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# taz.de -- Fanzine-Jubiläum im Berlin: Raves hinterm Eisernen Vorhang
> Das Fanzine „Zonic“ ist auf Underground-Musik aus den ehemaligen
> Ostblock-Ländern spezialisiert. Zum 25. Geburtstag wird im Arkaoda
> gefeiert.
Bild: Die New Composers und Mitglieder der Künstlergruppe New Artists, Leningr…
Wie der Punk in das damalige Leningrad kam, davon erzählt der Film „Leto“,
der gerade in einigen Berliner Kinos zu sehen ist. Dessen Regisseur Kirill
Serebrennikow kann man derzeit nicht persönlich über seinen Film und die
Zeit damals befragen, darüber, wie es war, als auch in Russland die Musik
von Blondie oder den Talking Heads alles veränderte. Und als auch in seiner
Heimat sich so etwas wie eine Postpunk-Szene entwickelte.
Denn aufgrund fadenscheiniger Vorwürfe wurde ihm Hausarrest verordnet. Die
Stadt, über die er in seinem Film erzählt, mag mit Sankt Petersburg heute
einen anderen Namen als damals haben, die politischen Zustände in Russland
freilich sind immer noch problematisch.
Dafür wird am 11. November im Neuköllner Club Arkaoda Valery Alakhov über
diese Leningrader Szene in den Achtzigern berichten, einer, der diese mit
seinem Projekt New Composers mitgeprägt hat. Die New Composers haben schon
früh in den Achtzigern begonnen mit Tape-Experimenten und collagenhaftem
Postpunk. Veröffentlicht wurden die Stücke auf Kassetten, die selbst
vertrieben wurden, die staatlichen Plattenfirmen waren in der Sowjetunion
nicht zugänglich für derartigen Underground.
Später haben die New Composers die ersten Raves in Leningrad
mitveranstaltet und sind immer elektronischer geworden. Sie traten mit
Brian Eno in Kontakt und veröffentlichten endlich doch noch zig reguläre
Alben mit elektronischem Ambient. Heute sind sie immer noch aktiv.
## „Notes From The Underground“
Der eigentliche Anlass, warum Valery Alakhov in Berlin spricht und später
auch noch performt, ist freilich gar nicht mal der Film „Leto“. Sondern
einmal ist es der fünfundzwanzigste Geburtstag des Fanzines Zonic aus
Leipzig und Berlin, das sich von Beginn an für vor allem experimentelle
Musik aus den ehemaligen Ostblock-Ländern interessiert. Und das aus diesem
Anlass eine kleine Party im Arkaoda schmeißt.
Und außerdem wird noch die neue Compilation „Notes From The Underground“
präsentiert, auf der die New Composers mit zwei Stücken vertreten sind.
Wobei die Veröffentlichung dieses Doppel-Albums wiederum vom Magazin Zonic
unterstützt wird.
Klingt alles ziemlich kompliziert, sind aber eigentlich ganz schlüssige
Verbindungen, die hier eingegangen werden. Und es kommt sogar noch besser:
„Notes From The Underground“ ist letztlich der programmatische Sampler zur
gleichnamigen Ausstellung, die vor Kurzem in der Akademie der Künste zu
sehen war. Und somit deren nachgereichter „Audio Katalog“, wie
Zonic-Herausgeber Alexander Pehlemann sagt, der die Ausstellung auch
mitkuratiert hatte.
„Experimental Sounds Behind The Iron Curtain“ verspricht die Compilation.
Und tatsächlich hört man auf ihr neben den New Composers allerlei mehr an
Abseitigem, das in den Ostblock-Staaten in den Achtzigern entstanden ist.
Industrial und Geräuschmusik aus Polen, Tschechien und dem ehemaligen
Jugoslawien etwa. Und selten gehörte Stücke aus der DDR, von
Zwitschermaschine, AG. Geige und Ornament & Verbrechen.
## Neubewertung des musikalischen Treibens
Während in der letzten Zeit die Popmusikhistorie selbst aus Ländern wie dem
Iran oder Syrien in allerlei archäologischen Musiksamplern zugänglich
gemacht und neu eingeordnet wird, Siebziger-Jahre-Funk aus Benin oder
Zimbabwe von Hipstern goutiert wird, kommt es hier endlich auch einmal zu
einer Neubewertung des musikalischen Treibens in den ehemaligen
Ostblock-Staaten.
Zu etwas, das das Magazin Zonic publizistisch von Beginn an versucht. In
den 25 Jahren, in denen es existiert, konnte man aus diesem wirklich alles
Wesentliche über Punk in Polen oder Industrial in Prag erfahren.
Zonic wurde schon ein paar Jahre nach dem Mauerfall von Alexander Pehlemann
in Greifswald gegründet. Inzwischen sitzt die Redaktion in Leipzig, wo
Pehlemann inzwischen lebt, und in Berlin. Über die Jahre hinweg hat sich
das einstige Fanzine zu einem Periodikum ähnlich der „Testcard“ entwickelt,
in deren Verlag es inzwischen auch erscheint. Es ist ähnlich dick wie die
„Testcard“, und wie bei dieser erscheint die jeweils neueste Ausgabe halt
dann, wenn sie fertig ist. So ist die gerade aktuelle Nummer inzwischen
auch schon wieder fünf Jahre alt.
Auch dank einer Compilation wie „Notes From The Underground“, der bald noch
weitere ähnliche folgen sollen, wird das, was Zonic inhaltlich so umtreibt,
immer sichtbarer. Und aus dem Interessengebiet eines Fanzines wird langsam
ein regelrechtes Forschungsfeld.
## Noch viel aufzuarbeiten
Dazu passt auch eine weitere Allianz, die im Zusammenhang mit dem Sampler
„Notes From The Underground“ genannt werden muss. Unterstützt wird dessen
Veröffentlichung auch von der Online-Plattform „Unearthing The Music“, die
sogar Gelder von der EU erhält und ihren Sitz ausgerechnet in Portugal hat.
Auch bei diesem Projekt geht es seit ein paar Jahren darum, alles
Wissenswerte zusammenzutragen, was während des Kalten Kriegs hinter dem
Eisernen Vorhang so musikalisch passierte. Und was nach dem Fall der Mauer
und dem Zusammenbruch der Sowjetunion beinahe in Vergessenheit geraten ist.
Es gibt noch viel aufzuarbeiten. Und es geht auch ein Stück weit um
pophistorische Gerechtigkeit. Wo bitte, fragt der Journalist Robert
Mießner, der zusammen mit dem Lyriker Bert Papenfuß die Berlin-Redaktion
der Zonic bildet, ist hier die Musik aus der DDR?
Er spricht von einer Compilation, die demnächst auf dem hippen britischen
Label Strut erscheinen wird. „Deutsche Post-Punk Subkultur 1980–1985“
verspricht diese für ein internationales Publikum aufzubereiten. Dabei
sind hier ausschließlich westdeutsche Acts aus dieser Zeit vertreten.
Hätten die Macher des Sampler mal ein wenig in der Zonic gelesen, wäre
ihnen das nicht passiert.
Dieser Text erscheint im taz Plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
11 Nov 2018
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Pop-Underground
Hardcore-Punk
Russland
Punks
Subkultur
Punk
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