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# taz.de -- Prodigy-Album „No Tourists“: Punksenioren-Flirt mit dem Desaster
> Die drei elegant bis an die 50 herangealterten Briten von The Prodigy
> haben ihre Musik in den letzten Jahrzehnten nicht verändert. Warum
> sollten sie auch.
Bild: Sänger/Shouter Flint trägt seine Haare noch immer verlässlich zu Teufe…
„No Tourists, no sight to see!“ Ja, wenn das mal nur so wäre! Aber „No
Tourists“, trotzig-aggressiver Titelsong des achten Prodigy-Albums, ist
nicht nur ein subtiler Seitenhieb auf den Massentourismus. Sondern eine
Hymne an das Gute im Big Beat und Techno, die einen das Schreckliche
vergessen lässt, das Menschen wie DJ Ötzi einst aus elektronischer Musik
brauten.
The Prodigy, drei elegant bis an die 50 herangealterte Briten mit
Punk-Vergangenheit und -Gegenwart, deren „Firestarter“ der Tanzfläche einst
ein neues Energielevel bescherte, haben sich musikalisch in den letzten
Jahrzehnten nicht verändert, wieso auch. Es liegt so viel Wucht in ihrer
Musik. Auf „No Tourists“ stellen sie in zehn knallenden Tracks klar, wie
EDM klingen könnte, wenn man die richtigen Ideen hat und nicht auf Airplay
spekuliert. Natürlich beschwören sie dabei vor allem die alten Geister: Ob
„Light up the sky“ oder „Fight fire with fire“ – es geht um eine
Lebenslust, die aus dem Flirt mit dem Desaster entspringt, und
nicht-affirmative Jugendkulturen vermutlich für immer prägte.
Beim Interview in Berlin vor ein paar Wochen traten Liam Howlett, Keith
Flint und Maxim als aufgeräumte, selbstbewusste Punksenioren auf, die
wissen, welchen Einfluss sie auf die elektronische Musik, sogar (durch das
irritierende Video zu „Smack my bitch up“ von 1997) auf Genderstandpunkte
hatten.
Sänger/Shouter Flint, der seine Haare noch immer verlässlich zu
Teufelshörnchen gezwirbelt trägt und während des Gesprächs an der
Elektro-Zigarette nuckelt, macht die Authentizität seiner Live-Performance
klar: „Ich komme hoch, gehe durch den Backstage, sehe das Publikum, sehe
die Band, dann wird einfach ein Schalter umgelegt, es ist Go-Time!“ Und
schon glaubt man ihm den „Firestarter“.
## Mit fremdem Blut geschmiert
Das einzige Problem für Prodigy könnte somit nicht das eigene, sondern das
Fan-Alter sein: „We live forever!!“ wird ab einer gewissen Anzahl von
Jahren auf dem Buckel vielleicht seltener skandiert, das dementsprechende,
schnell selbstdestruktive Feier-Feeling seltener gewünscht.
Für die Band wäre Sound-Veränderung, langsamer oder ruhiger werden jedoch
absolut keine Option: „Meine Mutter wäre schockiert, wenn ich auf der Bühne
plötzlich eine Gitarre benutzen würde“, sagt Howlett. „Und ich erst mal!�…
kichert Maxim.
Doch das achte Album unterscheidet sich dennoch von manchen der älteren
Sachen: Vor allem in Flints und Maxims elektronisch veränderten
Verbalphrasen erkennt man ihre musikalische und lokale Herkunft. Man hört
darin Maxims Wurzeln in den Soundsystems von Ska und Reggae, im „Toasting“,
den Sprechgesang beim Dub. Und in Zeilen wie „Dobson to Brixton, the
friction!“ wird Flints Verbundenheit zu seiner Heimatstadt London deutlich.
## Zur Begrüßung den Rollkofferherden
Die relative Abgehangenheit der Musik und ihrer Interpreten schützt sie
zudem vor Epigonen: „Dass heute jeder fast jede Musik ohne großes Wissen zu
Hause produzieren kann, bringt zwar alle auf das gleiche Level“, sagt
Howlett, der seit der Gründung 1990 für Keyboards, später für das
Sound-Programmieren zuständig ist, „aber so stechen diejenigen, die
wirklich originell sind, noch mehr heraus!“ Howlett erkennt auch „lyrische
Qualitäten“ in der Band: „Ich will nicht angeben, aber wir sind bessere
Texter als alle denken!“
Die Slogans auf „No Tourists“ lassen sich tatsächlich – durch ihre
Reduktion – breit interpretieren: „Es geht im Titelsong um Eskapismus“,
erklärt Howlett, „darum, sich von ausgetretenen Touristenpfaden zu
entfernen.“ Die Band hätte aber garantiert nichts dagegen, wenn der Song
auf Flughäfen zur Begrüßung den Rollkofferherden entgegengeschleudert
würde. Oder mit (fremdem) Blut auf Tafeln geschmiert wäre, die vor
Gentrifizierungscafés Chai Latte ankündigen.
26 Nov 2018
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Punk
Jugendkultur
Rave
Funk
Filmfestival
Pop-Underground
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