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# taz.de -- Tagung zu 70 Jahre Luftbrücke: Asynchron zur Heldengeschichte
> Die Luftbrücke vor 70 Jahren gilt gemeinhin als „heroischer Akt“. Auf
> einer Tagung wurde erstmals an dieser Darstellung gekratzt.
Bild: Ein Held der Luftbrücke: Pilot Gail S. Halvorsen 1948 in seinem C-54 Tra…
Elf Monate dauerte die Berlin-Blockade der Sowjets. Die „Luftbrücke“ der
Alliierten Streitkräfte vom Juni 1948 bis zum September 1949 wurde zur
Zäsur und zum Symbol in der Geschichte Westberlins.
Weniger im Bewusstsein ist, dass zur gleichen Zeit fast 30.000 meist
jüdische Personen als sogenannte Displaced Persons (DPs) in Berlin lebten.
Viele der gerade dem Tod in den Konzentrationslagern Entkommenen lehnten
die Rückkehr in ihre Herkunftsländer ab. Sie fürchteten den Antisemitismus
im kommunistischen Polen und in der Sowjetunion und blieben quasi als
Gestrandete in Berlin.
1947 forderten jüdische Organisationen erstmals die Evakuierung der DPs in
die drei Westzonen. Dies scheiterte am Widerstand der alliierten
Besatzungsmächte USA, Frankreich und England, die darüber in Streit
gerieten. Die Briten etwa lehnten wegen ihres Palästinakonflikts die
Anerkennung dieser Menschen als jüdische DPs ab. Erst Mitte 1948 entschied
US-Militärgouverneur Lucius D. Clay, dass 5.500 Displaced Persons nach
Frankfurt/Main ausgeflogen werden sollten – ein humanitärer und
logistischer Herkulesakt quasi in Gegenrichtung des „Airlift“, auf dessen
Strecke bis 1949 noch mehr als 100.000 Menschen, darunter
erholungsbedürftige Kinder, folgen sollten.
Der Grund, warum die Geschichte der Displaced Persons sowie der alliierte
Zank darüber „kaum in Zusammenhang mit der Luftbrücke gestellt wurde“, wie
Angelika Königseder vom Zentrum für Antisemitismusforschung meint, ist
evident: Das große, positiv besetzte Narrativ der Luftbrücke als
„heroischer Akt“ der Alliierten und der Westberliner zur „Verteidigung der
Freiheit“ vertrug bislang weder Risse noch Streitpunkte bei der Betrachtung
der glorreichen Vergangenheit.
Im kollektiven Gedächtnis insbesondere der in die Jahre gekommenen
Westberliner scheint die Luftbrücke wie ein unantastbarer Gedenkstein zu
ruhen. Was auch seine Berechtigung hat: „Bis heute gehört die Luftbrücke zu
den faszinierendsten Episoden der Nachkriegsgeschichte. Die Versorgung
Westberlins aus der Luft war eine logistische Meisterleistung ohne Vorbild.
Der Rosinenbomber wurde zum Symbol“, wie Bernd von Kostka, Leiter des
AlliiertenMuseums, zu Beginn der Tagung anführte.
Auf der am Mittwoch beendeten dreitägigen Tagung „Die Berliner Luftbrücke.
Ein Erinnerungsort des Kalten Krieges?“ im AlliiertenMuseum ging es den
Kuratoren aus Berlin, Metz und Paris nicht darum, die Geschichte
umzuschreiben. Fast 70 Jahre nach dem Ereignis scheint es aber angebracht,
das Gedenken an 1947/48 im „historischen Kontext“ zu betrachten. Warum die
Historiker sich so lange Zeit gelassen haben, die Luftbrücken-Geschichte
einer facettenreicheren Brechung zu unterziehen, wurde im AlliiertenMusem
vornehm außen vor gelassen. Man spricht nicht gern über Defizite.
Gewinnbringend waren die Fragen und Antworten dennoch.
