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# taz.de -- Punk-Fanzine „Trust“ feiert 200. Ausgabe: Schnauze voll von der…
> Das Bremer Hardcore- und Punk-Fanzine „Trust“ will sich den Spaß an Musik
> und Politik nicht verderben lassen. Nun feiert es seine 200. Ausgabe.
Bild: Gut, aber außerhalb der Szene kaum bekannt: die zum Fest aufspielende D�…
Bremen taz | Hat sich was mit „guter alter Zeit“, auch wenn man zu einem
200. Geburtstag schon auf solche Ideen kommen könnte. Beim Trust aber, dem
dienstältesten „Fanzine für Hardcore, Punk und Underground“, hatte man
schon 199 Ausgaben früher die Schnauze voll von der Szene. Bereits im
Editorial der ersten Ausgabe vom Juli 1986 stand der Aufruf, sich hier
zukünftig über Sachen auszulassen, die einen an der Szene ankotzen. Auf den
Folgeseiten geht’s um sexistisches Mackertum, um dumme Sauflieder und um
andere vermeintliche Selbstverständlichkeiten, über die sich bis heute
energisch streiten lässt, bis hin zur heute wieder brandaktuellen Frage, wo
eigentlich die Grenzen der Satire lägen.
Die Position des Trust ist gar nicht so leicht zu fassen, was bereits in
dem doppelten Anspruch steckt, sich den Spaß nicht verderben zu lassen, und
es sich zugleich aber auch nicht zu einfach zu machen mit der Politik in
der Musik. „Ich habe keine Lust mich an irgendwelche vorgefertigten
Doktrinen und Dogmas zu halten und meine Gedankengänge danach auszulegen“,
schreibt einer im ersten Heft und demonstriert damit mehr Haltung als
Ausdrucksvermögen. Ist ja auch wichtiger und das Trust hat wohl niemand von
wegen Poesie.
Daran hat sich bis heute nicht viel geändert, auch wenn das Layout schicker
ist und handschriftliche Band-Anzeigen inzwischen Seltenheitswert haben. Es
ist überhaupt erstaunlich, dass es dieses Heft heute noch gibt. Der Plan
war, alle zwei Monate ein Heft herauszubringen, stand in der Erstausgabe,
„was natürlich nicht versprochen werden kann, aber wir versuchen unser
bestes zu geben.“ Seit mehr als 30 Jahren klappt das inzwischen, obwohl
nicht nur die musikalischen Subkulturen ihre identitätsstiftende Kraft
verloren haben, sondern bekanntlich auch der Printmarkt in Gänze in einer
handfesten Krise steckt.
Es gibt jedenfalls mehr als genug Gründe, das 200. Trust am Wochenende zu
feiern. Zum Fest im Bremer Schlachthof spielen Joseph Boys, Postford und
Lügen auf, über die sich sagen lässt, dass sie allesamt außerordentlich gut
und wichtig sind – und dass sie außerhalb der Szene trotzdem keine*r kennt.
Sie sind jedenfalls deutlich weniger bekannt als das Trust-Magazin, das
heute im Bahnhofskiosk zu haben ist. Mit seinem Blick ins internationale
Musikgeschehen war das Trust dem Mainstream schon immer weit voraus:
Nirvana waren früh drin, ebenso Fugazi oder At The Drive-In.
Auf Punk- und Hardcorekonzerte geht der ewige Trust-Herausgeber Dolf
Hermannstädter noch immer. Er hat nur nicht mehr so viel Lust, drüber zu
schreiben. Seine fünfstellig bestückte Plattensammlung reicht ihm, als
Schreiber hat er sich dann vor allem auf seine Kolumnen verlegt, die
gesellschaftliche und mitunter ausgesprochen persönliche Ansichten
verbreiten. Manchmal ist das tiefsinnig, manchmal wütend – und manchmal
vergaloppiert er sich auch. Es ist die Sprache eines Einzelgängers, eines
radikalen Konsumkritikers, eines streitlustigen Idealisten. „Authentisch“
müsste man wohl dazu sagen, würde das im selbstkritischen Teil der Szene
inzwischen nicht als vergiftetes Lob aufgefasst.
Hermannstädter mag keine Lieder über Bier, obwohl er selbst gern welches
trinkt, ist seit mehr als 20 Jahren Vegetarier und auch mal schwer zu
erreichen, weil er sein Handy zu Hause lässt. Ob das hier wichtig ist?
Keine Ahnung. Aber er schreibt es auf und es wird gelesen. Längst nicht
mehr nur im Heft: Hermannstädters zwischen 1986 und 2007 entstandene
Kolumnen sind 2012 unterm Titel „Got Me? Hardcore-Punk als Lebensentwurf“
bei Mox und Maritz erschienen (295 S., 15,80 Euro). Die späteren bringt im
Frühjahr der Ventil-Verlag als „Warum dauert es so lange, bis es besser
wird?“(240 S., 16 Euro) heraus.
Um Musik kümmert sich derweil der Rest der seit Ende der 1990er-Jahre in
Bremen ansässigen Redaktion. Dass heute auch die subkulturellen Sparten der
Musikindustrie anders ticken als früher, kommentiert das Trust mit
angemessener Patzigkeit neben den Rezensionen: MP3s und Streams werden
nicht besprochen, Promopressungen auch nicht, Verbundanzeigen gibt’s schon
gar nicht. Ach ja, und bitte nicht nerven, wann der Text kommt: „Wir haben
für solche Anfragen keine Zeit.“ Klar, dass die Platten trotzdem kommen.
Die über hundert Reviews pro Ausgabe sind nach wie vor ein wichtiges
Standbein des Magazins, meistens hart und flapsig. „Trust hat’s schon
besprochen“, hören Musikjournalist*innen regelmäßig von ihren vermeintlich
neu entdeckten Bands – mit Stolz, auch wenn man nicht sonderlich gut
weggekommen ist. Kurz gesagt: Das Trust weiß treffsicher, was wichtig ist,
und kommt dabei gar nicht erst auf die Idee, irgendwo falschen Respekt
walten zu lassen. Durchweg international übrigens: „Mehr Deutsches“ wurde
schon in frühen Leserbriefen immer wieder gewünscht – geholfen hat’s
erfreulicherweise nichts.
Traurig ist, dass die Besprechungen benachbarter Fanzines heute
notgedrungen kürzer ausfallen. Vorbei ist es mit der Abteilung „Millions of
Zines“, wo früher die Kolleg*innen warben und gegenseitig ihre Hefte
besprachen. Keine Ahnung, was aus Die letzte Hoffnung aus Oberhausen
geworden ist oder Kabeljau aus Norderstedt – in den faksimilierten
Trust-Rezensionen aus den 80ern klingen sie jedenfalls lesenswert. Dass es
damals sogar Metaprojekte wie Das Fanzine der Fanzinemacher gab, ist
Ausweis einer außerordentlich aktiven und selbstkritischen Kultur. Dass es
wahnsinnig viel davon lebendig rüber ins Internet geschafft hat, darf
mindestens bezweifelt werden. Obwohl es da inzwischen auch ein bisschen
Trust gibt.
7 Feb 2020
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
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