# taz.de -- Kolumne Der Rote Faden: Deutsches Biedermeier und die Krim | |
> Von der Krimkrise mit Flug MH 370 direkt ins ZDF: Warum Putin nicht | |
> haltmachen sollte und Drogen im öffentlich-rechtlichen Pantoffelkino gar | |
> nicht gehen. | |
Bild: Ob er gleich aus der Leinwand kommt? Putin bei einer Liveübertragung auf… | |
So sehen Sieger aus. Acht Männer, greis und faltig, aber mit festem | |
Schritt. Sie tragen beutelige Hosen sowie beige und russische Fahnen, die | |
größer sind als sie selbst. Sie rufen: „Urrah, urrah, urrah!“, sie | |
marschieren, sie schwenken im Gleichschritt ein. Und dann halt. | |
Langsam, zittrig beugen sich die Glieder, sinkt die Parade zu Boden, sie | |
kniet. Vor der Statue einer Frau, es ist Katharina die Große, die russische | |
Zarin. Zwei Frauen schauen zu und lachen. Ja, so etwas passiere hier in | |
Sewastopol auf der Krim öfter: Verrückte, die wollten, dass die Halbinsel | |
wieder zu Russland komme. Man solle das nicht so ernst nehmen, auch Fremde | |
nicht. Das war im vergangenen August. | |
Es hat etwas Tröstliches, sich in einem Konflikt, der oft mit großen Worten | |
beschrieben wird – ein neuer Kalter Krieg, faschistische Machtübernahme in | |
Kiew –, sich des Kleinen, allzu Menschlichen zu versichern, weil dann im | |
Gedröhne die Möglichkeit aufscheint, alles könne doch noch einigermaßen | |
glimpflich ausgehen. | |
Am 19. März wurde der Befehlshaber der ukrainischen Marine auf der Krim in | |
einer Jogginghose von prorussischen Kämpfern, hieß es, festgenommen. | |
Vielleicht sollte das die Schwäche des Feindes zeigen: der oberste Soldat | |
des Gegners im Biertrinkeranzug. Weniger heroisch geht es nicht. | |
## Hysterie der Auseinandersetzung | |
Aber die zweite mitgesendete Botschaft ist doch, dass, wenn selbst so ein | |
auf Kampf gedrillter Kerl inmitten geladener Gewehre und eines Lynchmobs | |
sich noch derart leger anzieht, es nicht ganz so arg sein kann. So arg, wie | |
Martin Schulz, Präsident des Europaparlaments, im angesagt düsteren Ton | |
meint sagen zu müssen: Es drohe Kriegsgefahr, denn Russland werde an der | |
Krim nicht haltmachen. | |
Die Hysterie dieser Auseinandersetzung wird nicht durch sonderlich | |
progressive Propaganda befeuert. Ihr steht die Tatsache entgegen dass es | |
keine Armee braucht, um einen Krieg anzufangen, es reichen ein paar Jungs | |
mit Gewehren. In den Tagen, als noch nicht klar war, ob Jugoslawien | |
endgültig auseinanderbrechen würde, besetzte die serbisch kontrollierte | |
Armee am 4. April 1992 den Flughafen von Sarajevo. Daraufhin gab es in der | |
Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina die wohl größte Demonstration in der | |
Geschichte des Balkans – gegen einen Krieg. Schützen feuerten in die Menge, | |
zwei Frauen starben, serbische Paramilitärs und bosnische Polizei gingen | |
sich bei der Verhaftung der mutmaßlichen Täter an die Kehle, der Konflikt | |
eskalierte. Vergleiche hinken immer. | |
Auf der Krim nun wurde ein 17-Jähriger festgenommen, der am Dienstag einen | |
ukrainischen Soldaten und einen prorussischen Aktivisten erschossen haben | |
soll. Der Heckenschütze stamme aus der Westukraine, behauptet die | |
moskautreue Krimregierung. Er soll absichtlich auf Vertreter beider Seiten | |
gefeuert haben, um Chaos zu stiften. Das kann stimmen, es käme dem | |
Putin-Lager aber auch sehr gelegen, wenn es so wäre. Es würde gut zu seinen | |
Warnungen passen, Faschisten aus der Westukraine planten Provokationen auf | |
der Halbinsel. | |
Beide Versionen scheinen plausibel, vielleicht gibt es eine dritte, die | |
wahr ist, oder eine Mischung aus allem. Jede neue Meldung dazu wird den | |
Nebel jedenfalls nicht lichten können. | |
## Verspulte Verheißung | |
Schlimm genug, dass fast einen Monat nach dem Verschwinden eines Flugzeuges | |
tief drunten in Asien immer noch keiner weiß, wo es ist. In dieser Woche | |
schieben es die Suchmannschaften auf das schlechte Wetter. | |
Eine der größten Suchaktionen in der Geschichte der Luftfahrt, modernstes | |
Gerät inklusive, und trotzdem bleiben bisher nur Fragen – und Erklärungen, | |
von denen es schon einige gibt, von Terrorismus bis zu außerirdischem | |
Eingreifen. Und Hoffnung, die gibt es auch, vielleicht haben die mehr als | |
200 Passagiere ja überlebt und machen gerade ihr eigenes Inselkönigreich | |
auf, fernab vom dräuenden dritten Weltkrieg. Eine kleine, verspulte | |
Verheißung. | |
Obwohl die verspulteste Utopie natürlich wieder vom deutschen Fernsehen | |
kommt. Das ZDF möchte die US-Serie „Breaking Bad“ kopieren. Also nicht | |
kopieren, sondern irgendwie anders auf Deutsch bringen und damit an das | |
Know-how amerikanischer Erzählkunst andocken. Das hiesige Pendant zum | |
Drogenkönig Walter White soll dabei von Bastian Pastewka gespielt werden. | |
Drogen gehen im öffentlich-rechtlichen Pantoffelkino natürlich gar nicht, | |
deshalb darf Pastewka als arbeitsloser Grafiker kein Crystal Meth kochen, | |
sondern nur Falschgeld drucken. Das Ganze hat den federleichten Titel | |
„Morgen hör ich auf“ und wird so sehr Biedermeier, dass es vielleicht nicht | |
schlecht wäre, wenn Putin an der Krim nicht haltmacht. Auch der deutsche | |
Zuschauer muss gerettet werden. | |
22 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Daniel Schulz | |
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