# taz.de -- Fragen zur Kunst der Zeit: Kämpferische künstlerische Rituale | |
> Das zweite internationale Fez Gathering fragte nach der Rolle der Kunst | |
> in Zeiten der Krise, assistiert von einer begleitenden Ausstellung. | |
Bild: Informationsdurstige Dachlandschaft, Satellitenschüsseln und der Turm de… | |
Warum einige ZuschauerInnen die zuvor in den Städten Rabat, Casablanca und | |
Tetouan gezeigte Performance als „feministische Aktion gegen die | |
Silvesterereignisse“ begrüßten, darauf konnte sich Madiha Sebbani keinen | |
rechten Reim machen, als sie im Sommer 2016 auf der Domplatte in Köln saß. | |
Erst da wurde sie darüber aufgeklärt, auf welch politisch aufgeladenem | |
Terrain sie agierte, erzählt die Künstlerin aus Rabat in Marokko auf dem | |
Zweiten Internationalen Künstlertreffens am Wochenende in Fez. | |
Das zweitägige Fez Gathering wurde 2016 von dem Fotografen und | |
Kulturvermittler Omar Chennafi ins Leben gerufen, um Kunst- und | |
Kulturschaffende aus dem Maghreb und anderen Teilen der Welt miteinander | |
ins Gespräch zu bringen. Die Szene, die sich hier herstellt ist denkbar | |
weit von dem Bild entfernt, das in Köln von den Ländern Nordafrikas und | |
deren Kultur gezeichnet wurde. Eine zehntägige Kunstausstellung, vom | |
Berliner Künstler und Betreiber der Werkstatt Galerie Pascual Jordan und | |
der Kölner Fotografin Evi Blink klug kuratiert und präzise gehängt, | |
ergänzte in diesem Jahr das Symposium. | |
In Madiha Sebbanis Performance geht es schon um ein feministisches | |
Anliegen, wie ihr Video in der Ausstellung verdeutlicht: um die Behauptung | |
von Raum und Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit. Buddha gleich verharrt sie | |
dazu im Schneidersitz auf die Straße. Den ihr zugestandenen Raum trug sie | |
in Köln dann auch in Form eines um die Taille geschnallten quadratischen | |
Holzgerüsts durch die Gegend. | |
In Fez bliebe sie in der erstbesten Gasse der Medina stecken, sie käme | |
damit nie durch die engen Gassen zum Institut Français, Gastgeber der | |
Vorträge und Präsentationen, oder zum American Language Center, in dessen | |
prachtvollem, überdachtem, wenigstens zwölf Meter hohem Innenhof der | |
Philosoph und Künstler Rudolf zur Lippe das Fez Gathering mit Reflektionen | |
über das diesjährige Motto „Art in the Time of Crisis“ eröffnete. | |
Sind der Künstler und die Künstlerin nicht wie jeder Bürger aufgerufen, | |
sich politisch für Demokratie und Menschenrechte zu engagieren, fragte er | |
erst, sah dann aber doch ihre besondere Meisterschaft, in Krisen zu | |
agieren: Künstler können Rituale entwickeln, undogmatische, aber wie er | |
betonte, durchaus kämpferische Rituale, wobei er an Joseph Beuys’7.000 | |
Eichen erinnerte. Auch werde im Kunstwerk der oder die Einzelne individuell | |
angerufen. Gerade ein Massenspektakel wie Marina Abramovic’MoMA-Performance | |
„The Artist is Present“ 2012 verdeutliche dieses Vermögen der Kunst, höch… | |
individuell Gemeinsamkeit herzustellen. | |
## Flucht vor Krieg und Gewalt | |
„Crisis? What Crisis?“ fragte dann mit Supertramp (und ihrem Studioalbum | |
von 1975 gleichen Titels) am Freitagmorgen der niederländische Kurator Neil | |
Van der Linden im Panel zur zeitgenössischen Kunst, das unter anderen | |
