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# taz.de -- Kolumne Der Rote Faden: Wenn nichts hilft, hilft Hitler
> Es gibt das neue Genre der Cockpittürenanalyse. Suizid ist ein
> Verbrechen. Und Trauer wird besser vom Zettel abgelesen. Ein
> Wochenrückblick
Bild: Gedenkstein in der Gegend des Airbus-Absturzes.
Es gibt nichts Schwierigeres, als nicht zu erklären. Man möchte den Leuten
erklären, dass sie keine Angst vor dem Fliegen [1][haben müssen]. Das ist
immer noch so viel sicherer als Auto fahren. Man muss ihnen erklären, dass
die sogenannten Sicherheitsmaßnahmen nach 9/11 nur neue Risiken geschaffen
haben so wie diese Tür vor dem Cockpit, und in der Bundesregierung sollten
sie mal darüber nachdenken, ob die Vorratsdatenspeicherung nicht irgendwie
das Gleiche ist.
Man muss dem Leser, dem Zuschauer mal erklären, [2][wie so eine Cockpittür
funktioniert]. Und dass es einen Begriff dafür gibt, wenn ein Copilot
andere Menschen ohne ihr Einverständnis mit in den Tod reißt:
[3][Homizid-Suizid]. Ganz sicher muss man ihnen erklären, dass der Absturz
in Frankreich für den
[4][//twitter.com/niggi/status/581204080338534400:schlimmsten deutschen
Massenmord nach 1945 steht]. Wenn gar nichts mehr hilft, hilft Hitler.
Wegen der begründeten Annahme, dass ein Mann, ohne dabei den Namen seines
Gottes zu schreien, hundertfach erweiterten Suizid begeht, stehen
JournalistInnen in französischen Bergtälern herum, in denen nichts
passiert. Andere sind längst weitergezogen, nach Montabaur in den
Westerwald – dorthin, wo der Pilot Andreas L. wohnte –, um, wie es Kai
Diekmann von der Bild sagt, ein mögliches Verbrechen aufzuklären, [5][das
schlimmste seit Jahrzehnten]. KollegInnen erklären ihm, warum das nicht
geht. Voyeurismus habe nichts mit Journalismus zu tun. Was eine kühne These
ist, aber der Streit hat etwas Tröstliches, er ist rational fassbar.
Diese Texte werden folgen: Medien im Zeitalter des Internets. Schneller,
lüsterner, harte Konkurrenz. Interpretationen des Pressekodex. Richtlinie
8.1 – Nennung von Namen/Abbildungen: Die Nennung des vollständigen Namens
und/oder die Abbildung von Tatverdächtigen, die eines Kapitalverbrechens
beschuldigt werden, ist ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn dies im
Interesse der Verbrechensaufklärung liegt …
Liegt ein Verbrechen vor? Immerhin hat ein Staatsanwalt die Ermittlungen
aufgenommen, [6][aber der könnte auch von Airbus gesteuert sein], die
Franzosen haben schon früher versucht, ihre Konzerne zu schützen. Talkshow
von Maybrit Illner, ein neuer Ansatz, dem man mal nachgehen könnte. Große
Zeitleiste auf Seite 4, die fünf größten Verbrechen staatsnaher Firmen, die
der französische Staat zu vertuschen versucht hat. Gab es da nicht diesen
Konzernchef von Elf Aquitaine in Angola, der jahrelang Waffen für die
Rebellen der Unita besorgt hat?
Es ist, als malte man ein Blatt mit Buntstiften aus, aber in der Mitte
bliebe es immer weiß. Je mehr Erklärungen es gibt, desto sichtbarer wird
die, die es nicht gibt, die Antwort auf die eine Frage: Warum?
Aber was ist mit den Opfern, die es jeden Tag in Afrikasienlateinamerika
gibt? Warum trauern wir um die nicht genauso? Schmerzensmathematik.
Aufgabe: Ist das Leid eines Toten in Nigeria kleiner, gleich groß oder
größer als das eines Toten aus Düsseldorf?
Empathie ist schwierig, anstrengend. Empathie ist keine Handlung im Affekt,
kein Die-Hand-vor-den-Mund-Schlagen und auch nicht, sich vorzustellen, wie
es wohl wäre, wenn man selbst in dem Flugzeug säße, vielleicht sogar
derjenige wäre, der mit der Axt gegen die Tür drösche, immer und immer
wieder, und um einen herum da schrien alle, und es wären Kinder an Bord,
und dieses Arschloch von einem Piloten … Wie kann man so etwas nur tun,
dieses Dreckschwein … Alles verständliche Reaktionen, aber keine Empathie.
Sie hilft nicht, die eigene Angst und Verunsicherung zu beseitigen oder so
zu tun, als ginge das. Sie verlangt das Gegenteil, sich auf den Schmerz
anderer einzulassen – ohne zu vergessen, dass es nicht der eigene Schmerz
ist und Rachefantasien allenfalls den Angehörigen zustehen. Empathie ist
still, sie ist nutzlos, denn sie führt zu nichts. Sie macht keine Flugzeuge
sicherer, produziert keine griffigen Sätze auf Facebook und Twitter.
Die erhellendste Passage in einem langen Text auf Seite 3 der Süddeutschen
Zeitung vom Mittwoch beschreibt, dass auch Angela Merkel, emotionaler
Frivolitäten unverdächtig, ihre Trauer von einem Zettel abliest. „Die
Kanzlerin redet nicht frei, das macht sie nie in solchen Fällen.“
Sie sagt: „Meine Gedanken und meine Anteilnahme, auch die der gesamten
Bundesregierung, sind bei den Menschen, die so jäh ihr Leben verloren
haben.“
Braucht man dafür ein Blatt Papier? Für diesen Satz? Muss man nicht sehr
ängstlich und herzenskalt sein, um in einer solchen Situation nicht frei
sprechen zu wollen?
Es ist eine Kapitulation: die Anerkennung, wie übermächtig der Impuls ist,
eine Antwort zu produzieren, sich selbst zu erleichtern und dabei die zu
vergessen, denen Mitgefühl gebührt.
28 Mar 2015
## LINKS
[1] http://www.all-in.de/nachrichten/deutschland_welt/boulevard/Risikoforscher-…
[2] http://www.spiegel.de/panorama/germanwings-flugzeugabsturz-verriegelung-der…
[3] http://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_politik/article138827996/Warum-…
[4] http://https
[5] http://twitter.com/KaiDiekmann/status/581117505172815872
[6] http://www.spiegel.de/kultur/tv/germanwings-absturz-bei-maybrit-illner-zwei…
## AUTOREN
Daniel Schulz
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