# taz.de -- taz-Serie Verschwindende Dinge (7): „Die Fahrradfahrer fordern As… | |
> Schick, haltbar, umweltfreundlich: Kopfsteinpflaster muss aber vielfach | |
> für Radstrecken weichen, erklärt der Leiter des Neuköllner | |
> Straßenbauamts. | |
Bild: Im Winter besonders glitschig: das gute alte Kopfsteinpflaster | |
taz: Herr Voskamp, wie viel Prozent der Neuköllner Straßen haben noch | |
Kopfsteinpflaster? | |
Wieland Voskamp: Das können wir gar nicht so genau sagen. | |
Was schätzen Sie? | |
Ich schätze, 70 bis 80 Prozent der Straßen Neuköllns, die nördlich des | |
S-Bahn-Rings liegen, also im Ortsteil Nord-Neukölln, verfügen noch über | |
eine Fahrbahn in Kopfsteinpflaster. | |
Wie alt sind die? | |
Diese Straßen wurden vor mehr als 100 Jahre angelegt, als Berlin im Zuge | |
der Industrialisierung zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert stark | |
gewachsen ist. Die Hauptstraßen sind inzwischen natürlich alle asphaltiert, | |
aber in den Wohnstraßen, zum Beispiel im Schillerkiez oder im Reuterkiez, | |
ist das Pflaster noch weitgehend erhalten. In Britz und Rudow dagegen haben | |
wir nur ganz wenige Kopfsteinpflasterstraßen, am Schloss Britz zum | |
Beispiel. Bezogen auf ganz Neukölln liegt der Anteil vielleicht bei 30 | |
Prozent. | |
Wenn Ihr Amt eine Straße saniert, wonach entscheiden Sie, welcher Belag | |
angebracht ist? | |
Wir arbeiten mit der Denkmalpflege vom Stadtplanungsamt zusammen. Wenn wir | |
etwa in Nord-Neukölln Nebenstraßen umbauen, weil wir eine Fahrradroute | |
durchlegen wollen, fragen wir nach, ob auf diesen Straßen ein besonderer | |
flächenhafter Denkmalschutz liegt. Zum Beispiel ist das der Fall im | |
Richardkiez. In der Richardstraße, die wir komplett umgebaut haben, gab es | |
eine sehr kontroverse Diskussion, welche Art von Belag die Fahrbahn | |
erhalten soll. | |
Wie ist die ausgegangen? | |
Wir haben uns zusammen mit der Denkmalpflege für den Erhalt des | |
Großsteinpflasters entschieden, der Volksmund sagt dazu Kopfsteinpflaster | |
oder auch Katzenköpfe. Wir haben das bewusst gemacht, weil es zum | |
historischen Ortsbild gehört. Obwohl viele, die dort mit dem Fahrrad | |
unterwegs sind, auch Asphalt gefordert haben. | |
Sie wägen das zusammen mit dem Denkmalschutz ab? | |
Die Fachleute vom Denkmalamt sagen manchmal schon: Halt, hier besteht ein | |
flächenhafter Denkmalschutz, das dürft ihr hier nicht machen. Zum Beispiel | |
am Herrfurthplatz um die Schillerpromenade, da läuft auch eine Radroute | |
entlang. Da haben sie gesagt, um die Kirche werdet ihr kein Asphalt | |
einbauen, das gehört zum Denkmalbereich Schillerpromenade. Da stört Asphalt | |
das Ortsbild. | |
Was spricht denn noch gegen Kopfsteinpflaster? | |
Zunächst einmal die Lärmfrage. Wenn ich den Belag wechsle von Kopfstein zu | |
Asphalt, habe ich messbar zwei bis drei Dezibel Lärmminderung – und das | |
nimmt ein Anwohner schon als Halbierung der Lautstärke wahr. Wir haben ja | |
oft von Anwohnern die Klagen, wie laut das Kopfsteinpflaster ist und ob wir | |
da nicht was machen können. | |
Also wenn der Denkmalschutz keinen Einspruch erhebt, würden Sie immer | |
Asphalt vorziehen? | |
Ich bin ein Vertreter der Ansicht, dass sich die Stadt weiter entwickeln | |
