# taz.de -- Kolumne Roter Faden: Die Proteste hören einfach nicht auf | |
> Durch die Woche gesurft: Die Türkei ist wieder auf der Straße, Merkel | |
> soll die Krim-Krise eindämmen – und für die Syrer ist weiter keine Hilfe | |
> in Sicht. | |
Bild: Proteste in Istanbul am 12. März 2014 anlässlich des Todes von Berkin E… | |
„Erste Protestdemo in Syrien“, meldete dpa am 15. März 2011. In Damaskus | |
wagen sich Studierende auf die Straße. Sie wollen keinen Umsturz, sondern | |
„nur“ das Recht, sich als Mensch fühlen zu können. Als jemand also, der | |
Rechte gegenüber dem Staat geltend machen kann und auch eine eigene | |
Meinung. | |
Zehn Tage zuvor hatte die Polizei in der Stadt Daraa im Südwesten des | |
Landes und an der Grenze zu Jordanien eine Gruppe von 14 Jungen im Alter | |
zwischen neun und 15 Jahren verhaftet. Die Kinder sollen den Spruch: „Das | |
Volk will das Regime stürzen“, an Wände gesprüht haben. Da griff der | |
Assad-Klan hart durch, ließ Knochen brechen und schickte die Gefolterten | |
zurück zu ihren Eltern. Ein Exempel war statuiert | |
Doch diesmal bewährte sich die Einschüchterungstaktik nicht: Der 18. März | |
wurde zum „Freitag der Würde“ erklärt. Die Polizei schoss scharf in die | |
Demonstration, vier Menschen starben. Human Rights Watch schreibt im Juni | |
2011: „Seit mehr als zwei Monaten morden und foltern syrische | |
Sicherheitskräfte ungestraft ihr eigenes Volk. Das muss aufhören. Wenn die | |
Regierung keine entsprechenden Schritte einleitet, muss der | |
Weltsicherheitsrat dafür sorgen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft | |
gezogen werden.“ | |
Drei Jahre später hat die UNO aufgehört die Toten zu zählen. Es kursiert | |
die Zahl von 140.000 Opfern, neun Millionen Syrer seien auf der Flucht, 6,5 | |
davon im Land. Vor Beginn des Volksaufstands lebten nach offiziellen | |
Angaben 20 Millionen Syrer in Syrien. | |
Die westliche Öffentlichkeit hat sich an die Zahlen gewöhnt, ebenso an die | |
Bilder von vergasten oder verhungerten Kindern. Syrien ist zu einer kaum | |
Aufsehen erregenden, zu einer der größten humanitären Katastrophen der | |
Gegenwart geworden – und zum Symbol für das totale Scheitern der hohen | |
Diplomatie. Die „Friedens“konferenzen Genf I und II endeten ohne Ergebnis, | |
Assad lässt gerade nächste Wahlen vorbereiten, während seine Luftwaffe | |
weiterhin Fassbomben über Wohngebieten abwirft. Doch trotz des Horrors und | |
vielleicht auch deswegen: Syrien rutscht immer wieder aus dem Fokus. Es | |
gibt so viele Proteste überall, sie hören einfach nicht auf. | |
## Brot mit Trauerflor | |
So ging diese Woche auch in der Türkei die Zivilgesellschaft wieder auf die | |
Straße. Der Tod des 15-jährigen Berkin Elvan, der beim Brotholen von einer | |
polizeilichen Tränengasgranate getroffen wurde, ließ die Wut auf die | |
Regierung Erdogan hochkochen. Noch ist nicht ausgemacht, ob seine Partei, | |
die AKP, die kommenden Kommunalwahlen verlieren wird. Die meisten Türken, | |
zumal die jungen, lehnen auch die Oppositionsparteien als zu korrupt ab, | |
viele werden nicht wählen gehen. Eine politische Klasse, die jedes | |
Unrechtsbewusstsein verloren hat, kann ihnen gestohlen bleiben. | |
Womit wir bei der Ukraine wären, dem Land, auf das sich gerade die meisten | |
Kameras richten. Wie im Falle Syriens werden die berechtigten Proteste der | |
Bevölkerung instrumentalisiert, um die Interessen der jeweiligen Staaten zu | |
sichern. Der Konfrontationskurs zwischen den USA und Russland zeugt von | |
einer grandiosen Strategielosigkeit der Mächtigen. | |
Doch diesmal ist die allgemeine Reaktion nicht von Gleichgültigkeit | |
durchtränkt. Es purzeln die dramatischen historischen Vergleiche, | |
Weltkriegsgefahren werden an die Wand gemalt, und auch nüchterne Gemüter | |
besorgt die breitbeinige Strategielosigkeit in Moskau, Brüssel und | |
Washington. Nun soll Angela Merkel vermitteln. In ihrer Regierungserklärung | |
setzte sie weitgehend auf Deeskalation und man hofft, dass ihr das gelingt. | |
## Kalter Krieg reloaded | |
Für Syrien bedeuten die sich erneut verhärtenden Fronten zwischen den USA | |
und Russland, dass der Zivilbevölkerung weiterhin niemand zur Hilfe kommen | |
wird – weder im Land noch in den Flüchtlingslagern der angrenzenden Länder. | |
Auch das reiche Deutschland bleibt bei seiner Linie und nimmt nur | |
handverlesene Flüchtlinge auf, am allerliebsten, wenn bereits in | |
Deutschland lebende Angehörige für sämtliche Kosten aufkommen. | |
Der syrische Filmemacher Talal Derki, dem mit „Homs – ein zerstörter Traum… | |
gerade ein eindrucksvoller und inzwischen vielfach ausgezeichneter | |
Dokumentarfilm gelungen ist, sagt düster: „Syrien wird ein neues | |
Afghanistan werden.“ Der Weltgemeinschaft ist es damit gelungen, ein Land | |
innerhalb von nur drei Jahren fast vollständig zerbomben zu lassen, sodass | |
die Islamisten aus aller Welt jetzt leichtes Spiel haben. Glückwunsch! | |
## Mensch, Uli! | |
Bleibt, sich am hiesigen Rechtsstaat zu freuen. Er ist aufgewacht. Uli | |
Hoeness wurde zu dreieinhalb Jahren Haft wegen Steuerhinterziehung | |
verurteilt und verzichtet auf die Revision. Er geht ins Gefängnis. Und der | |
FC Bayern München, was macht der jetzt? | |
15 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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