| # taz.de -- Interview mit Adopt a Revolution: „Mitleid hilft niemandem in Syr… | |
| > Als der Arabische Frühling begann, reiste Elias Perabo zum ersten Mal | |
| > durch Syrien. Er fand Kontakt zu Aktivisten, denen er mit der Initiative | |
| > "Adopt a Revolution" seitdem von Berlin aus den Rücken stärkt. | |
| Bild: Kämpfer vor den Resten einer Kleinstadt in Südsyrien | |
| taz: Herr Perabo, wann waren Sie das letzte Mal in Syrien? | |
| Elias Perabo: Im Mai. Wir haben im Nordosten des Landes, der mehrheitlich | |
| von Kurden bewohnt ist, für zwei Wochen verschiedene Projekte besucht. Es | |
| war uns wichtig, mit unseren Partnern zu sprechen, zusammen zu essen und | |
| persönlich zu sehen, was vor Ort passiert. | |
| Wie ging es den Menschen dort? | |
| Sie leben unter sehr schlechten Bedingungen. Man weiß abstrakt, dass es | |
| keinen Strom gibt und kein Wasser. Aber es ist etwas anderes, dort zu sein | |
| und das in der Realität wahrzunehmen. Zu sehen, wie Frauen Plastik | |
| verbrennen, um Brennstoff zu haben und Essen kochen zu können. Oder wie | |
| überall schwarze Rauchfahnen aufsteigen, weil die Menschen wegen des | |
| fehlenden Treibstoffs versuchen, ihren Diesel selbst zu raffinieren. Abends | |
| ist nur Hunderte Meter entfernt auf der türkischen Seite alles erleuchtet, | |
| während Städte mit hunderttausend Einwohnern auf der syrischen Seite im | |
| Dunkeln liegen. Es ist einfach anders zu erleben, wie zermürbend die | |
| Situation wirklich ist. | |
| Was heißt das genau? | |
| Es fehlt einfach an allem: es gibt kaum Elektrizität, es gibt kaum | |
| lebenswichtige Medikamente für chronisch Kranke und kaum Unterstützung für | |
| die Zivilgesellschaft. Die von uns besuchten Gebiete sind im Vergleich zum | |
| Rest des Landes sehr sicher und einfach zu erreichen. Hilfe und | |
| Unterstützung wären problemlos möglich. Politisch ist das aber von | |
| Deutschland und dem Westen wegen der Dominanz der syrischen PKK nicht | |
| gewollt. Zu sehen, wie der Westen hier aufgrund geostrategischer Interessen | |
| Menschen absichtlich verelenden lässt, war wirklich beschämend. | |
| Sie selbst konnten aus dem Bürgerkrieg heraus wieder nach Berlin | |
| zurückkehren, in eine funktionierende Infrastruktur, in Ihr gewohntes | |
| Leben. Was macht das mit Ihnen? | |
| Es lässt mich stärker darüber nachdenken, wie ich hier lebe. Gerade in | |
| Momenten großer Freude, etwa auf einer Party, fange ich an, meine Situation | |
| mit der meiner Bekannten und unserer Partner in Syrien zu vergleichen. Das | |
| ist schwer – auch während der Arbeit: Wie kann ich den Skype-Call beenden, | |
| in dem es darum geht, wie die Leute an Lebensmittel kommen – und ich gehe | |
| jetzt raus zum Mittagessen? Aber es bringt niemandem was, Mitleid zu haben | |
| oder Trübsal zu blasen. | |
| Was machen Sie dann also? | |
| Ich komme auf den Anspruch zurück, mit den Leuten solidarisch zu sein. | |
| Leider gibt es in Deutschland mittlerweile häufig die Haltung: Die | |
| Situation in Syrien ist so schlimm, man kann einfach nichts mehr machen. | |
| Und wir sagen eben: Doch, wir können etwas machen. Wir können praktische | |
| Solidarität leisten und vor allem die Leute nicht allein lassen, die dem | |
| Krieg etwas entgegenhalten, die versuchen, inmitten dieser ganzen | |
| Katastrophe etwas aufzubauen. | |
| Wie kamen Sie selbst denn überhaupt ins Land? | |
| Wir können wegen unserer Arbeit nicht mehr offiziell nach Syrien einreisen. | |
| Es blieb nur der inoffizielle Weg über die Türkei. | |
| Einfach rübergegangen? | |
| (lacht) Na ja, gerannt. | |
| Als Sie das erste Mal in Syrien waren, war das noch einfacher… | |
