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# taz.de -- Uraufführung Schauspiel Leipzig: Black Box im White Cube
> In Leipzig wurde „Eriopis“ von der finnischen Autorin E.L. Karhu
> uraufgeführt. Doch die Hauptfigur bekommt man nicht richtig zu fassen.
Bild: Michael Wilhelmi ist am Flügel Begleiter von Medeas Tochter
Nun ist sie allein in diesem großen weißen Raum und isst Popcorn. Allein,
nachdem die Mutter ihre beiden kleinen Brüder umgebracht und auf immer mit
den besten Schlittenhunden des Stalls in den Weiten Lapplands verschwunden
ist. Traumatisiert, verstört und pubertär, das sind die ersten
Assoziationen zu Eriopis. Sie ist die in diesem Fall überlebende Tochter
Medeas in dem gleichnamigen Stück von E.L. Karhu, das am 6. März am
Schauspiel Leipzig zur Uraufführung kam.
Es ist bereits die zweite Arbeit der finnischen Autorin hier. 2017 wurde
ihre „Prinzessin Hamlet“ in einer sehr poppigen und den Feminismus des
Stücks herausstellenden Inszenierung gezeigt. Mit „Eriopis“ nähert E.L.
Karhu sich erneut einem der großen europäischen Dramenstoffe. Sie versucht
Funken zu schlagen aus der Story des griechischen Königssohnes Jason und
der Barbarentocher Medea. [1][Medea hat für Jason ihre Heimat verlassen]
und die Familie verraten und dann, als Jason sie verlassen will,
entschließt sie sich, nicht nur ihre Korinther Konkurrentin, sondern auch
gleich ihre beiden Söhne umzubringen, damit sie nicht der Rache der
Überlebenden ausgeliefert sind.
Karhu führt Eriopis als drittes Kind und als überlebende Tochter ein, die
nun als Einzelkind bei ihrem prominenten, aber ihr unbekannten Vater und
seiner neuen Frau leben soll. Dafür muss sie die Einöde der finnischen
Provinz, wo die Mutter ein Hotel mit Schlittenhundenexkursionen geführt
hat, verlassen. Am Ende kehrt sie vielleicht dahin zurück.
[2][Die Regisseurin Anna-Sophie Mahler] und ihre Bühnenbildnerin Katrin
Connan setzen die Halbwaise Medea nun in einen White Cube, um anschließend
die Black Box Eriopis zu durchleuchten, zum sprechen zu bringen. Doch die
Sängerim Yuka Yanagihara, die hier in schwarz-grauer Leggins und Top als
Eriopis fungiert, sagt erstmal gar nichts und wird auch später
ausschließlich zu der Musik von Michael Wilhelmi, der live an einem
kastrierten Fügel begleitet, singen: „Ich liebe die Mörderin, aber die
Mörderin liebt mich nicht.“
## Schälen einer Zwiebel
So bleibt nur die sprechende Julia Berke, die irgendwo zwischen Erzählerin,
bohrender Journalistin und Alter Ego der Teenagerin agiert, um die
Geschichte zu erzählen.
Doch welche eigentlich? Das Stück erinnert an das Schälen einer Zwiebel mit
ständiger Wiederkehr der gleichen Motive von Einsamkeit, Abscheu, des
Nicht-Dazugehören (Wollen), der Hotelbesucher, des alten Vaters mit seiner
neuen goldenen Frau sowie mythologisch-mystische Ausflüge in die Natur, zu
den Wölfen und den Wald mit den verirrten und erfrorenen Touristen.
Sprachlich sind das oft starke Bilder und Berke liefert einen gut
akzentuierten Vortrag. Doch szenische Bilder verweigert die Inszenierung
fast konsequent, statt dessen setzt Regisseurin Mahler auf Effekte. Ein mit
dem Smartphone aufgenommenes Live-Video wird an die weißen Wände geworfen
und erzeugt spiegelhafte optische Loops mit dem Gesicht Yanagiharas, die
aber zumeist nur das doppelt darstellen, was ohnehin schon gesagt wird.
Viel Bodennebel, bunte Farben und natürlich die Musik, die mal atonal
verstörend, mal als harmonisches Begleitklimpern daher kommt, füllen die
Zeit. Zudem muss Pianist Wilhelmi noch als Anspielfigur des Vaters
herhalten. Wohin diese Regiehand will, bleibt offen. Sie schafft es nicht,
den Text zu fassen und so stehen all die großen Themenkonvulute bald nur
noch im luftleeren Raum nebeneinander, während Berke sie gleich einem
klassischen Boten mitteilt.
Die Rätsel, die der Text dabei aufmacht, der kunstvoll zwischen
verschiedenen Realitäts- und Traumebenen spielt, verpuffen folgenlos. Wenn
Eriopis sich etwa in die Rolle der Mutter als Hotelbesitzerin
hineinfantasiert und dabei die Grenze zwischen Erinnerung und Projektion
verschwimmen – Shining lässt grüßen – ist das im dritten Loop schon nicht
mehr von Interesse, auch wenn das Stück von hier aus zur opernhaften
Schlussapotheose mit Licht und Nebel ansetzt. Sehr passend. Im Nebel bleibt
hier vieles, aber die Black Box bleibt zu.
10 Mar 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Torben Ibs
## TAGS
Theater
Uraufführung
Schauspiel Leipzig
Mythos
Medea
DDR
Theatertreffen Berlin
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