sollte. Es wird ja überall gesagt, wir wollen umweltfreundlichen Verkehr, | |
wir wollen Fahrradverkehr fördern und da gilt für mich: Je besser die | |
Straße ist, auf der man mit dem Fahrrad fahren kann, desto mehr Leute | |
nutzen das Fahrrad als Verkehrsmittel auch. Und da gehören nicht nur die | |
Hauptverkehrsstraßen dazu, wie Herrmannstraße und Kottbusser Damm, sondern | |
auch die ganzen Nebenstraßen. Also bauen wir immer dort das | |
Kopfsteinpflaster aus, wo wir in Absprache mit den Fahrradverbänden und der | |
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Radrouten anlegen wollen. | |
Wo denn zum Beispiel? | |
Im Reuterkiez wollen wir jetzt die Friedelstraße umbauen vom Landwehrkanal | |
bis runter zur Weserstraße, damit wir dort eine Verbindung schaffen bis zum | |
Herrmannplatz. Dort gibt es nämlich keine vernünftige Verbindung für | |
Radfahrer von Kreuzberg nach Neukölln. Natürlich könnte ich noch viel mehr | |
umbauen, aber da fehlt mir das Geld. | |
Ist es dann nicht nervig, wenn Ihnen der Denkmalschutz reinredet? Hätten | |
Sie gerne mehr freie Hand? | |
Es kommt wie überall auf das richtige Maß an. Man sollte behutsam umbauen, | |
wo man Fahrradverkehr fördern will – nicht nur in Neukölln, sondern überall | |
innerhalb des S-Bahn-Ringes, wo es noch viel Kopfsteinpflaster gibt. Aber | |
dort, wo man wirklich Denkmalensembles oder alte Dorfkerne wie Rixdorf hat, | |
da stelle ich mich auch auf Seiten der Denkmalschützer. Oder ich wähle den | |
Kompromiss: Man kann ja auch das Kopfsteinpflaster ausbauen, die | |
Oberflächen bearbeiten und gewissermaßen glatt machen und diese Steine dann | |
wieder in Beton legen. Das hat man zum Beispiel in Potsdam am Alten Markt | |
so gemacht. | |
Das klingt teuer. | |
Richtig. Flächendeckend kostet das das drei- bis vierfache eines normalen | |
Umbaus. Ein anderer Kompromiss besteht darin, nur einen etwa fünf bis sechs | |
Meter breiten Streifen quasi fahrbahnmittig zu asphaltieren und die | |
seitlichen Bereiche, wo die Autos parken, in Kopfsteinpflaster zu erhalten. | |
So haben wir es zum Beispiel die Oderstraße entlang der Tempelhofer | |
Freiheit als Teil einer Radroute gebaut. | |
Gibt es außer dem Denkmalschutz nichts, was für Kopfsteinpflasterstraßen | |
spricht? | |
Doch, natürlich: Die halten länger. Die alten Kopfsteinpflasterstraßen sind | |
ja mittlerweile über 100 Jahre alt. | |
So sehen sie auch aus. | |
Dass sie so alt und rumpelig aussehen, liegt daran, dass jahrelang in | |
Berlin wegen der knappen Kassen die Straßenunterhaltung stiefmütterlich | |
behandelt worden ist. Eine Straße verhält sich wie ein Haus: Machen Sie das | |
Dach nicht und es regnet durch, haben Sie irgendwann Probleme am Fundament. | |
An der Straße ist es genau so: Behandele ich die Oberfläche nicht gut, geht | |
das Wasser durch, in den Unterbau, zersetzt ihn und dann sackt Ihnen das | |
Ganze weg. Das haben wir bei fast allen alten Kopfsteinpflasterstraßen. | |
Apropos Wasser: Kopfsteinpflaster soll ja ökologischer sein, weil da mehr | |
Wasser versickert als bei Asphalt. Stimmt das? | |
Kopfsteinpflasterstraßen nehmen mehr Wasser auf, ja. Aber Sie dürfen sich | |
