# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Ukrainische Samurai | |
> Es war ein Angriff auf Terroristen. Nein, es war eine Razzia gegen | |
> Schmuggler. Ein Ringen zwischen Polizei und Faschisten? Ein | |
> Wochenrückblick. | |
Bild: Ukrainische Regierungstruppen in Mukatschewe. | |
Das sind gar keine Angeln. Das sind Gewehre. Eigentlich logisch, | |
schließlich trinken wir hier mit Soldaten knapp hundert Kilometer hinter | |
der Front. Aber diese langen Futterale in Tarnfarben, die habe ich zuletzt | |
als 18jähriger gesehen, da stopften wir unsere Stippen und Wurfruten | |
hinein, wenn wir wenigstens einen Belegbarsch im Käscher hatten. Schau mal, | |
wir haben etwas gefangen. | |
Sekunden nur dauert die Illusion, dann drückt mir ein Soldat eines dieser | |
Teile in die Hand, ich soll das mal in die Ecke stellen, bei weitem zu | |
schwer für eine Angel, die Form stimmt auch nicht. Die hellen Holzmöbel des | |
Zimmers sind real, seine ikeaene Nüchternheit, das angeschrammelte | |
Raufasergelb der Wände. Die beiden Männer des Rechten Sektors, hier in der | |
Ostukraine sind real, wir wohnen im selben Hotel. Ein deutscher Journalist, | |
der angeblich über ein Theaterprojekt schreibt, eine Gruppe, die im Westen | |
mit dem Hilflosattribut „ultranationalistisch“ beschrieben wird, weil man | |
sich bei „rechtsextrem“ nicht sicher ist. Es gibt ein gegenseitiges | |
Interesse. | |
Sie spielen Gitarre, Lieder vom Kampf und trauriger Liebe, eine | |
Regisseurin, eine Kamerafrau, eine Dramaturgin kommen dazu. Es gibt Wodka | |
und Wurst, die Milizionäre erzählen von der Angst vor Kämpfern aus | |
Tschetschenien, von der beschissenen Stimmung an der Front. Gedämpftes | |
Lachen, hier und da ein paar Tränen. Es ist wie am Lagerfeuer, nur sind die | |
Angeln eben Gewehre. | |
Am vergangenen Sonnabend hat es in der Ukraine wieder drei Tote gegeben. | |
Nicht im Osten, im Westen, in der Kleinstadt Mukatschewe, ein paar | |
Kilometer von den Grenzen zu Ungarn, der Slowakei und Rumänien entfernt. | |
Es schossen Mitglieder des Rechten Sektors auf ukrainische Polizisten und | |
umgekehrt, mit Granatwerfern, Maschinengewehren. Einer der Männer, die | |
damals im April im Hotel Gitarre spielten, ist ein Sprecher des Rechten | |
Sektors. Er sagt auf einer Pressekonferenz, seine Organisation habe in | |
Mukatschewe eine Basis der separatistischen Donezker Voksrepublik | |
angegriffen. | |
So weit im Westen? | |
Politikanalysten aus der Ukraine sagen, es gehe um einen Konflikt zwischen | |
dem Staat und dem Rechten Sektor, der das Gewaltmonopol dieses Staates | |
nicht anerkennt. | |
Journalisten aus der Ukraine sagen, es gehe um den seit Jahrzehnten | |
lukrativen Schmuggel in der Region. Unter anderem mit Zigaretten. | |
Abgeordnete des Parlaments in Kiew gelten als die Paten dieses Geschäfts | |
und der Rechte Sektor habe einen Teil davon übernehmen wollen. | |
Andere Sprecher des Rechten Sektors behaupten, man habe die Korruption und | |
den Schmuggel stoppen wollen. Präsident Petro Poroschenko führe ein | |
korrumpiertes Regime an. Der Innenminister solle seinen Posten räumen. | |
Wir müssen an irgendetwas glauben. Das haben die drei Künstlerinnen gesagt, | |
die dem Rechten Sektor beim Gitarre spielen zuhörten. Eine davon Jüdin, | |
alle drei mit politisch eher linken Ansichten. Es sei Krieg, im Osten | |
Putins Truppen, im eigenen Land mächtige Wirtschaftsbosse, deren Ziele | |
nicht durchschaubar seien. Irgendwem müsse man doch vertrauen. Wem also | |
glauben, dieses Mal? | |
Ja, eigentlich kann der Staat keine bewaffneten Gruppen neben Armee, | |
Polizei und Nationalgarde dulden. Aber dieser Staat ist korrupt und brutal. | |
Seine Polizisten sind beides und zwar in einem solchen Ausmaß, dass die | |
Ukraine gerade versucht, eine neue Polizei aufzubauen. Wenn die steht, will | |
man die alte abschaffen. Noch aber gibt es diese Polizei und die verdient | |
am Schmuggel in und um Mukatschewe mit. Soll man diesem Staat jetzt wieder | |
vertrauen? Einfach so? | |
Die Kämpfer des Rechten Sektors haben während des Aufstandes auf dem Maidan | |
Menschen vor den Regierungstruppen beschützt. Sie haben mit ihnen im Winter | |
gesungen, Gitarre gespielt und Wodka getrunken. Sie haben im Osten gekämpft | |
und ohne sie, das sagen auch Vertreter der Regierung, sei die ukrainische | |
