# taz.de -- Zukunft von Tempelhof: Abflugerlaubnis für ein Wagnis | |
> Nach dem Feld ist jetzt das Gebäude dran: Der Senat setzt bei der | |
> Entwicklung von Tempelhof auf Bürgerbeteiligung. Am Samstag ist Tag der | |
> offenen Tür. | |
Bild: Kreativ und gleichzeitig Wohnraum: ein radikaler Entwurf für das Flughaf… | |
Es wäre eine Überraschung, wenn die Berliner am Tag der offenen Tür an | |
diesem Samstag und beim anschließenden „bürgerschaftlichen | |
Beteiligungsverfahren“ für das Tempelhofer Flughafengebäude den | |
Nutzungsvorstellungen des Senats folgen würden. Denn Tempelhof bedeutet für | |
jeden Politiker der Stadt – gleich welcher Couleur – ein Wagnis. | |
Den Bürgerwillen für ein unbebautes Feld und den Wunsch, das | |
Terminalgebäude mit vielfältigen Institutionen der Öffentlichkeit zur | |
Verfügung zu stellen, konnten weder Masterpläne noch Entwürfe für eine neue | |
Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) ausstechen. Einzig Konzepte für | |
kulturelle Programme im ehemaligen Airport fielen nicht gleich durch. | |
Ist es eine ausgestreckte Hand, wenn Stadtentwicklungssenatorin Katrin | |
Lompscher und Kultursenator Klaus Lederer (beide Linkspartei) vor dem | |
Hintergrund des Scheiterns nun die BürgerInnen zu einem „Besuch hinter die | |
Kulissen“ als „Auftakt zur partizipativen Erarbeitung des Nutzungskonzepts | |
für das einstige Flughafengebäude“ einladen? Vielleicht. | |
Deuten kann man die Veranstaltungen auf jeden Fall als eine Annäherung an | |
ein schwieriges und zugleich offenes Stück neuester Stadtgeschichte, die, | |
besonders mit dem Thema Kultur, weitergeschrieben werden soll. Das | |
Interesse ist hierfür nicht gering, wie beim Spektakel der Volksbühne „Fous | |
de danse. Ganz Berlin tanzt auf Tempelhof“ im September zu erleben war. | |
Die Hellsichtigkeit scheint auf Senatsseite größer zu sein als bei früheren | |
Verfahren. Man möchte, betont Lompscher, in Sachen Kultur von den Berlinern | |
wissen, „was ihre Vorstellungen für die Zukunft des Flughafengebäudes sind, | |
wie sie diesen besonderen Ort zukünftig sehen und erleben wollen“. Die | |
Fragen lauten: „Was soll, was kann dort rein? Wie muss mit der NS- und | |
Nachkriegsgeschichte des Ortes umgegangen werden?“ | |
Das ist ein inhaltliches, aber auch ein strukturelles Diskursangebot, geht | |
es doch um Einbindung, um Teilhabe. Schlecht ist das nicht – soweit es | |
Lompscher und Lederer mit ihrer Kooperations- und Kommunikationsgrammatik | |
ernst meinen. | |
Riskant bleibt das Unterfangen trotzdem. Wenn fixe Vorgaben des Senats mit | |
einem möglichen Kaleidoskop aus vielerlei Ideen der Bürger – und mehr noch | |
mit aktuellen Begehrlichkeiten – kollidieren, könnten Konflikte wieder | |
aufbrechen. In der Stärke des Verfahrens liegt somit zugleich seine | |
Schwäche. | |
## Ein „Berlin Creative District“ | |
Denn die Landesregierung hat 2016 entschieden, in dem 1.230 Meter langen | |
Komplex das „Berlin Creative District“, ein Quartier für Kunst und Kultur, | |
entwickeln zu wollen. Ab 2018 entstehen als erste Projekte hierfür eine | |
„Galerie“ auf dem Flughafendach und Schauräume im Westtower. | |
Die Volksbühne plant, Hangars als Spielstätten zu nutzen. Beschlossen ist | |
ebenso, das Alliiertenmuseum von Dahlem nach Tempelhof zu holen. Es gibt | |
