| # taz.de -- Kolumne Der Rote Faden: Oberleutnant Schmidt und der Russe | |
| > Wem die Krim gehört, ist nicht so wichtig. Dass Putin hierzulande als | |
| > Kämpfer gegen den Neoliberalismus durchgeht, ist allerdings ein | |
| > Armutszeugnis. | |
| Bild: Helmut Schmidt kämpft mit Wladimir Putin um die Krim. | |
| Die Meldung der Woche kam von der dpa. Es geht nämlich endlich aufwärts im | |
| Krisenland Spanien! Das Bruttoinlandsprodukt soll 2014 um 1,2 Prozent | |
| steigen, 2015 sogar um 1,7 Prozent. Und jetzt das Allerbeste: „Die | |
| Arbeitslosenquote von derzeit 26 Prozent werde bis Ende 2015 wohl auf 23,8 | |
| Prozent zurückgehen.“ So stand es auch in der taz unter dem Titel | |
| „Wirtschaft erholt sich erstaunlich schnell“. | |
| Und der dumme, undankbare Spanier – qué pasa?! Wie reagiert er auf diese | |
| großartigen Neuigkeiten? Macht einen „Marsch der Würde“ mit am Ende mehr | |
| als 100 Verletzten, vor allem Polizisten und jugendliche Demonstranten. | |
| Warum wartet die Jugend Spaniens nicht, bis es besser wird? Oder reist | |
| einfach ihren Generationsgenossen nach, die schon in Deutschland sind, dem | |
| Wunderland der Austeritätspolitik? Ist das einfach jugendlicher Leichtsinn? | |
| So ähnlich wie bei den Demonstranten auf dem Maidan in Kiew, die | |
| tatsächlich glaubten, im Westen würde man sich ganz selbstverständlich mit | |
| ihrem Kampf für ein freies Leben solidarisch zeigen? | |
| Von Kiew aus müssen sie da auf jeden Fall sehr weit nach Westen schauen. In | |
| Deutschland [1][lobt] Helmut Schmidt die „Vorsicht der deutschen | |
| Bundeskanzlerin“. Und Helmut Schmidt weiß schließlich, was der Russe will, | |
| seit seiner Beteiligung an der mörderischen Blockade von Leningrad – auf | |
| der Seite der Bösen, nur damit bei jugendlichen Lesern keine | |
| Missverständnisse entstehen. Der Aufregung des Westens entspreche | |
| „natürlich“ die Aufregung in der russischen öffentlichen Meinung, meldet | |
| Oberleutnant Schmidt. | |
| Dass es in Russland viele Menschen gibt, die sich ihren Maidan auf dem | |
| Roten Platz wünschen; dass es viel mehr wären, die dafür offen streiten | |
| würden, wenn Russland ein Rechtsstaat wäre und kein kaputtes, verrohtes, | |
| korruptes Land, das aber auf SPD-Exkanzler eine magische Anziehungskraft | |
| ausübt – das interessiert den Strategen Schmidt nicht. | |
| Man fühlt sich unangenehm FDP-nah in diesen Tagen. War es nicht | |
| Westerwelle, der zuletzt in der Ukraine (Regenbogen)flagge gezeigt hat? Die | |
| Alt-SPD- und CDU-Kader, die linken, Linkspartei- und Leitartikeldeutschen, | |
| scheint es, mögen die Freiheit nicht (außer ihrer eigenen), sie mögen das | |
| Risiko nicht (aber Solidarität ohne Risiko gibt es nicht), sie mögen | |
| überhaupt nicht, wenn sich irgendwas ändert, was vor allem daran liegt, | |
| dass sie gelernt haben, dass mit Veränderung immer der Verlust von | |
| Privilegien einhergeht. | |
| Die aber muss man sich immer neu verdienen, hat am Mittwoch sehr richtig | |
| der Bundespräsident während einer [2][Feierstunde] für das Deutschlandradio | |
| gesagt. | |
| ## Schnell, aggressiv, böse – Onlinejournalismus | |
| Die Privilegierten mögen es nicht, dass ein Onlinejournalist, ein | |
| „[3][Kapuzenpulliträger]“ Co-Chefredakteur der alten Printtante Süddeutsc… | |
| Zeitung wird. Dabei ist es doch so: Man muss vom Journalismus nicht viel | |
| halten. Aber wenn etwas tatsächlich klassischer Journalismus ist, schnell, | |
| aggressiv, böse auf den Markt drängend wie einst die Extrablätter – dann | |
| ist es der Onlinejournalismus. Und nicht der geprantelte Besinnungsaufsatz, | |
| in dem dann halt oft auch noch geflunkert wird, ned wahr? | |
| Der Hass der Alteingesessenen auf das Neue wird sich hierzulande bald | |
| massiv noch ganz anders äußern. Jahrzehntelang galt ja als ausgemacht, dass | |
| eben nur deutsche Facharbeiter und Unterschichtangehörige rassistisch sind; | |
| jetzt, da Migrantenkinder und die junge Elite aus den südlichen EU-Ländern | |
| in die guten Jobs drängen – und wie engagiert und intelligent sie das | |
| machen! –, wird auch so manchem liberalen Professor klar, dass diese | |
| Entwicklung ja eventuell die bisher konkurrenzlose Entwicklung seines | |
| Sprösslings stören könnte. | |
| Das Gehaue um die Frauenquote ist da nur ein Vorgeschmack. Über die | |
| ekelhafte Vorstellung, die die deutsche Industrie und ihre Mietschreiber | |
| beim Mindestlohn ablieferten – nein, kein Wort mehr dazu, irgendwann | |
| reicht’s. Ekel ist aber auch ein Privileg, wie Heiner Müller einst sagte. | |
| Wobei Müller der untoten Denkschule angehörte, die nichts Schlimmeres sich | |
| denken konnte als den Kapitalismus. | |
| Womit wir wieder bei all jenen sind, die nicht kapieren, dass Putin keine | |
| Alternative zum Neoliberalismus darstellt, sondern die nächste Sackgasse | |
| der Geschichte. Besonders unangenehm wird es dann, wenn der ukrainischen | |
| Freiheitsbewegung pauschal Antisemitismus unterstellt oder an Russlands | |
| Leistung als opferreicher Hauptbezwinger des deutschen Faschismus erinnert | |
| wird. Deswegen soll man nun Putins Imperialismus gut finden? Die Krim soll | |
| demokratisch sein – ob russisch, ukrainisch, tatarisch oder türkisch, das | |
| ist relativ egal –, denn nur dann kann man sich erfolgreich gegen | |
| Zumutungen wehren: ob sie nun Putin heißen, Merkel oder IWF. | |
| 29 Mar 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.zeit.de/politik/2014-03/schmidt-krim-putin | |
| [2] http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014… | |
| [3] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/sueddeutsche-zeitung-hoodiejourna… | |
| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
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