| Ja, das war vor drei Jahren, im Frühjahr 2011. Damals konnte ich einfach | |
| von Beirut nach Damaskus mit dem Bus fahren. Ich hatte mir zwei Monate frei | |
| genommen, um durch den Libanon und Syrien zu reisen. | |
| Welchen Eindruck hatten Sie damals vom Land? | |
| Es war faszinierend. Die Leute waren unglaublich herzlich und | |
| gastfreundlich, ich wurde mehrfach von Menschen nach Hause eingeladen. | |
| Trotzdem kam das Gespräch schon damals immer an einen Punkt, an dem | |
| geschwiegen wurde. Niemand, der mich eingeladen hatte, kein Taxifahrer, mit | |
| dem man über alles Mögliche reden konnte, hat jemals politische Themen | |
| angesprochen. | |
| Zu der Zeit hatte der Arabische Frühling gerade begonnen. | |
| Kurz bevor ich gefahren bin, waren erste Aufstände in Tunesien, dann in | |
| Ägypten. Damals sagten noch alle, Syrien ist sicher, dort wird nichts | |
| passieren. Das hat sich ein paar Tage vor meinem Abflug aus Berlin | |
| geändert: Zum ersten Mal gab es auch in Syrien Demonstrationen. | |
| Haben Sie vor Ort etwas davon mitbekommen? | |
| Zuerst hat man nichts gesehen. Ich bin einmal quer durchs Land gereist, von | |
| Damaskus über Deir Sur nach Homs und Aleppo. Anfangs waren die | |
| Demonstrationen klein und kaum sichtbar. Aber wenn in Charlottenburg eine | |
| Demo ist, bekommen die Leute in Kreuzberg ja auch nichts davon mit. Als ich | |
| jedoch ein paar Wochen später noch mal in Damaskus war, sah man schon die | |
| ersten Leute in Zivil, die Maschinengewehre trugen. Es war klar, das da | |
| etwas passiert. Und dann bin ich da so ein bisschen reingerutscht. | |
| In die Revolution reingerutscht… | |
| Ich hatte durch Zufall über Bekannte Kontakt zu einem Syrer, Rami Nakle. | |
| Als ich ihn zu Beginn der Revolution im Libanon traf, hatte er gerade Hals | |
| über Kopf Syrien verlassen, um seiner Verhaftung zu entgehen. Er war Teil | |
| eines AktivistInnennetzwerks, das schon vor der Revolution aktiv war, und | |
| hatte Kontakte zu vielen Gruppen im Land. Ich fand es wahnsinnig spannend, | |
| einen Einblick zu bekommen, was die Leute trotz der Lebensgefahr auf die | |
| Straße treibt, welche Motivation sie haben. Etwas später habe ich im Netz | |
| einen Beitrag der BBC zu den fünf wichtigsten syrischen Bloggern und | |
| Aktivisten gesehen. Auf dem zweiten Bild erkannte ich meinen Bekannten | |
| Rami. | |
| Haben Sie ihn wiedergetroffen? | |
| Ja, und ich habe ihm meine Unterstützung angeboten. Wir wurden sehr schnell | |
| gute Freunde. Über ihn habe ich Kontakt zu syrischen Aktivisten und | |
| Netzwerken bekommen und sie anfangs auch aus Beirut vor allem im Bereich | |
| der internationalen Medienarbeit unterstützt. | |
| Sie haben damals eigentlich als Campaigner bei einer NGO im Klimaschutz | |
| gearbeitet. | |
| Ja, aber ich war in einer Phase, in der ich eine neue Perspektive brauchte. | |
| Eigentlich wollte ich stärker zum Thema Energiewende arbeiten, aber dann | |
| stand wegen meiner Erfahrungen in Syrien und mit dem Arabischen Frühling | |
| plötzlich etwas Neues im Vordergrund. | |
| Hatten Sie denn einen Bezug zu Syrien? | |
| Nein, ich hätte ein paar Monate zuvor noch nicht einmal die drei größten | |
| Städte im Land benennen können. Aber mitzuerleben, wie massenweise Menschen | |
| für ihre Selbstermächtigung aufstehen, wie sie die Angst der | |
| jahrzehntelangen brutalen Unterdrückung überwinden und den Mut besitzen, | |
| trotz Lebensgefahr auf die Straße zu gehen, war absolut prägend. Ich hatte | |
| vorher bereits immer wieder transnationale Bewegungsarbeit gemacht, etwa in | |
| Klimagerechtigkeitsfragen und zur Flüchtlingspolitik. Angesichts dieses | |
| Umbruchs praktische Solidarität zu leisten war für mich selbstverständlich. | |