Dutzende private Mieter vor Ort. Der Denkmalschutz hat ein scharfes Auge | |
auf den Bau von 1936. Zudem sind Flächen aktuell für Flüchtlinge | |
reserviert. Von den zirka 300.000 Quadratmeter Gesamtfläche sind 137.000 | |
dauerhaft oder temporär vermietet. 68.000 Quadratmeter stehen leer, 107.000 | |
sind ganz ungenutzt – genug Raum für andere Optionen nebst dem Creative | |
District. | |
Wäre es darum nicht klug, die Bandbreite der Überlegungen zur Nachnutzung | |
des Flughafengebäudes zu erweitern, Denkansätze aufzubrechen? Es gehört | |
beispielsweise wenig Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass am Samstag eine | |
alte Streitfrage aufgeworfen wird: Angesichts fehlender Wohnungen, einer | |
dynamischen Bevölkerungsentwicklung und den Konflikten an Standorten für | |
neuen Städtebau wie am Flughafen Tegel ist es sinnvoll, erneut über die | |
Bebauung des Tempelhofer Feldes nachzudenken. | |
## Wohnen im Flughafen | |
Das Argument, weil die Stadt wachse, benötige man dringend große | |
Bauflächen, ist sicher unschwer wegzuwischen. Denn umgekehrt gilt | |
gleichermaßen: „Gerade weil Berlin wächst, muss das Tempelhofer Feld frei | |
bleiben. Eine Metropole braucht öffentlichen Freiraum“, wie Florian | |
Mausbauch, ehemaliger Präsident der Bundesamtes für Bauwesen, zu Recht | |
meint. | |
Wenn Lompscher und Lederer in der Lage wären, hierzu Vorstellungen von | |
Gewicht in die Waagschale zu werfen, und bereit wären, mit den Berlinern in | |
Alternativen zu denken, ergäben sich ganz neue Perspektiven. Böten nicht | |
gerade der riesige Riegel, seine Flächen und Hallen, seine Höfe und Flügel | |
das Betätigungsfeld für neue Ideen, wie die Initiative „Bürgerplan“ mein… | |
Diese regt an, das Gebäude „in ein gemeinwohlorientiertes Reallabor als | |
Experimentier-, Bildungs- und Forschungsort für eine zukunftsfähige | |
Stadtkultur“ umzubauen. | |
Und könnte nicht eine kolossale Vision als Chance für einen großen | |
Wohnungsbau hier bedacht werden? Es ist noch nicht lange her, dass der | |
Architekt Arno Brandlhuber mit einem Entwurf für das Flughafengebäude für | |
Furore sorgte. Der gesamte Riegel, so der Architekt, sollte um acht | |
Geschosse aufgestockt werden. | |
In seinem THF-Bikini-Haus über dem Dach des Flughafens könnten rund 3.500 | |
Wohnungen entstehen, fast so viele wie einmal auf dem Tempelhofer Feld | |
vorgesehen waren. Aktuell hat Brandlhuber sein Projekt erneut ins Spiel | |
gebracht und vorgeschlagen, das THF-Bikini für den sozialen Wohnungsbau zu | |
planen. | |
Brandlhubers Entwurf taugt sicher nicht als reale Perspektive. Er ist ein | |
bisschen Le Corbusiers „Wohnmaschine“ und ein bisschen „Sozialpalast“. … | |
ist aber – parallel zum Creative District – ein Denkanstoß für Tempelhof. | |
Denn die Idee zeigt Potenziale und Optionen des Gebäudes und weist in eine | |
Richtung – Öffnung, Erweiterung –, die unter Planern schon länger in der | |
Stadt gärt, aber in Senatsstuben keinen Einlass fand. Diese sollten sich | |
erinnern, dass der Tempelhofer Flugplatz ein Ort ist, an dem neue Wege | |
ihren Anfang nehmen können. | |
17 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Rolf Lautenschläger | |
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