Corine Defrance, Professorin an der Pariser Sorbonne, entzauberte die
Luftbrücke als singulären Vorgang in der Geschichte der Luftversorgung: Die
spanischen Faschisten richteten im Bürgerkrieg 1936 einen Lift nach Marokko
ein, ebenso die deutsche Wehrmacht nach Stalingrad. Die USA versorgten im
Pazifikkrieg per „China-India-Ferry“ die Inseln aus der Luft. Wenngleich
die Berliner Luftbrücke „das größte transnationale Projekt war, war sie
nicht das erste und einzige“. Defrance folgerte, dass bis dato die
Perspektive auf die Luftbrücke „eine verengte war“.
Zum neuen Blickwinkel zählt sicher die Durchsicht der ausländischen Medien
in der Zeit der Blockade. In den USA, so betonte Florian Pauls vom
AlliiertenMuseum, wurde „die Luftbrücke insgesamt von positiver
Berichterstattung begleitet“: Mehr als 1.500 Reportagen, Meldungen und
Berichte wurden in der New York Times, der Washington Post und anderen
Zeitungen zu der Arbeit der Soldaten, den Flügen und zur Krise in Berlin
veröffentlicht.
Die französische Presse reagierte ganz anders. Es habe sehr lange gedauert,
bis die Medien in Paris „ins westliche Lager einschwenkten“, erläuterte
Philippe Jian, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Pariser Zentrum für
Sozialgeschichte. Abgesehen von Le Parisien kommentierten die Zeitungen das
Geschehen in Berlin sehr kritisch. Die kommunistische L’Humanité sah sowohl
Berlin als auch Deutschland noch als den alten Feind und die Luftversorgung
als Affront gegen die Sowjetunion. Selbst Le Figaro und Le Monde, betonte
Jian, warnten anfangs davor, dass die Luftbrücke nur einem deutschen
Revanchismus Vorschub leiste.
Asynchron zur Heldengeschichte der Luftbrücke als Erinnerungsort des Kalten
Krieges zeichneten schließlich Gerhard Sälter und Matthias Heisig ihre
neuen Leitbilder vom Luftbrückengedenken auf. Sälter regte an, die
Geschichte der russischen Blockade, den Beginn des Ostberliner Grenzregimes
und den Alltag von damals stärker ins Visier und in Beziehung zur
Luftbrücke zu nehmen.
Der Berliner Historiker Heisig erzählte die „linke Geschichte“ der
Luftbrücke. Ab 1950 strömten erst zum „Tag der Streitkräfte“, später zum
„Tag der offenen Tür“ jährlich Hunderttausende Berliner auf das Tempelhof…
Flugfeld, um die deutsch-amerikanische Freundschaft mit Eiscreme, Bier und
Hamburger unter dem neuesten Fluggerät zu feiern. Den „Paradetag des
Westens“ zur Erinnerung an die Luftbrücke, erläuterte Heisig, nahmen 1967
Studenten, darunter Gudrun Ensslin, auseinander, als sie dort gegen den
Vietnamkrieg – mit „Amis raus“ – demonstrierten. 1972 und 1984
protestierten erneut viele Friedensaktivisten und Kreuzberger Alternative
in Tempelhof gegen die Supermächte USA und UdSSR.
Die beiden letzten Aspekte sind Beispiele „für einen gegenteiligen
Erzählstrang, was die Bedeutung einer Kaltekriegsgeschichtsschreibung von
unten unterstreicht“, wie Ulrich Pfeil, Dozent an der Universität Metz,
bilanzierte. Es ist die Zeit, so resümierten die Tagungsteilnehmer, in der
der Glanz der Luftbrücke allmählich zu verblassen begann – ohne ganz zu
erlöschen.
16 Mar 2017
## AUTOREN
Rolf Lautenschläger
## TAGS
Luftbrücke
Geschichte
Kalter Krieg
Flughafen Tempelhof
Luftbrücke
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