| Das ist auch die Grundmotivation hinter „Adopt a Revolution“. | |
| Wie kam es zur Idee, „Adopt a Revolution“ zu gründen? | |
| Als ich im September 2011 wieder in Damaskus war, hatte sich die Situation | |
| stark verändert, die Atmosphäre war extrem angespannt. Aus den für Syrien | |
| typischen Rundbögen über den Straßen waren die Bilder der Assads | |
| rausgebrochen. An den Straßenrändern lagen verbrannte Autowracks, auf | |
| manchen Dächern Scharfschützen. Wir haben dann mit mehreren Aktivisten | |
| überlegt, wie Unterstützung vom Ausland her aussehen könnte. Die Aktivisten | |
| kamen aus den Vororten, aus kleineren Städten und Dörfern. Sie haben sich | |
| in Bürgerkomitees organisiert und traten damit zum allerersten Mal | |
| politisch in Erscheinung. So entstand die Idee, eine Brücke zu bauen von | |
| Zivilgesellschaft zu Zivilgesellschaft. Das Ziel war, den unbewaffneten | |
| Widerstand zu unterstützen, die lokalen Strukturen, die etwas gegen die | |
| militärische Eskalation im Land tun. | |
| Das haben Sie dann gemeinsam mit Freunden von Berlin aus organisiert – mit | |
| Politikwissenschaftlern, Informatikern, Webdesignern. | |
| Ja. Die Frage hier war: Wie schafft man es, einen Bezug aufzubauen zum | |
| Arabischen Frühling, den man nur aus dem Fernsehen kennt, zu dem man von | |
| hier aus aber letztlich keinen Kontakt hat? Und die Idee war: Wer eine | |
| Patenschaft für ein Komitee übernimmt, wer Geld für ein konkretes Projekt | |
| spendet, ist beteiligt. | |
| Klingt nach einer gewissen Anfangseuphorie. | |
| Vielleicht schwang das mit. Andererseits war schon im Herbst 2011 absehbar, | |
| dass, je länger der Konflikt dauern würde, er umso gewaltsamer werden wird. | |
| Uns war von Anfang an klar, dass das syrische Regime alles vernichten wird, | |
| was sich ihm in den Weg stellt. | |
| Warum haben Sie angesichts dessen gerade auf den unbewaffneten Widerstand | |
| gesetzt? | |
| Wir waren uns des Dilemmas bewusst: Wir stehen auf der Seite des zivilen, | |
| nichtmilitärischen Widerstands gegen ein Regime, das jeden Widerspruch | |
| auslöschen will. Andererseits ist es gerade der unbewaffnete Widerstand, | |
| mit dem das Regime bis heute am wenigsten umgehen kann. Deshalb hatte auch | |
| das Regime von Anfang an ein großes Interesse an einer Bewaffnung der | |
| Opposition, um sie militärisch bekämpfen zu können. Leider ist diese | |
| Rechnung aufgegangen – auf die Gewalt folgte auch von der Opposition | |
| Gegengewalt. Trotzdem ist der zivile Widerstand auch heute wichtig. Und wir | |
| legen großen Wert darauf, dass wir nur den unbewaffneten Teil der | |
| Opposition unterstützen. | |
| Gibt es den denn noch in Syrien? | |
| Die Rolle des zivilen Widerstands hat sich sehr verändert. Der Aufstand als | |
| solcher ist politisch vorerst gescheitert. Trotzdem kommen regional und | |
| lokal immer wieder starke Ansätze von Zivilgesellschaft durch: Menschen, | |
| die protestieren, die sich organisieren. Wir unterstützen zum Beispiel ein | |
| Zentrum, in dem es Kurse zur Traumaverarbeitung gibt. Oder eine selbst | |
| organisierte Schule in einem Stadtteil von Damaskus, der seit Monaten | |
| bombardiert wird. | |
| Dass die Situation so eskalieren würde, wie es heute der Fall ist, war | |
| anfangs trotzdem nicht absehbar. Mehr als neun Millionen Menschen sind auf | |
| der Flucht, die Vereinten Nationen haben aufgehört, die Toten zu zählen. | |
| Wenn wir heute mit den Aktivisten vor Ort sprechen, sagen die: Schlimmer | |
| hätte es nicht kommen können. Leider standen die Chancen sehr schlecht, | |
| dass es überhaupt hätte anders kommen können. Dadurch, dass die Revolution | |
