Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ausstellung „Kreuzberg – Amerika“: Eine künstlerische Luftbr…
> Das C/O Berlin im Amerikahaus widmet der legendären Werkstatt für
> Photographie (1976–1986) eine umfassende Werkschau.
Bild: Michael Schmidt mit Schülern in Schnackenburg, 1978. Von Links: NN, Winf…
Am 3. September 1976 wurde unmittelbar am Checkpoint Charlie die Werkstatt
für Photographie an der Volkshochschule Kreuzberg in Berlin eröffnet.
Initiator war der Berliner Fotograf Michael Schmidt. Genau 10 Jahre später
wurde sie geschlossen und geriet danach mehr und mehr in Vergessenheit.
Innerhalb dieser Dekade entwickelte sich die „Werkstatt“ zu einer der
bekanntesten und einflussreichsten Fotoschulen in Deutschland und erreichte
höchstes internationales Niveau. Michael Schmidts Wunsch anlässlich der
Eröffnung 1976, dass die „Werkstatt über die Grenzen Berlins hinaus
Bedeutung erlangen möge“, hat sich allerdings nur für den Zeitraum ihres
10-jährigen Bestehens erfüllt.
Dies könnte sich nun ändern. Bereits im April dieses Jahres sorgte das
Ausstellungs- und Publikationsprojekt „[1][Bildwechsel – Fotografie nach
der Werkstatt für Photographie]“ für einen ersten Aufmerksamkeitsschub; dem
folgte die gerade zu Ende gegangene Ausstellung „[2][EINS!]“ mit Arbeiten
der heute am Photocentrum der VHS Friedrichshain-Kreuzberg lehrenden
Dozenten.
Ab diesem Freitag besteht nun mit drei gleichzeitig startenden
Ausstellungen noch einmal die Chance, die Bedeutung dieser einmaligen
Institution zu würdigen. In Kooperation mit dem [3][Sprengel-Museum
Hannover] und dem [4][Museum-Folkwang] in Essen präsentiert die [5][C/O
Berlin] nun das Ausstellungsprojekt „[6][Kreuzberg – Amerika / Werkstatt
für Photographie 1976–1986]“. Diese erste Zusammenarbeit soll zeitgleich in
drei Städten die Geschichte, Einflüsse und Auswirkungen der legendären
Berliner Fotografie-Institution aufzeigen.
Was machte diese Institution in der kurzen Periode ihres Bestehens so
einzigartig? Die Werkstatt für Photographie sollte neben der akademischen
Lehre und den eher auf kommerzielle Fotografie ausgerichteten
Ausbildungsstätten ein Ort für freie künstlerische Fotografie werden, der
jedermann offen stand.
Die Volkshochschule Kreuzberg war hierfür die Institution, diesen Ort ohne
jede Zugangsvoraussetzung zu etablieren. Mit ihrer Mischung aus
hochkarätigen Ausstellungen und Workshops, Vorträgen und der künstlerisch
orientierten Ausbildung gelang es, Volksbildung auf höchstem Niveau zu
betreiben.
Dazu wurden namhafte Fotografen zu den Wochenendseminaren der Werkstatt
eingeladen, die Liste der Ausstellungen liest sich heute wie ein Who’s who
der Fotografiegeschichte. Selbst so berühmte Fotografen wie Robert Frank,
Diane Arbus, Stephen Shore oder Ralph Gibson fanden den Weg in die
Kreuzberger Volkshochschule bzw. wurden dort erstmals gezeigt.
Damit hatte die „Werkstatt“ enorme Auswirkungen auf die Entwicklung der
künstlerisch-dokumentarischen Fotografie in Deutschland und stellte der
Düsseldorfer Schule einen ebenbürtigen Ansatz entgegen.
Nachdem sich Michael Schmidt aus dem aktiven Lehrbetrieb zurückgezogen
hatte und die Leitung der Werkstatt von ehemaligen Schülern übernommen
worden war – Ulrich Görlich, Wilmar Koenig und Klaus-Peter Voutta, später
Thomas Leuner, Gosbert Adler und Hermann Stamm –, entwickelte sich die
Blütezeit des „transatlantischen Kulturaustauschs“. Wilmar Koenig wurde
damals scherzhaft „Außenminister“ genannt.