Armee längst besiegt worden. | |
Manche vergleichen die Mitglieder des Rechten Sektors mit japanischen | |
Samurai, ehrenhaft und nicht korrumpierbar, um gleich danach die niedrigen | |
Wahlergebnisse und den geringen Einfluss der Gruppe zu betonen, denn so | |
ganz geheuer sind einem diese Samurai auch wieder nicht. Irgendwie muss | |
sich die Miliz finanzieren, der Krieg im Osten des Landes dauert schon | |
lange, die Währung verliert immer weiter an Wert. Was ist wenn die Spenden | |
aus der Bevölkerung dem Rechten Sektor nicht reichen? Was wenn es stimmt, | |
was seine Anführer behaupten und kein Oligarch hinter ihnen steht? Woher | |
kommt dann das Geld? | |
Irgendwann greifen solche Gruppen auf kriminelle Methoden zurück. Die linke | |
FARC in Kolumbien ebenso wie die Nationalkatholiken von der IRA in Irland. | |
Die meisten Journalisten arbeiten für Medien, die Oligarchen gehören. Wenn | |
sie etwas publizieren, liest oder hört man das, was ihre Geldgeber sagen. | |
Wem also soll man glauben? | |
Präsident Petro Poroschenko hat in dieser Woche einen Vertrauten in die | |
Gegend gesandt, in der Mukachetschewe liegt. Er soll dort Ordnung schaffen. | |
So versucht es Poroschenko schon in der Hafenstadt Odessa, mit dem | |
umstrittenen georgischen Ex-Präsidenten Michail Saakaschwili, den | |
Poroschenko aus Studienzeiten kennt. Das ist Vetternwirtschaft. | |
Wenn ihre Entsendung aber ernst gemeint ist, dann müssen es diese Männer | |
mit Staatsapparaten und Netzwerken aufnehmen, in denen das illegale | |
Geschäft Standard ist. Da ist es doch gut, wenn wenigstens persönliche | |
Loyalität zum Präsidenten sie an ihre Aufgabe bindet. Wenn sich wenigstens | |
Petro Poroschenko und seine Kumpels vertrauen, sich glauben können. | |
Oder? | |
18 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Daniel Schulz | |
## TAGS | |
taz на русском языке | |
Ukraine-Konflikt | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Ukraine | |
Rechter Sektor | |
Petro Poroschenko | |
Terrorismusbekämpfung | |
Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Ukraine-Konflikt | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
taz на русском языке | |
Flüchtlinge | |
Huthi-Rebellen | |
Trauer | |
US-Senat | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne Der rote Faden: Tanzen gegen den Terror | |
Lassen sich Mörder mit Cellos besiegen? Ist jeder Tanz ein Tritt in die | |
Eier des IS? Und was haben Furcht und Öl gemeinsam? Ein Wochenrückblick. | |
Rechtsnationale aus Ukraine und Russland: Wenn aus Feinden Freunde werden | |
Ukrainische Antifas wollen eine Gedenkkundgebung abhalten. Dabei treffen | |
sie auf Gegenwehr russischer und ukrainischer Rechtsextremisten. | |
Debatte Lage in der Ukraine: Die letzte Chance | |
15 Monate nach den Maidanprotesten befindet sich das Land im Krieg und in | |
einer Wirtschaftsmisere. Und Kiew trifft fatale Entscheidungen. | |
Jugendliche Straftäter in der Ukraine: Nationales Pathos hinter Gittern | |
„Die rote Schneeballpflanze“ ist ein Kulturwettbewerb, an dem nur | |
jugendliche Straftäter teilnehmen dürfen. Gelernt wird Patriotismus. | |
Ukraine stimmt entmilitarisierter Zone zu: Waffenabzug aus Ostukraine | |
Die Konfliktparteien in der Ostukraine verständigen sich auf einen Abzug | |
von Panzern und Artillerie. Ob die Lage sich tatsächlich entspannt, ist | |
noch unklar. | |
Gegen Kriminelle in der Südukraine: Leben im Schmuggelparadies | |
In Transkarpatien im Südwesten der Ukraine herrschen Schmuggel und | |
Kriminalität. Da soll der Präsident jetzt aufräumen. | |
Kolumne Der rote Faden: Die Militanz der Zufriedenen | |
Kann vielleicht mal ein wenig Aufregung aufkommen? Nö. Deutschland ist ein | |
Paradies, daran ändern auch Hacker, Flüchtlinge und Polen nichts. | |
Kolumne Der rote Faden: Die Herzprinzessin hält Gericht | |
Die Bundeswehr hat Gewehre, die nicht geradeaus schießen, sich aber gut | |
nach Mexiko verkaufen lassen. Die Woche als Theaterstück. | |
Kolumne Der Rote Faden: Wenn nichts hilft, hilft Hitler | |
Es gibt das neue Genre der Cockpittürenanalyse. Suizid ist ein Verbrechen. | |
Und Trauer wird besser vom Zettel abgelesen. Ein Wochenrückblick | |
Kolumne Der Rote Faden: Koranfrickeln in Rakka | |
Das Niveau der Mohammed-Verehrung sinkt, manche würden gerne Griechen | |
foltern und statt Hölle gibt es nur Guantánamo. Ein Wochenrückblick. |