# taz.de -- Theatertreffen Berlin: Vom Punk zur Wessifrau im Osten | |
> Claudia Bauer hat Peter Richters „89/90“ inszeniert. Die Expertin für | |
> Gegenwartsdramatik schickt dafür Aliens mit Pinocchio-Nase auf die Bühne. | |
Bild: Direkt vom Mars oder einfach aus der ostdeutschen Provinz? Aliens auf der… | |
Kann man aus der Wende, dem Ende eines deutschen Staats, heute noch etwas | |
lernen? „Schwer zu sagen“, überlegt Claudia Bauer, die Peter Richters Roman | |
„89/90“ für die Bühne bearbeitet hat, „aber was da hochgespült wurde an | |
unterdrückten Dingen, spielt heute insgesamt eine größere Rolle.“ Gemeint | |
ist, dass Richter auch das frühe Wuchern einer rechten Jugendkultur in | |
Ostdeutschland zeigt. Aber sein Roman beschreibt dies eben als | |
Jugendkultur, nicht als eine homogen ideologisierte Bewegung. | |
Peter Richters Buch der Erinnerung an den letzten Sommer der DDR steht | |
neben den großen Wenderomanen der vergangenen Jahre, etwa Uwe Tellkamps | |
„Der Turm“ und Lutz Seilers „Kruso“. Für eine Theateradaption galt der… | |
kleine Episoden zerfallende Erzähltext ohne große Handlungsbögen als eher | |
schwer zu realisieren. „Ein Wimmelbild“ nennt Claudia Bauer den Roman, | |
manche Figur fliegt einfach so vorbei und ist kaum zu fassen. Da braucht es | |
eine starke formale Setzung. | |
In einem Hinterzimmer sitzt in Bauers Leipziger Inszenierung, die an diesem | |
Wochenende beim Theatertreffen in Berlin gezeigt wird, der Schauspieler | |
Wenzel Banneyer als Ich-Erzähler und blättert mit einem Freund in alten | |
Fotos: „Du wirst einmal viel Geld mit Immobilien in München verdienen. Und | |
du wirst Drogen nehmen. Und du wirst der sein, der sie ihm verkauft“, nimmt | |
der Erzähler die Zukunft voraus und tippt auf die Abgebildeten. | |
Der aus der Rückschau wissende Blick verschafft der Dramatisierung sofort | |
einen Sog, der dann noch stärker wird, wenn die Einzelheiten von | |
jugendlicher Renitenz im Staatsbürgerkundeunterricht durch einen Chor mit | |
Feeling-B’s Ostpunk-Hymne „Wir wollen immer artig sein“ gekontert werden. | |
## Aliens mit Pinocchio-Nasen | |
Neben dem eindrücklichen Erzähler agiert ein vielstimmiger Chor und eine | |
choreografierte Riege von Aliens mit Pinocchio-Nasen. Dieses Zusammenspiel | |
von persönlichem Erleben mit dem so theatral ausgestellten Überpersönlichen | |
der geschichtlichen Ereignisse funktioniert als raffinierte Verfremdung. | |
Auch um den erwartbaren DDR-Klischees zu entgehen. | |
Die in Landshut aufgewachsene Regisseurin, Jahrgang 1966, die selbst mal | |
eine Punkphase durchlebte, interessiert sich dabei für die Milieus von | |
Abgrenzung und Protest. „Bei uns im Westen war das ein paar Jahre früher. | |
Im Osten war aber der Systemdruck größer. Das Aufbegehren gegen links | |
meinte den Staat.“ | |
Bauer gilt als Spezialistin für schwierige Texte und sperrige | |
Gegenwartsstücke. Und sie hat eine besondere Geschichte mit dem Osten. Als | |
erste Westabsolventin der Regie-Klasse an der Berliner „Ernst | |
Busch“-Theaterhochschule. Sie hatte vorher am Mozarteum in Salzburg | |
studiert, Berlin kam ihr dann viel fremder vor. „Das war wirklich wie ein | |
Auslandsstudium. Die Gerüche, die Einrichtung, alles war anders. Abends | |
beim Ausgehen waren die Leute offener als im Westen. Während unsere Lehrer | |
gerade gegauckt wurden.“ | |
Diese Entscheidung für Ostberlin kommt als Frage immer wieder zurück in | |
ihre Arbeit. In Leipzig haben Leute sie dafür bewundert, dass sie als | |
Wessifrau „89/90“ auf der Bühne gebracht hat. Sie weiß selbstverständlic… | |
dass ihre Mittel der Verfremdung auch mit einer gewissen Distanz zu tun | |
haben und letztlich mit einem Humor, der den wehenden Mantel der Geschichte | |
auf die Banalitäten von unfassbar schlechter Fernsehwerbung herunterzieht, | |
