| # taz.de -- Kolumne Der Rote Faden: Die Optimierung der Vergangenheit | |
| > Google glotzt einfach doof, Hitlers Kirche wird wieder aufgebaut und | |
| > Russland macht auf Sowjetunion. Ein Wochenrückblick. | |
| Bild: Google ist wie ein dummer Fisch? | |
| Das Böse ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Statt beständig und | |
| hart an der Weltherrschaft zu arbeiten, ist ihm derzeit offenbar alles | |
| egal. | |
| Die Suchmaschinenfirma Google, vulgo die NSA mit Serviceangebot, hat | |
| Datenschützern vor zwei Tagen einen Brief geschrieben über das sogenannte | |
| Recht auf Vergessen, vulgo das Entfernen bestimmter Links aus der | |
| Google-Suche. 91.000 Mal ist Google in Europa bisher um das Löschen von | |
| Verweisen gebeten worden, weil Menschen es nicht mochten, oft unangenehme | |
| Teile ihrer Vergangenheit so leicht auffindbar zu sehen. Und in der Hälfte | |
| aller Fälle hat der Konzern diese Links auch tatsächlich gelöscht. | |
| Freunde und Kollegen erzählen, wie supereinfach es Google es ihnen machte. | |
| Die einen haben Links mit der Begründung löschen lassen, auf der | |
| entsprechenden Internetseite stehe noch eine fünfzehn Jahre alte Adresse | |
| und man habe Angst, da gingen immer noch Briefe hin. Hm, schon klar. Andere | |
| erzählen, es reiche aus, dem Konzern zu schreiben, auf der verlinkten Seite | |
| stünde nicht die Wahrheit. Und zack, Link entfernt. Das soll eine | |
| ausgewachsene Datenkrake sein? Im Anglerdeutsch gibt es den schönen Begriff | |
| „Friedfisch“, für alles, was doof glotzt, zu feige ist, sich mit anderen | |
| Fischen anzulegen, und sich von jedem fressen lässt. | |
| Google, der Karpfen. | |
| Andererseits kann es Google wahrscheinlich auch egal sein, was da passiert. | |
| Die Daten verschwinden nicht. Google hat sie weiterhin. Sie verschwinden | |
| nur aus dem Bewusstsein derjenigen, die die Suchmaschine benutzen. Das | |
| Recht auf Vergessen war mal die Idee, dass das, was im Internet über uns | |
| steht, uns nicht für immer an unsere Vergangenheit bindet. Ein | |
| demokratisches, jedem zustehendes Recht auf ein Verfallsdatum seines | |
| Vorlebens im digitalen Großarchiv. Daraus wurde, dass ein Monopolist | |
| willkürlich darüber entscheidet, was wir auf Netzseiten übereinander finden | |
| und was nicht. Das ist keine Beschneidung von Macht, das ist ein Zuwachs. | |
| ## Ein billiger Trick | |
| Aber die Sucht der Menschen, die Vergangenheit als ihnen genehmes Narrativ | |
| zu erzählen, ist eine ungeheure. Die Älteren schauen auf Jüngere herab, die | |
| auf Facebook Urlaubsbilder und Glücksmeldungen posten, damit das, was | |
| dereinst mal persönliche Geschichte sein wird, einigermaßen glorios | |
| erscheint. Sie selbst betätigen sich handfester und bauen lieber gleich die | |
| Realwelt zur Postkarte um. | |
| In Berlin wird das Stadtschloss wieder aufgebaut, die Frauenkirche in | |
| Dresden ist es schon. In Potsdam soll eine vom sogenannten Soldatenkönig | |
| errichtete Kirche wieder her, in der Adolf Hitler sich im März 1933 mit | |
| Reichspräsident Paul von Hindenburg als Bewahrer preußischer Traditionen | |
| feiern ließ. Die Garnisonkirche brannte während des Krieges aus, in der DDR | |
| wurde die Ruine gesprengt. Die Begründung für solche Wiederaufbauten ist | |
| letztlich immer die gleiche: Sah doch gut aus, was die damals gemacht | |
| haben. Geschichte wird mit nostalgischer Rührseligkeit verwechselt, Kunst | |
| mit Kunsthandwerk. | |
| In dieser Woche hatte das Potsdamer Stadtparlament zu entscheiden, wie es | |
| mit über 14.000 Unterschriften von Gegnern des Wiederaufbaus umgeht. Die | |
| regierende Mehrheit aus SPD, CDU und Grünen ist für die Kirchenkopie und | |
| hätte also gegen das Anliegen des Bürgerbegehrens stimmen müssen. Tat sie | |
| aber nicht. Sie enthielt sich, womit das Bürgerbegehren eine offizielle | |
| Mehrheit bekam. Ein billiger Trick, um einen Bürgerentscheid zu verhindern, | |
| sich die öffentliche Auseinandersetzung zu ersparen. Klingt vielleicht | |
| kompliziert, ist aber einfach nur Feigheit. | |
| Das Bestürzende am Wiederaufbauwahn ist die geistige Ödnis, die sich nichts | |
| Besseres vorstellen kann, als den öffentlichen Raum mit Dingen zu füllen, | |
| die schon Autokraten super fanden. Solchen, die noch ordentlich Menschen | |
| knechten durften, traut man auch einen Sinn für das Schöne zu. Selbst | |
| hingegen traut man sich gar nichts. | |
| Aber so ist das mit dem Narrativ von der Vergangenheit, der persönlichen | |
| und der erweiterten eigenen, also deutschen oder mithin preußischen. Es | |
| muss an ihrer Optimierung gearbeitet werden, und diese Mechanik lässt vom | |
| absolutistischen Gewaltherrscher nur noch den kunstsinnigen Bauherrn übrig. | |
| Vergangenheitsverschönerung ist natürlich kein deutsches Privileg. In | |
| Russland etwa versucht die Führung angesichts der schärfer werdenden | |
| Sanktionen die Bevölkerung auf die Zeiten des Sowjetreichs einzuschwören. | |
| Damals sei man schließlich auch autark gewesen und habe alles selbst | |
| produziert. Davon kam dann nur nichts in den Läden an. Mal sehen, inwieweit | |
| sich Menschen die unangenehme jüngste Vergangenheit als Zukunft verkaufen | |
| lassen. | |
| 2 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Schulz | |
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