| sehr dezentral begann – in kleinen Orten, in ländlichen Gebieten –, war sie | |
| extrem unorganisiert. Und diejenigen Personen, die so etwas wie | |
| Führungsqualitäten gehabt hätten auch für den unbewaffneten Widerstand, | |
| verschwanden schnell in den Gefängnissen des Regimes. | |
| Was hat das für Ihre Arbeit bedeutet? | |
| Die hat sich ziemlich schnell ziemlich stark verändert. Am Anfang haben wir | |
| Demos, Sit-Ins und Kampagnen unterstützt. Inzwischen sind es vor allem | |
| Gruppen, die einfach mit dem Überleben beschäftigt sind. Im | |
| eingeschlossenen Teil von Damaskus, der seit Monaten systematisch | |
| ausgehungert wird, haben wir zum Beispiel Kontakt zu Medienkomitees. Wir | |
| versuchen, ihnen die Mittel bereitzustellen, mit denen sie auf ihre | |
| Situation aufmerksam machen können. Und wir arbeiten eben mit Projekten | |
| zusammen, die sich mit der Zukunft beschäftigen. | |
| Welche Rolle spielt Berlin bei Ihrer Arbeit? | |
| Viele syrische Aktivisten fliehen hierher und nehmen Kontakt zu uns auf. | |
| Dadurch konnten wir wiederum Leute in Syrien erreichen, die für den Kontakt | |
| mit den Netzwerken sehr wertvoll für uns sind. | |
| Sind sie hier sicher? | |
| Wir haben unser Neuköllner Büro nicht ohne Grund nie so richtig öffentlich | |
| gemacht. Das hat auch mit der politischen Geografie des Bezirks zu tun: | |
| Hier gibt es sehr unterschiedliche Strömungen, die Hisbollah ist eine | |
| gewisse Größe. Wir sind da sehr vorsichtig. Ein Beiratsmitglied ist in | |
| seiner Wohnung mal zusammengeschlagen worden, es ist ungeklärt, von wem. | |
| Haben Sie noch Freunde in Syrien? | |
| Von den Aktivisten der ersten Stunde gibt es nur sehr wenige, die das | |
| Regime überlebt haben und im Land geblieben sind. Die meisten, die ich vom | |
| Anfang her kannte, sind inzwischen entweder gestorben, in den Gefängnissen | |
| verschwunden oder im Ausland. Vor vier Monaten ist eine der zentralsten | |
| AktivistInnen, die Menschenrechtsanwältin Rasan Saitouneh, in den Vororten | |
| von Damaskus von Unbekannten entführt worden. Ich kannte sie auch … | |
| (korrigiert sich) ich kenne sie. Das war ein extremer Schock. | |
| Was machen Sie, um so etwas zu verarbeiten? | |
| Wir haben erst mal versucht, Aufmerksamkeit herzustellen – im Wissen | |
| allerdings, dass das kaum Auswirkungen auf den betroffenen Menschen vor Ort | |
| hat. Von Rasan haben wir bis heute kein Lebenszeichen. Es ist eine ziemlich | |
| schwierige und prägende Erfahrung, diese konkrete Konfrontation mit dem | |
| Tod, und dabei zu merken, wie absolut hilflos und wehrlos man ist. Deine | |
| Partner stehen unter Beschuss – und du kannst nichts für sie tun. Das ist | |
| eine Erfahrung der totalen Ohnmacht. Und trotzdem ist klar: Es gibt kein | |
| Zurück mehr. | |
| Können Sie zwischen Privatem und Beruflichem noch trennen? | |
| (lacht) Schwierig. Manchmal fahre ich weg, ohne Internet, ohne erreichbar | |
| zu sein. So etwas wie einen Feierabend gibt es oft nicht mehr, dafür ist | |
| die Brisanz einfach zu groß. Das liegt nicht nur an mir, sondern auch an | |
| den Leuten, die mich aus Syrien anschreiben, wenn ich abends online bin. | |
| Man hatte sie tagelang nicht erreicht, und dann melden sie sich mit dem, | |
| worüber sie eben gerade reden müssen. Das können schreckliche Bilder sein | |
| oder Nachrichten von Verhaftungswellen oder auch mal total gute Sachen. Das | |
| kann sehr schwierig sein – aber es ist zugleich sehr bereichernd. | |
| Am 21. März erscheint in der taz ein sechsseitiges Dossier zu Syrien und | |
| der deutschen Außenpolitik. | |
| 15 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Patricia Hecht | |
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