Soukaina Joual, Künstlerin aus Fez, und das Künstlerkollektiv Think Tanger, | |
zusammenbrachte, das sich mit dem massiven Stadtumbau der | |
nordmarokkanischen Metropole auseinandersetzt und einmischt. | |
Die Frage nach der Krise beantwortete am Nachmittag der Fotograf M’hammed | |
Kilito aus Rabat mit Statistik. Sie verzeichnet einen Rückgang von Krieg, | |
Gewalt und Tod. Die Krise ist demnach eine Folge wachsender | |
(Über-)Lebenschancen, von Migration vor Armut, fehlender Bildung und | |
hintertriebener Modernisierung. | |
Leider noch immer auch von Flucht vor Krieg und Gewalt wie es die | |
Geschichte des 15-jährige Saria aus Aleppo zeigt, der erst von den Schergen | |
des Assad-Regimes und wenig später von den Kämpfern der Freien Syrischen | |
Armee entführt und misshandelt wurde. Sein Filmporträt „Der Mut zu | |
vergeben“, vom erst 19-jährigen Schüler David Ben Kurzdörfer im Libanon | |
gedreht, illustrierte drastisch das Thema des Symposiums, das mit ihm | |
eröffnete. | |
Auch Marokko kennt das Thema Flüchtlinge. Die Integration der Muslime | |
gelinge ganz gut, sagt M'hammed Kilito, schwerer tue sich die marokkanische | |
Gesellschaft mit den subsaharischen Migranten, was er Marokkos von | |
Sklavenhaltung geprägter Vergangenheit anlastet. Dass Kunst sich mit | |
gesellschaftspolitischen Themen befasst ist nicht selbstverständlich in der | |
Kunst- und Kulturszene Marokkos. | |
## Esel und Maultier | |
Daher helfen die formal subtilen Fotografien, die Evi Blink in Köln von | |
Syrienflüchtlingen aufnahm, oder Pierre Jouves Reportagefotografie aus dem | |
Pariser Polizeialltag, in denen Drogendealer wie Heilige bei Caravaggio | |
auftreten, die in Marokko als selbstverständlich betrachtete Gleichsetzung | |
von Kunst und Schönheit aufzubrechen, wie es Omar Chennafis Anliegen ist. | |
Gleichzeitig steuert Pascual Jordan in der Ausstellung mit abstrakter | |
Malerei von Ingeborg von Holstein und Rudolf von Lippe gegen ein zu starkes | |
Gewicht narrativer Arbeiten und zeigt, dass auch das Umsortieren eines | |
Steinhaufens Aktion bedeutet und Veränderung will. | |
Dass Kunst auch das vermeintlich Hässliche oder Banale interessiert, will | |
in Marokko erst verstanden werden. Im Panel Kunst in Bildung und Unterricht | |
erläuterte deshalb Cantal Bakker aus den Niederlanden das Projekt Pikkala, | |
das in Marrakesch Fahrräder populär machen will, wobei der Weltklimagipfel | |
COP 22 einen mächtigen Schub bedeutete. | |
Der Drahtesel, der, künstlerisch individualisiert, für Jobs und | |
Bewegungsfreiheit bei den Jugendlichen sorgt, ergänzt hier aufs Beste den | |
Esel. Er ist in der Medina von Fez, der größten Nordafrikas, noch immer | |
unentbehrliches Last- und Arbeitstier. | |
Auf dem Esel und dem Maultier gründet die Existenz ganzer Familien. Um die | |
Arbeitsfähigkeit der Tiere der armen Bewohner der Medina wiederherzustellen | |
gründete die Amerikanerin Amy Bend Bishop 1927 ein Hospital für kranke | |
Tiere. Ihre American Fondouk existiert noch immer. Derzeit leitet sie die | |
britische Tierärztin Dr. Gigi Kay. Ihre Einladung der Symposiumsgäste zum | |
Lunch in der Tierklinik war bestimmt einer der gelungenen Beiträge zur | |
Kunst in Zeiten der Krise. | |
20 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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