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# taz.de -- taz-Serie Verschwindende Dinge (6): „Sprache ist soziales Merkmal…
> Immer weniger Menschen berlinern. Wer nur die Umgangssprache beherrscht,
> hat es schwer, sagt Sprachwissenschaftlerin Ruth Reiher.
Bild: Berlinern ist schwer, aber Deutsch ist auch nicht leicht
taz: Frau Reiher, Sie kommen aus einem Ostberliner Bezirk. Berlinern Sie
manchmal selbst, im Privaten unter Freunden?
Ruth Reiher: Nein, aber das ist wahrscheinlich sozial bedingt. Ich habe
keine Freundinnen, die berlinern. Wer Germanistik studiert, berlinert im
Allgemeinen nicht.
Finden Sie das Berlinische denn schön?
Wenn einer leicht berlinert, finde ich das okay. Aber wenn einer anstelle
von „mich“ „mir“ verwendet oder umgekehrt, dann sträubt sich mein
Sprachbewusstsein. Übrigens ist das kein Fehler, sondern eine Eigenheit der
Berliner Umgangssprache.
Fällt Ihnen jemand ein, von dem Sie sagen würden, der berlinert aber mal
so, wie es sein soll?
Harald Juhnke hat wunderschön berlinert. Regine Hildebrandt auch.
Berlinisch ist ja eigentlich gar kein Dialekt, sondern ein sogenannter
Metrolekt, also eine Art regionale Stadtsprache, richtig?
Genau genommen: weder noch. Man verwendet den Begriff Dialekt für das
Berlinische, aber eigentlich ist das nichts anderes als lediglich die
Berliner Umgangssprache. Die ja übrigens nicht nur in Berlin gesprochen
wird. Wenn Sie nach Prenzlau oder Frankfurt an der Oder fahren, da wird
viel mehr berlinert als in Berlin selbst.
Das Berlinische hat es nicht leicht. Zunehmend wird es in die Randbezirke
Berlins verdrängt und kaum noch von jungen Leuten gesprochen. Wird das
Berlinische aussterben?
Bis Sprachen aussterben, dauert es lange. In den ländlichen Gegenden und im
Berliner Umland wird noch kräftig berlinert. Auch beim Deutschen wird ja
immer wieder davon gesprochen, es werde vom Englischen verdrängt, aber ich
denke, dem Deutschen geht es ganz gut.
Woher kommt eigentlich der schlechte Ruf des Berlinischen? Wenn man von
jemandem sagt, er habe eine echte Berliner Schnauze, meint man ja
eigentlich: Der benimmt sich unmöglich.
Nicht nur. Die Berliner Schnauze hat auch etwas Positives. Das Berlinische
wird akzeptiert, das ist immer noch so. Aber es wird doch immer auch
bewertet, meist eher negativ, womit stets eine Aussage über den Berliner an
sich gemacht wird.
Sie meinen, Leute aus Stuttgart, München oder sonst woher aus dem Westen
lehnen das Berlinische ab, meinen damit aber eher den Berliner?
Ich glaube schon, dass es diesen Zusammenhang gibt.
Ich dachte eigentlich eher, dass umgekehrt der Berliner den Schwaben und
dessen Schwäbisch ablehnt.
Das ist vielleicht eine gegenseitige Ablehnung.
Im Osten Berlins wird stärker berlinert als im Westen. Liegt das daran,
dass in der Zeit des geteilten Deutschland in Ostberlin immer noch
berlinert wurde, im Westen aber bereits weniger?
Man muss da differenzieren: Es gibt das starke Berlinisch – also icke,
dette, kicke mal, Beene und so weiter. Das wurde auch im Osten Berlins nur
von bestimmten sozialen Gruppen gesprochen. Aber ein leichteres Berlinisch
wurde eigentlich auch auf Ämtern und in Schulen als gängige
Verständigungssprache akzeptiert. Anders als im Westteil der Stadt.
Wie war es da?