worüber alle, Herkunft oder Alter egal, lachen können. „Ein Ossi“, wurde | |
ihr im Vertrauen gesagt, „würde das Stück noch mehr färben – nostalgisch | |
oder hasserfüllt.“ | |
## Expertin für Gegenwartsdramatik | |
Nach dem Studium folgten für Claudia Bauer die üblichen Jahre als | |
Reiseregisseurin, bis sie 1999 die Leitung des Theaterhauses Jena übernahm, | |
das als Neugründung bald zu den wichtigen Off-Theatern des Ostens zählte. | |
„Das war eine große Übungsrunde, wie man ein Theater leitet – mit viel | |
Schmerzen für den eigenen Anspruch als Regisseurin.“ Zu ihrem Team gehörte | |
der spätere Kabarettstar Rainald Grebe. Hier entwickelte sich ihr | |
besonderes Interesse an neuen Stücken, denn das Theaterhaus war ja nicht | |
auf einen Betrieb mit Repertoire-Klassikern angewiesen. Nach fünf Jahren | |
hatte sie allerdings genug von der schwierigen Situation und ging als feste | |
Regisseurin ohne Leitungsaufgaben ans Neue Theater Halle. | |
Seit einigen Jahren ist sie Hausregisseurin am Schauspiel Leipzig und hat | |
dort ihren Ruf als Expertin für Gegenwartsdramatik weiter gefestigt. Vor | |
drei Jahren inszenierte sie die Uraufführung von Wolfram Höll „Und dann“, | |
in dem ein vierjähriger Junge die Wende in Leipzig zusammen mit dem | |
Verschwinden der Mutter erlebt. | |
Die Inszenierung wurde nach Mülheim eingeladen, wo das Stück den | |
renommierten Dramatiker-Preis erhielt. Hölls Text ist wie eine poetische | |
Partitur geschrieben und eine große Herausforderung für jede Umsetzung auf | |
der Bühne. Bauer fand hier wohl endlich ganz zu ihrer Sprache: In einer | |
fast surreal anmutenden DDR-Neubauwohnungshöhle bewegen sich die wie zu | |
Puppen mutierten Figuren. | |
Das Bekannte im Unbekannten zeigen, so könnte man ihre Methode nennen. Und | |
schließlich gebe es einen entscheidenden Vorteil, so sagt sie, wenn man | |
neue Texte inszeniert. „Keiner kann so schnell sagen, wie es eigentlich | |
sein müsste. Frisch gefallener Schnee, das ist der Spaß an der Sache. Viele | |
Gegenwartsautoren stellen aber selbst schon die Herausforderung dar – weil | |
da nicht stimmig fürs Theater erzählt wird.“ | |
## Spukhafte Horrorwelt | |
Es gibt durchaus noch andere Linien in ihrer Regiearbeit. Adaptionen wie | |
Kafkas „Amerika“, das als Groteske Anfang des Jahres in Hannover zur | |
Premiere kam. Was in der Romanvorlage nur sachte angelegt ist, wurde von | |
ihr zur spukhaften Horrorwelt des Karl Rossmann ausgestaltet. Ein Teil des | |
Publikums war darüber erschrocken. „Ich habe manchmal auch einfach Lust, | |
ein mitunter dünnlippiges Publikum herauszufordern und freudvoll aus dem | |
Theater zu entlassen.“ | |
Mal sehen, ob das auch beim Publikum des Theatertreffens mit seiner oft | |
routinierten „Alles schon gesehen“-Attitüde wirkt. Die Einladung sei eine | |
große Freude. „Aber gleichzeitig hätte ich nicht gedacht, was das für Druck | |
aufbaut.“ | |
Dass es zwei Jahrzehnte brauchte, bis sie zum Show-Reigen der | |
Bemerkenswerten eingeladen wurde, ist für sie kein Problem. Sie sieht sich | |
selbst als Spätentwicklerin, die oft unzufrieden war mit ihren eigenen | |
Arbeiten. | |
Ein Schlüsselerlebnis der frühen Jahre war die Entdeckung von Tadeusz | |
Kantor – sein schrill buntes, maskenhaftes Theater, das Menschen und | |
Objekte in Bildern kombinierte. Und auch ein Autor wie Werner Schwab habe | |
sie einst wie ein Hammer getroffen. Dessen selten aufgeführtes | |
Faust-Coverstück wird sie als Nächstes inszenieren – in dessen Heimatstadt | |
Graz. Für die Spezialistin ungewöhnlicher Texte ist Schwabs | |
Stücküberschreibung eine willkommene Spielart des Gegenwartstheaters. | |
13 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Thomas Irmer | |
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