Dessen Höhepunkt war die von Lewis Baltz und John Gossage kuratierte
Ausstellungstournee „Fotografie aus Berlin“ 1984 an drei renommierten Orten
für Fotografie in Amerika. Teilnehmer waren sowohl Hörer als auch Dozenten
der Werkstatt.
Gleichzeitig aber entstand ein teilweise radikaler Bruch in der
künstlerischen Ausrichtung. So schreibt der Herausgeber der Fotokritik
Joachim Schmid im Vorwort des Katalogs zur Ausstellung „Arbeiten 83“:
„Diese Ausstellung zeigt die Fotografie der Werkstatt in einer
Übergangsperiode, ausgedrückt durch die zum Teil radikale Abkehr von den
Vorstellungen der letzten Jahre und die verstärkte Suche nach neuen
Inhalten und Ausdrucksformen.“
Neben dieser Suche und internen Diskussionen prägen unüberbrückbare
Differenzen mit der neuen VHS-Direktion die letzten zwei Jahre der
Werkstatt. Am 5. September 1986 schrieb Hermann Stamm den Brief an den
Bezirksstadtrat, der das offizielle Ende der Werkstatt besiegelte: „sehen
sie bitte die auflösung der werkstatt für fotografie durch die dozenten …
als protest gegen die geplanten und inzwischen vollzogenen maßnahmen der
direktion der vhs kreuzberg“.
Nach Schließung der Werkstatt wurde an der Volkshochschule Kreuzberg auf
Basis des erfolgreichen Werkstatt-Kurssystems ein neues, breit angelegtes
Ausbildungsprogramm etabliert. Mit rund einhundert Kursangeboten und 1.200
Hörern jährlich hat sich das [7][Photocentrum der VHS
Friedrichshain-Kreuzberg] bis heute zu einer der größten Ausbildungsstätten
für Fotografie bundesweit entwickelt.
Um die Werkstatt für Photographie selbst blieb es seither aber merkwürdig
still. Erst mit dem Tod von Michael Schmidt 2014 und dem diesjährigen
Jubiläum kehrt die Werkstatt für Photographie in den Fokus der
Öffentlichkeit zurück.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier schrieb am 25. Mai 2014 in seiner
Laudatio: „Mit Michael Schmidt verlieren wir aber nicht nur den bedeutenden
Künstler, sondern auch den großartigen Lehrer, der sich als Autodidakt auch
besonders um die Vermittlung von Fotografie verdient gemacht hat. Sein
Wirken an der VHS Kreuzberg ist beispielgebend für das
zivilgesellschaftliche Engagement von Künstlern.“
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz.
7 Dec 2016
## LINKS
[1] http://www.xn--werkstattfrphotographie-lpc.de/
[2] https://exhibit.photocentrum.de/eins/ausstellung/
[3] http://Sprengel-Museum%20Hannover
[4] https://www.museum-folkwang.de/de/aktuelles/ausstellungen/ausblick/das-rebe…
[5] http://www.co-berlin.org
[6] http://www.co-berlin.org/kreuzberg-amerika-ausstellung-berlin
[7] https://photocentrum.de/
## AUTOREN
Peter Fischer-Piel
## TAGS
Kunstgeschichte
Amerika
Fotografie
Luftbrücke
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neuentdeckung der Gebrauchsfotografie: An die Stadt ranpirschen
Unstillbar ist der Hunger nach Bildern. Das belegt im Kunstmuseum Basel
eine Sammlung von Alltagsfotografien, die alle Bereiche des Lebens
durchdringt.
Tagung zu 70 Jahre Luftbrücke: Asynchron zur Heldengeschichte
Die Luftbrücke vor 70 Jahren gilt gemeinhin als „heroischer Akt“. Auf einer
Tagung wurde erstmals an dieser Darstellung gekratzt.
Ausstellung „Kreuzberg – Amerika“: Die Berliner Schule der Fotografie
Eine Quelle des Aufbruchs der deutschen Fotoszene in den 1970er-Jahren: die
Werkstatt für Photographie der VHS Berlin-Kreuzberg.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.