Im Westen war das Berlinische bereits vor der Vereinigung verpönt. Es war
die Sprache der Unterschicht und galt als Proletenkult. Es hatte auch
deswegen nicht den Stellenwert wie im Osten, weil viel mehr Leute aus
unterschiedlichen deutschen Gegenden in den Westteil Berlins gekommen sind.
Denken Sie nur an die Wehrdienstverweigerer oder andere Zugezogene, die
ihre sprachlichen Eigenheiten mitbrachten. Daraus folgte, dass die
Standardsprache als allgemeines Verständigungsmittel galt.
Womit lässt sich diese unterschiedliche Entwicklung noch erklären?
Das Berlinische hatte im Osten einfach andere Bedingungen. Dort gab es den
sprachlichen Kontakt mit dem Umland. In Brandenburg bis hoch nach
Mecklenburg-Vorpommern gibt es berlinische Elemente in der Sprache. Dadurch
war die Gemeinschaft, die Berlinisch gesprochen hat, viel größer. Außerdem
gab es im Osten eine liberalere Haltung gegenüber der Umgangssprache, sie
wurde eben viel stärker akzeptiert.
Mit der war es nach der Wiedervereinigung dann vorbei?
Nach der Wende hat sich die Haltung gegenüber dem Berlinischen auch im
Osten geändert. Ende der Neunziger haben wir während eines
Forschungsprojekts Abiturienten aus Ostberlin befragt, wie sie gegenüber
dem Berlinischen eingestellt sind. Die haben gesagt, das sei die Sprache
ihrer Heimat, und sprachen sich für das Berlinische aus. Während die
Schüler der siebten Klasse schon meinten, sie würden sowohl im Elternhaus
als auch an der Schule angehalten, doch lieber nicht zu berlinern wegen der
Aufstiegschancen in der Gesellschaft. Inzwischen ist das Sprechen des
Berlinischen auch im Osten ein soziales Problem.
Und so wurde das Berlinische zu einer Art Unterschichtensprache, als die es
heute teilweise gilt?
Wer nur berlinern kann, der hat jedenfalls in der heutigen Gesellschaft
kaum eine Aufstiegschance. Und in Zukunft wird das Berlinern noch stärker
zu einem sozialen Merkmal. Dadurch, dass man mit dem Berlinischen nicht
mehr in die höheren Positionen kommt, die meisten aber an einem Aufstieg
interessiert sind, wird das Berlinische verdrängt.
Berlins neuer Kultursenator Klaus Lederer berlinert auch schon mal.
Ja, der kann das.
Trotzdem ist was aus ihm geworden.
Wenn man als Politiker unter Leuten berlinern kann und damit deren Jargon
annimmt, kann das schon helfen, Kontakt herzustellen. Das Berlinern aber
strategisch einzusetzen, um bei den Leuten gut anzukommen, klappt meistens
nicht, das wird durchschaut. Es funktioniert nur, wenn das Berlinern als
ganz normal verwendete Umgangssprache durchgeht.
Fänden Sie persönlich es schade, wenn das Berlinische verschwinden würde?
Das Berlinische wird in nächster und übernächster Zeit nicht verschwinden.
Dass es zurückgeht, ist eben sprachliche Entwicklung wie in anderen
Regionen Deutschlands auch. In der Werbung, im Radio, in der Kulturszene,
überall ist das Berlinische bereits weitgehend verschwunden. In den
Achtzigern und auch in den frühen Neunzigern gab es das noch. Bedauerlich
finde ich, dass die Differenzierung zwischen den einzelnen sozialen
Schichten, die unter anderem auch durch unterschiedliches sprachliches
Verhalten gekennzeichnet sind, so sehr das gesellschaftliche Leben
bestimmt.
Gibt es eine weitere Berliner Umgangssprache, die das Berlinische
irgendwann einmal ablösen könnte?
Kiezsprache vielleicht. Also wenn man etwa sagt: „Ich bin Schule“ und damit
meint „Ich bin in der Schule“. Allerdings finden Sie Kiezsprache vor allem
in den migrantisch geprägteren Westbezirken, in Wedding oder Neukölln.
5 Jan 2017
## AUTOREN
Andreas Hartmann
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deutsch
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