal gesagt hat, noch zum aberhundertsten Mal | |
sagen kann und es immer noch jemanden gibt, für den es neu ist. Ich musste | |
da an einen Blogpost eines Kollegen und Freundes denken, des grünen | |
Europapolitikers Michel Reimon, der unlängst schrieb: | |
„Ich bin 42. Und ich entwickle eine unangenehme Angewohnheit: Ich spreche | |
aus Erfahrung. Wenn mir jemand einen banalen Text über Privatisierungen an | |
die Pinnwand postet, antworte ich: ’Oh bitte, lass mich mit dem | |
Kindergartenliberalismus in Ruhe, da hab ich ein Buch darüber geschrieben.‘ | |
Stimmt auch. Genau genommen drei Bücher. […] Oder wenn jemand jegliche | |
differenzierte Debatte über Gewalt bei Demonstrationen hysterisch ablehnt | |
und mich auf die Seite der staatlichen Repression stellen will, […] da denk | |
ich dann: Kindchen, ich bin in Genua halb blind vom Tränengas in der | |
Tiefgarage eingekesselt gesessen, als das Blut von Carlo Guliani darüber in | |
den Pflastersteinen versickert ist. Was willst du mir über Demos erzählen? | |
[…] Erfahrung ist etwas Wunderbares. Ich fürchte nur, ich bin an einem | |
gefährlichen Punkt: Immer öfter urteile ich einfach aus Erfahrung und denke | |
nicht mehr grundlegend darüber nach, weil ich ja eh schon tausendmal | |
nachgedacht habe.“ | |
Ich finde, dass es nicht ganz so schlimm ist. Ja, die Dinge wiederholen | |
sich. Aber doch immer irgendwie anders. | |
8 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Robert Misik | |
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