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# taz.de -- Kolumne Der Rote Faden: Die Realität ist viel zu teuer
> Die Bundeswehr ist kaputt, selbst in Preußen funktioniert das mit der
> Ordnung nicht mehr und Indien fliegt billig zum Mars. Ein
> Wochenrückblick.
Bild: Nicht immer kommt der „Rote Baron“ allein daher
Es war ein weiter Weg von Manfred von Richthofen zu Ursula von der Leyen.
Und angesichts der Ereignisse der letzten Woche müssen wir uns diesen Weg
wohl als steten Sinkflug vorstellen. Das Fliegen war einst eine deutsche
Tugend. Heute mag die Freiheit über den Wolken zwar grenzenlos sein, aber
der Germane durchtaumelt das Himmelreich wie ein besoffener Pelikan.
Manfred von Richthofen, der „Rote Baron“, flog in Maschinen aus Holz und
Spucke so lange, bis ihn MG-Schützen und alliierte Piloten 1918 gemeinsam
aus dem Himmel schossen. Während des Zweiten Weltkrieges musste das
britische Königspaar persönlich in London bleiben, um die Bomber aus Berlin
zu stoppen. Derzeit fallen deutsche Flugzeuge einfach von alleine
auseinander.
Um sieben Ausbilder in den Irak zu bringen, brauchte die Bundeswehr vier
Flugzeuge. Eins nach dem anderen ging kaputt, Zwischenlandung in Bulgarien
inklusive. Auch die Waffen für die Kurden kamen zu spät an, die von den
Niederländern geborgte Maschine brach, kaum in Teutonenhand, sofort
entzwei.
Wenn jetzt die Russen kommen, müssen wir hoffen, dass die deutschen Piloten
weit genug fliegen können, um über Putins Reich abzustürzen. Nur so ließe
sich mit unserem Kriegsgerät überhaupt Schaden anrichten.
Und es gibt nicht einmal eine gute Erklärung. Klar, der Flieger aus Holland
musste in Leipzig landen, und da wohnen die Ossis. Und Bulgarien, auch
klar, ist eines dieser osteuropäischen Länder, die gerne etwas von
deutscher Wertarbeit abschrauben. Aber solch Analyse erhellt nicht, wieso
bei der Marine von 21 Hubschraubern des Typs „Sea King“ nur noch drei
funktionieren, von 22 „Sea Lynx“ noch vier.
Die Fregatte „Lübeck“ muss jetzt ohne Hubschrauber zur Piratenbekämpfung
nach Afrika fahren – ein Wunder, dass die anderen Staaten mit richtigen
Armeen die Bundeswehr noch mitnehmen auf so eine Tour.
Enttäuschend ist das mediale Echo. Wo bleibt der Text in der Zeit, der
fragt, ob das die neue deutsche Lässigkeit sei? Kitaplätze statt
Eurofighter – Martenstein, übernehmen Sie! Warum fragen Cicero und Welt
nicht nach den Folgen von 68 und ob der erbärmliche Zustand des Militärs
irgendwie ein Sieg der Linken sei? Muss man denn immer alles selbst machen?
## Die AfD müsste ihre Zeitmaschine anders einstellen
Und die AfD? Das ist diese Partei, die eine Zeitmaschine bauen möchte, um
ins Jahr 1950 zurückzureisen. „Mut zur Wahrheit. Wer heute in Bulgarien
landet, wacht morgen in einem Großgriechenland auf.“ Oder so. Das ist
eigentlich noch zu differenziert, aber als taz-Würstchen fehlt mir einfach
die notwendige Durchsicht für einen solchen Slogan.
Und die fünfziger Jahre waren natürlich auch nicht die große Ära deutschen
Fliegens. Der Starfighter damals, der fiel auch ständig runter, die AfD
müsste ihre Zeitmaschine anders einstellen, auf 1939 vielleicht oder,
politisch vielleicht unverfänglicher, auf 1914.
Diese neue deutsche Lässigkeit – sorry, Zeit – in der Luft paart sich
derweil mit einem ebensolchen Laisser-faire am Boden. Brandenburg, Kernland
preußischer Ordnung, sucht derzeit nach neuen Unterkünften für Flüchtlinge.
Wegen Syrien. Erst sollten die wie gewöhnlich irgendwo im Wald wohnen, an
der Grenze zu Sachsen war gerade eine Kaserne frei. Doch dann räumte die
Bundeswehr noch ein Wohnheim in einem Gewerbegebiet, das ist immerhin so
etwas wie besiedeltes Land. Also fuhr der Innenminister des Landes, Ralf
Holzschuher von der SPD, zur frisch gewählten Bürgermeisterin der Gemeinde
Werder, um ihr in einem kurzen Morgengespräch zu bedeuten, dass in zehn
Tagen 300 Flüchtlinge bei ihr einzögen.
Was unglaublich lässig war. Die Brandenburger sind derart entspannt, die
bringt eine solche Überrumpelung den Flüchtlingen gleich noch näher. Noch
viel lässiger aber war, dass der Minister in den falschen Ort gefahren war,
in Schwielowsee hätte er haltmachen müssen, aber hey, dann rief der
Minister aus Werder eben in Schwielowsee an, um der dortigen
Bürgermeisterin mitzuteilen, dass dann in zehn Tagen 300 Flüchtlinge … Die
Potsdamer Neuesten Nachrichten haben das recherchiert. Es gibt noch gute
Lokalzeitungen.
Angesichts des Irrsinns könnte man der Versuchung erliegen, alles für
Theater zu halten. Bulgarien, Leipzig, Schwielowsee – alles nur inszeniert,
um uns von etwas Großem abzulenken. So, wie die Mondlandung in Hollywood
gefilmt wurde.
Schöner Gedanke, aber unwahrscheinlich. Eine Sonde aus Indien erreichte am
Mittwoch den Mars, die Mission kostete etwa 75 Millionen Dollar. Das sind
25 Millionen Dollar weniger als die Auslagen für den Weltraumfilm
„Gravity“. Die Fiktion ist heute viel zu teuer, als dass es sich noch
lohnen würde, die Realität nachzubauen.
27 Sep 2014
## AUTOREN
Daniel Schulz
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
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