das auch nicht so vorstellen, dass beim Kopfsteinpflaster das Wasser im | |
Untergrund bleibt. Auch da verdunstet viel Wasser und durch die Fugen wird | |
das Regenwasser verzögert abgegeben. Aber es stimmt, man hat nicht diese | |
hohen Abflussbeiwerte, wie man technisch sagt. Mit anderen Worten: Bei | |
Asphalt verbleibt mehr Regenwasser auf der Straße, welches dann in die | |
Kanalisation geschickt werden muss. Insofern ist es weniger „ökologisch“ | |
als Kopfsteinpflaster. | |
Viele sagen ja auch: Jetzt habt ihr asphaltiert, jetzt wird schneller | |
gefahren! Ist da was dran? | |
Das ist eine subjektive Wahrnehmung, finde ich. Auf einer holprigen Straße | |
ist es lauter, auch wenn ich langsamer fahre. Und Verkehrsrowdies, die | |
schnell fahren wollen in Tempo 30-Zonen, lassen sich auch nicht durch | |
Kopfsteinpflaster abhalten. | |
Und dann ist es noch lauter. | |
Genau! | |
Lernen das die Straßenbauarbeiter eigentlich noch, Kopfsteinpflaster zu | |
verlegen? | |
Ja, das ist noch eine richtig schöne Handwerksarbeit, der Beruf nennt sich | |
Steinsetzer. Das gehört beim Steinstraßenbau mit zur Ausbildung: | |
Natursteine bearbeiten, Straßenborde und Großsteinpflaster setzen, auch das | |
kleine Mosaikpflaster. Das ist beinharte Knochenarbeit, die Leute sitzen | |
bei Wind und Wetter im Sand. Das ist natürlich teurer, Asphalt wird | |
maschinell eingebaut. | |
Soviel zu den Straßen. Wie ist Ihre Politik bei den Bürgersteigen? | |
Bei den Bürgersteigen gibt es für alle Bezirke ein verbindliches Regelwerk, | |
wie sie zu gestalten sind. Die typische Aufteilung ist: Ich habe an der | |
Kante zur Fahrbahn einen Bordstein, dann kommt ein sogenannter | |
Unterstreifen, der soll aus einem kleinen Mosaik aus Natursteinmaterial | |
sein. Dann kommt eine Plattenbahn: entweder aus großem Granit, den | |
sogenannten Charlottenburger Gehwegplatten, oder – was der Regelfall ist – | |
aus diesen Betonplatten 35x35 Zentimeter. Dann kommt zum Haus hin wieder | |
ein Oberstreifen in Mosaik. | |
Warum macht man das mit diesem Mittelstreifen aus großen Platten? | |
Da geht es vor allem um Barrierefreiheit. Ein Sehbehinderter orientiert | |
sich mit seinem Taststock an der Textur der Gehwegbelege. Der pendelt mit | |
dem Stock und merkt, ob er sich auf einer Plattenbahn bewegt oder an der | |
Seite mit Mosaik. | |
Eine Art Blindenschrift für die Füße! | |
Genau. Aber der Belag ist auch hier wieder eine Kostenfrage: Ein | |
Steinsetzer legt pro Tag vielleicht sechs bis acht Quadratmeter kleines | |
Mosaik, von den Platten legt er 20 bis 25 Quadratmeter. | |
Warum gibt es dann überhaupt Bürgersteige nur mit kleinem Mosaik? | |
Das sind dann ganz alte Gehwege, meist über 100 Jahre alt. Irgendwann war | |
das zu teuer, deswegen kam die Charlottenburger Gehwegplatte in der Mitte | |
dazu. Und die sind heute heiß begehrt, man erhält sie, baut sie wieder ein. | |
Die halten ewig. | |
Alles in allem: Das alte Pflaster stirbt noch lange nicht aus, oder? | |
Nein. Schon allein, weil es viel zu teuer wäre, das überall rauszureißen. | |
Da sollte jeder Bezirk einen Kompromiss suchen, wo es nötig ist und wo | |
nicht. | |
6 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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