Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Roter Faden: Märchen, Norm und Abweichung
> Geht es bald nicht mehr darum, ob wir überwacht werden, sondern nach
> welchen Normen uns ein Programm als Abweichung markiert?
Bild: Die Frage nach dem „Wer“ lässt sich beim Drohnenprogramm des CIA kau…
Die Geschichte von Salem ist ein bitteres Märchen. Er, ein Geistlicher,
predigt in der Moschee seines Dorfes gegen al-Qaida, gegen die extremen
Ansichten der Terroristen. Eine Woche später kommen drei unbekannte Männer
in das Dorf, in Salems Moschee, sie suchen nach ihm. Weil er Angst hat,
dass diese Männer Rache für seine Predigt nehmen wollen, ruft er seinen
Sohn herbei, einen Polizisten. In einem nahen Palmengehölz treffen die fünf
aufeinander. Und sterben. Durch den Angriff einer US-amerikanischen Drohne.
Er habe auf seinem Balkon zu Abend gegessen, erzählte Faisal Ahmed bin Ali
Jaber einigen Abgeordneten des US-Kongresses am vergangenen Dienstag, da
habe er ein Licht am Himmel aufblitzen sehen und dann einen Krach gehört,
als wollten „die Berge um uns herum das Dorf unter sich begraben“.
Es war sein Schwager, der an diesem Augusttag im Jahr 2012 starb, und sein
Neffe ebenso. In den Berichten über das Treffen am Dienstag von
Al-Dschasira Amerika und anderen Medien streiten Juristen darum, ob das
Töten per Drohne internationalem Recht entspreche – oder ob dieses sich den
Realitäten des 21. Jahrhunderts anpassen müsse. Faisal Ahmed bin Ali Jaber
interessieren nur zwei Fragen: Warum? Und: Wer?
Wer hat es getan? Und Warum hat er es getan?
Vielleicht war es gar nicht so, wie dieser Mann erzählt, schwer zu sagen,
was in der jemenitischen Provinz Hadramaut so passiert. Allein schon die
Namen: Hadramaut, das Dorf heißt Kashamir – die klingen wie aus Tausend und
einer Nacht. Und für das Gewissen eines jeden Westlers, zu dessen
Verteidigung solcherlei des Öfteren geschehen soll, wäre es nicht das
Schlechteste, die Geschichte von Salem wäre Märchen Nummer Tausendundzwei.
## Es gilt zu vermuten
Warum? Wer? Wer? Warum? Solche Fragen soll es nach Attentaten ja öfter
geben. Antworten, zumal befriedigende, sind da schon seltener. In
Washington gab es für den Mann aus dem Jemen, der für die staatliche
Umweltbehörde arbeitet, keine. Auch deshalb, weil der US-Geheimdienst CIA
das Drohnenprogramm als geheim einstuft. Wie immer, wenn es kaum etwas zu
wissen gibt, gilt es zu vermuten. Vielleicht ist die Frage nach dem „Wer“
gar nicht zu beantworten, weil es einen „Wer“ so gar nicht gibt. Vielleicht
war Salem oder einer der vier anderen Männer, mit denen er dort bei den
Palmen stand, einfach eine Abweichung.
Große Mengen an Daten sammeln die Geheimdienste in den USA. Erst in dieser
Woche kam heraus, dass sie dabei auch vor der Bevölkerung des angeblichen
Premium-Verbündeten Großbritannien nicht halt machen. Algorithmen, also
Computerprogramme, durchsuchen diese Datenmengen. Und ihr Auftrag ist im
Grundsatz immer der gleiche: suche nach der Abweichung von der Norm. Wer
von einem als normal definierten Verhalten abweicht, benimmt sich
potenziell verdächtig. Und darf dann eventuell nicht in die USA einreisen.
Anderenorts mögen die Folgen drastischer sein.
Verschwörungstheorie? Abgesehen davon, dass die Aufklärungskapazitäten der
westlichen Mächte natürlich dazu eingesetzt werden, Feinde zu
identifizieren: ja. Wenn Staaten sagen, es müsse alles erlaubt sein, was
der Sicherheit diene, so bedeutet das im Umkehrschluss, ebenso annehmen zu
dürfen, dass potenziell auch alles Mögliche getan wird. Vertrauen hieße,
sich auf bestimmte Grenzen verlassen zu können, die beim Handeln nicht
überschritten werden. Aber wo sind die?
Und was ist eigentlich die Norm, von der man besser nicht abweichen sollte,
um den Algorithmen künftig nicht als verdächtig zu gelten? Dass der Freak
ausgegrenzt wird, ist nicht neu. Aber dass die Suche nach dem Freak derart
flächendeckendes und aufwändig betriebenes Grundprinzip wird, schon.
## Ein Gespür für Außenseiter
Eventuell verdient es ein gewisses Verständnis, dass sich derzeit auf der
Onlinebewerberliste für den kommenden Parteitag der überwachungskritischen
Piraten, einige Menschen finden, die sich als „verhaltensoriginell mit
Assistenzbedarf“ oder „Enfant terrible mit Mediatorfähigkeiten“ bezeichn…
Ein Gespür der Außenseiter für eine ihnen nicht sonderlich freundlich
gesinnte Zukunft – warum soll es das nicht geben. Und wenn man das weiter
denkt, werden Bürgerrechtler und Regierungen dann in ein paar Jahren nicht
mehr darum streiten, ob wir überwacht werden, sondern nach welchen Normen
uns ein Programm als Abweichung markiert? Was als noch normal durchgeht und
was nicht?
Dann ginge es nicht mehr darum, wer veranlasst, jemanden die Macht des
staatlichen Handelns spüren zu lassen. Sondern es ginge nur noch um das
„Warum“. Auch das ein Märchen? Wäre schön.
23 Nov 2013
## AUTOREN
Daniel Schulz
## TAGS
Drohnenkrieg
Piratenpartei
Schwerpunkt Überwachung
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.